M wie Morrissey

Mit "Autobiography" führte Morrissey vor knapp einem Jahr mehrere Wochen lang die britische Bestsellerliste an. Nun, ein Jahr später, erscheint bei Rowohlt die deutsche Übersetzung.

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Meat Is Murder. The Queen Is Dead. Barbarism Begins At Home. Wer kommt Mitte der Achtziger bloß auf die Idee, Lieder und Alben mit solch vehementen Titeln herauszubringen? Oder mit so heiter klingenden wie Some Girls Are Bigger Than Others? Es ist ein gewisser Steven Patrick Morrissey, um die 20, der kurz zuvor beschlossen hatte, sein Leben in die Hand zu nehmen und etwas zu wagen. Inzwischen sind 30 Jahre vergangen und Morrissey trifft mit leichtem Bariton und einer klingenden Mischung aus Poesie, Melancholie, Ironie und politischen Statements immer noch den Nerv der Zeit.

Mit klingendem Titel erschien im Herbst 2013 auch die Autobiografie des Sängers und Songwriters. Auf 457 Seiten blickt Morrissey – er ist 52 als er seine Autobiografie beendet – auf sein Leben zurück, welches am 22. Mai 1959 auf dem regenreichsten und unglücklichsten Fleck Englands als zweites Kind irischer Einwanderer beginnt. Die Schule, auf die er und seine Schwester geschickt werden, ist ein wahrer Alptraum, seine Eltern sind als Paar weder Liebende noch Freunde und Manchester wie gesagt, deprimierend.

Überall sonst auf der Welt muss es besser sein, davon ist Morrissey schon als Schulkind überzeugt. TV-Serien und Filme geben ihm Hoffnung. Zudem ziehen ihn Musik und Literatur früh in ihren Bann. T. Rex sind schließlich die erste Band, die Morrissey mit 13 Jahren live sieht. Bereits im gleichen Jahr begegnet Morrissey oder besser gesagt, erscheint ihm, wie von einem fremden Stern, ein neues Wesen: David Bowie, ein „Wilde’scher Visionär“ in High Heels ist in Manchester zu sehen. Morrissey, nicht weniger visionär, aber eben zur selben Zeit unglücklicher Teenager in Schuluniform, schafft es, seine Hand zu berühren.

Kein Platz für Frauen in Manchester

Alsbald entdeckt Morrissey die New York Dolls, die bei ihm wie eine Bombe einschlagen. Es ist nicht nur der besondere Musikstil der Dolls, der ihn fasziniert, sondern auch ihr Agieren auf der symbolischen Ebene, insbesondere was die Geschlechterverhältnisse betrifft. Denn der junge Morrissey weiß mit traditionellen Rollenbildern nichts anzufangen und erkennt sehr früh das Beschränkende und die Macht dieser Konstruktionen. So beschreibt Morrissey die gesamte Manchester Szene als absolut männlich und für Frauen, die zwar in einigen Bands Keybord oder Bass spielten, war kein Platz vorgesehen.

In diesem Zusammenhang kommt er auf Linder Sterling zu sprechen, die er damals kennenlernte, woraus sich eine lebenslange Freundschaft entwickeln sollte. Ihr haben wir übrigens das Lied "Still ill" zu verdanken, denn „Are you still ill?“ lautete ihre erste Frage, bei einem ihrer regelmäßigen Treffen damals. Linder Sterling war von Ende der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre Sängerin der Band Ludus und obwohl sie, wie Morrissey schreibt „mit Feuer und Schwert kämpfte“, wurde sie übersehen. Linder Sterling hat sich schließlich als Fotografin und Künstlerin einen Namen gemacht und ihre beeindruckenden Arbeiten – Collagen, auf denen Alltagsgegenstände mit pornografischen Motiven verbunden werden – waren in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum zu sehen.

Marr vs Morrissey

Sehr eindringlich beschreibt Morrissey einige seiner frühen Konzerterlebnisse, die ihn geprägt haben. Patti Smith, Lou Reed, Nico, The Ramones, Iggy Pop, The Sex Pistols. 1980 während eines Soundchecks von The Clash, steht für Morrissey dann endgültig fest: „No more soundchecks, unless they were my own.“ Nach einigen seltsamen Jobs, die Morrissey kurzfristig annimmt und verzweifelt ausführt und nach einer kurzen Zeit als Sänger der Band The Nosebleeds, sind es schließlich doch glückliche Umstände, die ihn und Johnny Marr zusammenführen. Words by Morrissey, Music by Marr – das Zusammenspiel scheint perfekt. Vier Studioalben The Smiths, Meat Is Murder, The Queen Is Dead, Strangeways Here We Come, einige Kompilationen und Singles, unvergessliche Konzertauftritte. Aber bereits 1987, nach nur fünf gemeinsamen Jahren trennt man sich – nicht im Guten. Nicht im Guten treffen sich die vier Bandmitglieder auch einige Jahre später vor Gericht wieder. Während der Gerichtsprozess und sein Ausgang für Morrissey einen Tiefpunkt markieren, geht es mit seiner Solokarriere und seinem Privatleben bergauf. Ausverkaufte Tourneen, erfolgreiche Alben. Und die Liebe.

Österreich verströmt einen verführerischen Duft

Unter den unzähligen Tourneen und Auftritten, die Morrissey in seiner Autobiografie beschreibt, findet sich auch eine Passage zu Österreich, die so eröffnet wird: „Österreich verströmt einen verführerischen Duft.“ Morrissey ist auf dem FM4-Frequency Festival in Salzburg und bewundert das fantastische Publikum. Angesichts all dieser jungen Menschen fragt er sich, wann genau es anfing, dass plötzlich alle um ihn herum immer jünger wurden, er jedoch ungerechterweise immer älter. Seine Fangemeinde scheint dies keineswegs zu stören und Morrissey zu jenen glücklichen Menschen zu zählen, denen das Älterwerden gut bekommt.

Die Veröffentlichung seiner Biografie erweist sich als großer Erfolg. So war sie fünf Wochen auf Platz 1 und vier Wochen auf Platz 2 der britischen Taschenbuch Bestsellerliste. Die Mehrheit der Reviews scheint sich jedoch nicht für die Qualität des Buches, sondern vorwiegend für die Sexualität des Protagonisten zu interessieren. Wir erfahren ein paar Namen und deren Geschlecht. Wie interessant! Da wünscht man sich nichts sehnlicher als Michel Foucault herbei, der aus seinem Grabe steigen und noch einmal diese drei Worte sprechen möge: Sex is boring. Und wo sind eigentlich all die Literaturkritiker? Interessieren die sich wirklich nicht für die Leiden des jungen Morrisseys? Lesen sie das Buch erst gar nicht?

Angesichts des sprachlichen Feuerwerks, das der Autor da veranstaltet, verwundert diese Zurückhaltung. Bemerkenswert sind vor allem die stimmungsreichen Dialoge, die das Erzählte so nahbar machen. Was funkelt und zischt es da nur so von Gefühlen und Gedanken, egal ob offen und direkt oder manchmal bloß in Form einer Andeutung. Die Autobiografie ist auch ein nachdenklich stimmendes Zeitdokument über das Leben in den 60er und 70er Jahren, insbesondere was das katastrophale Bildungssystem und die starren Rollenbilder betrifft.

Humour Is A Language – Can’t You Read?

Morrissey ist ein sensibler Menschenbeobachter und seine Beschreibungen reichen von umwerfend liebevoll über umwerfend vernichtend bis umwerfend komisch. Überhaupt, sein Humor! Ja, es gibt auch etliche traurige Stellen, aber viele sind unglaublich witzig. Am Ende wirkt Morrissey, im Vergleich zu seinen jungen Jahren, sehr gelassen. Er ist ein Suchender geblieben und sein Credo dem Virginia Woolfs verwandt: Wenn du schon gefunden hast, hast du nicht richtig gesucht. Man könnte es auch so sehen: Die Entscheidung zu singen rettete Morrissey zweifellos das Leben. Denn, wenn es irgendwo da draußen jemand gibt, der nicht nur über, sondern um sein Leben singt – und um das der Tiere – dann ist das Morrissey.

Morrissey, Autobiography, Penguin Classics, 457 S., ca. 9,90 Euro

Die deutsche Übersetzung von Autobiography ist für Ende September 2014 bei Rowohlt angekündig.

Morrissey spielt am 24. Oktober im Wiener Konzerthaus.

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