Macht durch Pop

Japan hat seine Popkultur entdeckt. Sie wird nicht nur als Retter der japanischen Wirtschaft gesehen, sie wird auch als Mittel zum Wiedererlangen militärischer Macht genutzt.

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Seit dem Platzen der Aktien- und Immobilien-Blase Anfang der 1990er hält das Stereotyp der Japan AG nur mehr bedingt. Das westliche Image Japans als Nation loyaler, lebenslang an ihr Unternehmen gebundener, teilweise auch durch Überarbeitung aus eben diesem Leben gerissener Angestellter wurde abgelöst. Angesichts der seit 20 Jahre andauernden wirtschaftlichen Misere wurde es allmählich durch neue Bilder ersetzt: Anstelle einheitlicher Weißkrägen sind auf den ersten Blick ebenso uniforme Schuldmädchen getreten. Bei näherer Betrachtung eröffnen sie Zugang zu einer Popkultur, die keine Grenzen zu kennen scheint und in der sich doch für jede Spielart Regeln finden. Eine Popkultur, die in den letzen zehn Jahren ein Teil der Marke Japans geworden ist, immer mehr auch durch systematische Bemühungen des staatlichen Nation Brandings.

Harajuku, ein Stadtteil Tokios, bildet das Epizentrum der JPopkulturwelle, die seit den Nullerjahren auch im westlichen Mainstream ihre Spuren hinterlassen hat. Am Wochenende begegnet man hier einer Seite Japans, die sich mittlerweile selbst zum Stereotyp geworden ist. Als Manga- und Gamefiguren verkleidete Cosplayer, Gothic Lolitas und Visual Kei-Jünger frönen den materiellen und immateriellen Genüssen – Einkaufen und Gesehenwerden. In den Manga Kissa genannten Comic-Cafés trifft man auch auf die etwas unscheinbareren Träger dieser japanischen Popkultur: die Otaku, Manga– und Anime-Nerds.

Popkulturmacht: Pokémon, Akira, Hello Kitty

Es ist nicht so, als müsste man in Japan nach diesen Ausprägungen von Popkultur suchen. Seit mehreren Jahren bietet auch die nationale Tourismusorganisation, JNTO, Manga- und Anime-Touren an. Die Zielgruppe japanophiler Comicnerds und anderer JPop-Aficionados wurde erkannt und nutzbar gemacht. Kaum verwunderlich also, dass der ehemalige konservative japanische Premierminister Taro Aso – selbst bekennender Manga-Leser – kurz vor seiner Abwahl 2009 Pläne für den Bau eines JPopkulturzentrums in Tokyo vorangetrieben hatte (Das Millionenprojekt scheiterte, als die Demokraten an die Macht kamen und das Zentrum als geldverschwenderisches staatliches Manga-Café abtaten).

Hatte Joseph Nye, Erfinder des Soft Power-Konzepts, dem damals wirtschaftlich noch blühenden Inselstaat Ende der 1980er global gesehen kulturelle Bedeutungslosigkeit konstatiert, musste er seine Behauptung rund ein Jahrzehnt später als widerlegt hinnehmen. Wie der amerikanische Journalist Douglas McGray in seinem einflussreichen Artikel »Japan’s Gross National Cool« (»Japans Bruttoinlands-Coolness«, 2002 im Foreign Policy Magazin) feststellte, war Japan über Popkulturexporte wie Pokémon, Hello Kitty und Akira fast unbemerkt zur Kulturmacht geworden.

Auch wenn es die Schulmädchen und Otaku nicht ahnen, sind sie die Gewinner des sogenannten verlorenen Jahrzehnts – ushinawareta juunen – wie die krisengeschüttelten 90er Jahre in Japan genannt werden. Während traditionelle Sektoren wie die Schwerindustrie von der Krise angeschlagen ums Überleben kämpften, konnten die japanischen kreativen Industrien, allen voran Zeichentrick, Comics und Computerspiele, ein bisher unerreichtes Wachstum erzielen. Durch das Versagen der alten wirtschaftlich-politischen Strukturen wurde ein Aufbruch ermöglicht, der die ehemaligen Verlierer der japanischen Gesellschaft – Teenager, Kreative und andere Außenseiter – plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit beförderte. Auf diese Weise ereignete sich der Paradigmenwechsel Japans vom Produzenten neutraler Hardware zum Schöpfer kulturell angereicherter Software.


Origami statt Samurai

Erst durch westliche Publikationen wie McGrays Artikel nahm auch die japanische Politik diese Entwicklung als Chance wahr. Japan hatte bereits Erfahrung in Bezug auf Kulturpolitik und -diplomatie. So hatte es nach dem Zweiten Weltkrieg über nationale Symbole wie Geisha, Origami und Ikebana versucht, vom Image des aggressiven Kriegerstaats mit Samurai-Mentalität zu dem Bild eines friedlichen Ästhetenvolks zu gelangen. Mit der für Japan ungewöhnlich langen Amtszeit von Premierminister Junichiro Koizumi (2001-2006) nahm Kulturpolitik und -förderung noch nie dagewesene Dimensionen an.

Zunächst erkannte man vor allem das wirtschaftliche Potenzial der kreativen Industrien und gründete 2004 eine eigene Institution zur Förderung und zum Schutz intellektuellen Eigentums. Japan engagierte sich im Kampf gegen Produktpiraterie und nahm eine aktive Rolle bei ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) ein. Ähnlich wie zu Zeiten des japanischen Wirtschaftswunders, als damals zukunftsträchtige Industriezweige wie Autos und Elektronik vom Staat gezielt gefördert wurden, sah man nun die kreativen Industrien als strategischen Sektor und stellte ihnen Hilfen bereit.

Neben dem wirtschaftlichen Hintergrund hatte diese Kulturförderung aber auch einen politischen. Japans Popkultur, die sich neben Manga, Anime und Games in anderen Teilen Asiens schon seit den 1980ern in Form von Fernsehserien, Popmusik und Mode großer Beliebtheit erfreut hatte, wurde als Ressource für globale Soft Power erkannt. Ab 2005 stand die Förderung der sogenannten Content Industries unter dem Vorzeichen von Nation Branding. Japan wollte über seine Popkultur, die nun auch im Westen eine beachtliche Anhängerschaft gefunden hatte, sein Image von »Corporate Japan« in »Cool Japan« korrigieren und somit den Wandel vom kühlen Geschäftspartner zur persönlich relevanten und attraktiven Kulturnation vollziehen. Eine eigene Nation-Branding-Agentur, später in »Cool Japan Office« umbenannt, kümmerte sich um die dazugehörige Strategie. Die hatte Japan auch tatsächlich nötig.

Pop für den Weltfrieden

Koizumi war seit Beginn seiner Amtszeit negativ aufgefallen durch Besuche am Yasukuni-Schrein, an dem auch japanischen Kriegsverbrechern gehuldigt wird, und seine Unterstützung revisionistischer Geschichtsschulbücher. Das heizte die seit dem Zweiten Weltkrieg ohnehin antijapanische Stimmung im Asien-Pazifikraum an und gefährdete Japans diplomatische Beziehungen zu Staaten wie China und Südkorea. Die bis 2009 fast durchgehend regierenden Liberaldemokraten versuchten den erstarkten Nationalismus in Japan für das politische Ziel der Remilitarisierung des Landes zu nutzen (Japan darf seit 1945 per Verfassung keine eigenen Streitkräfte unterhalten und muss sich mit einem Heer zu Selbstverteidigungszwecken begnügen). Die Attraktivität der japanischen Popkultur sollte in dieser Hinsicht gleich zwei Fliegen auf einen Schlag treffen: landesintern weiter den Nationalstolz beflügeln und außerhalb in Form von Soft Power Asien und den Rest der Welt von den guten Absichten Japans überzeugen.

Durch Nation Branding und die Präsentation Japans als kulturell attraktiven Partner versucht auch die seit 2009 von den Demokraten gestellte Regierung vor allem in der unmittelbaren asiatischen Nachbarschaft Akzeptanz für die Rückkehr Japans als Militärmacht zu erzeugen und eine Verfassungsänderung durchzusetzen. Noch haben die US-amerikanischen Militärstützpunkte durch die Anwesenheit sozialistischer Regimes, allen voran Nordkorea und China, eine gewisse Daseinsberechtigung in Asien. Japan denkt hier jedoch voraus und möchte »Brücke« zwischen Asien und der Welt werden und auch jetzt schon mehr militärische Verantwortung übernehmen. Um zu verstehen, dass diese symbolische Brücke gleichbedeutend mit einer Vorherrschaft ist, braucht man sich nicht allzu intensiv mit japanischer Geschichte und Nationalbewusstsein auseinandersetzen. Mit Popkultur als Nation Brand verspricht man sich, die dafür nötige kulturelle Überzeugungskraft zu erreichen.

Zum Coverschwerpunkt Nation Branding inkl. Coverstory, Leitartikel, Golden Frame, Olympische Spiele London 2012, Logodesign, The Hobbit, usw. geht es hier:

www.thegap.at/nationbranding

Bild(er) © Sanrio; Carlsen Verlag; Nintendo Europe; Cool Japan
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