Ich versteh die ganze Aufregung zum Kristallkind-Artikel aus der Presse nicht. Ich bin da noch viel konsequenter in meiner Methode.
Auf meine elterliche Konsequenz, die dann und wann nicht gewillt ist, meinen Sohn, sehenden Auges in sein Verderben rennen zu lassen, sich zu gefährden, reagiert M. für meinen Geschmack immer ein wenig zu naiv. Direkt infantil. Er wird zwider und schlimm. Aber nie bösartig, dass muss ich dazu sagen. So ein reines Wesen kennt nichts Böses.
Ich biete ihm dann im Gegenzug eine Alternative zum schnöden Eis an, die meines Erachtens, wertvoller für sein doch streckenweise noch sehr unbedarftes Leben ist. Einen Apfel (bio), eine Karotte (bio), die haben immer Saison, wenn ich ganz gut drauf bin auch mal eine Olive (aus dem Glas, auch bio). Wenn er dann aufdreht haben wir aber ein Problem.
Zuerst bleib‘ ich ruhig. Aktiviere die Bauchatmung. Wenn das nicht mehr funktioniert, greif ich zu einem Fläschchen Bachblüten. Ich halt von so Blabla ja wenig, aber irgendwie hilft’s. Zuerst pipettier ich mir die Essenz auf die Zunge. Ich nehme immer so sieben Tropfen als ultimative Ration. Schlucke und merke, wie sich mein Puls beruhigt. Dann kommt der M. an die Reihe. Da die Bachblüten in Alkohol aufgelöst sind, verdünne ich immer drei Tröpfchen in einem viertel Liter gutem Leitungswasser. Kinder dürfen keinen Alkohol. An diesen Geschmack soll man sie konsequenter Weise erst gar nicht gewöhnen. Deswegen mache ich auch, wenn ich sonntags koche und meine Frau die S. entlaste, immer zwei Saucen. Eine für M. und Rocco, den Labrador und eine für uns, die ich mit Portwein ablösche. Ich will ja nicht, dass unser M. auf die schiefe Bahn gerät und in der Pubertät dann zum Crystal-Kid wird.
In einem Ritual, das wir beide lächerlich finden und uns auch ein wenig zum Lachen bringt, flöße ich ihm dann das Bachblütenwasser zur Beruhigung ein. Ich zähle laut und bestimmt "1, 2, 3", wenn ich die Tropfen im Wasserglas auflöse. In viel zu großen Schlucken, bis er hustet und alles aus der Nase wieder raus kommt, verabreiche ich ihm die Dosis. In manch seltenen Fällen, ist dann noch immer nicht Ruhe im Karton und ich greife zum äußersten Mittel. Dann tränke ich einen Waschlappen mit dem Beruhigungswässchern und leg ihm den aufs Gesicht. Wenn Stille einkehrt umarmen wir uns aus der blöden Lage heraus zurück in den Alltag. Ich bin ein Jugendlicher aus den 1980er Jahren. "Alles geht!", heißt mein Credo. Retrofuturistischer Postmodernismus ist meine Allzweckwaffe gegen die ganzen illiberalen Korrektheitsapostel aus den antiautoritären 1970er Dunstkreisen mit ihren pazifistischen Irrlehren. Die verbreiten nur negative Schwingungen mit ihren missratenen, verzogenen Fratzen. Ein Kind braucht Richtlinien und Maßregelungen. Ein Kind braucht Grenzen. Ein Kind braucht Flügel, aber auch Wurzeln. Ein Kind soll mit dem Kopf in den Sternen stecken, aber die Beine fest am Boden haben. Drohen ja, aber auch umsetzen. Wer Strafe nicht vollzieht, wird unglaubwürdig. Homöopathisch muss sie aber sein.