»Missing Middle« – Offener Brief zu Defizit in der Filmförderung

Johannes Grenzfurthner und das Kunstkollektiv Monochrom orten eine Lücke: In einem offenen Brief an Politik und Medien fordern sie eine langfristige Förderstrategie für Filmproduktionen im mittleren Budgetbereich.

© Adobe Stock

Vor fast exakt einem Jahr feierte »Solvent«, der bislang letzte Film von Johannes Grenzfurthner, seine Weltpremiere im Rahmen des Slash Filmfestivals. Mit dem grotesken Horrordrama knüpfte der Regisseur an seine anderen unabhängig produzierten Filmprojekte an, die allesamt mit einem für Langfilme bescheidenen Budget umgesetzt wurden – oder: umgesetzt werden mussten. Um die Situation für österreichische Filmproduktionen im mittleren Budgetbereich zu verbessern, fordern Grenzfurthner und das von ihm mitgegründete Kunstkollektiv Monochrom nun in einem offenen Brief eine Förderschiene für Projekte in einer Größenordnung von 100.000 bis eine Million Euro. Diese fehle nämlich schlicht und ergreifend. Der Initiator der Aktion hat uns dazu einige Fragen per Mail beantwortet.

Euer offener Brief ortet einen Mangel an adäquater Filmförderung, was Produktionen im mittleren Budgetbereich betrifft. Welche Rolle spielt dieses Segment in künstlerischer wie wirtschaftlicher Hinsicht für die österreichische Filmbranche?

Johannes Grenzfurthner: Dieses Segment ist in gewisser Weise das Rückgrat einer vitalen, vielfältigen Filmszene – und zugleich die Zone, die in Österreich am meisten vernachlässigt wird. Das hat wohl auch damit zu tun, dass in den 1980ern mit der Gründung des ÖFI alle froh waren, dass die »Pimperlförderung« (Zitat Franz Novotny) endlich weg war, und dass sich Regisseur*innen und Filmemacher*innen endlich vom Staat in den Budgets ernst genommen fühlten.

Aber nun hat sich herauskristallisiert, dass es das »middle« nicht gibt. Während Mikrobudget-Projekte oft durch das Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport (BMWKMS) oder durch kleinere Landesförderungen (die MA 7 in Wien etc.) unterstützt werden und größere Produktionen auf etablierte Strukturen wie das Österreichische Filminstitut (ÖFI), den Filmfonds Wien oder Senderpartnerschaften zurückgreifen können, fehlt für mittlere Budgets eine tragfähige, konsistente Förderstrategie.

Künstlerisch ermöglichen es mittlere Budgets, über das reine Improvisieren hinauszugehen, ohne sofort den Zwängen großer Marktlogiken zu unterliegen. Das heißt: Man kann Filme machen, die handwerklich sauber produziert sind, mehr Drehtage und bessere Postproduktion haben, aber trotzdem mutige Geschichten erzählen, Genregrenzen sprengen oder internationale Themen anpacken. Und ich brauche ja nicht dazuzusagen, dass alle, die in der österreichischen Filmbranche tätig sind, wichtig sind. Wenn dieser Bereich fehlt, verschwindet der lebendige, riskante Mittelraum – und mit ihm auch ein Stück kulturelle Identität.

Denkst du, dass Filme aus dem Arthouse- und DIY-Bereich unterschätzt werden und dass die Förderlücke deswegen existiert?

Ja, definitiv. Förderlogiken orientieren sich oft an Marktchancen sowie an klar messbarer Verwertbarkeit. Für die Fördernden ist das natürlich auch eine Frage: Wer gewinnt für uns Preise bei den A-List-Festivals? Arthouse-, DIY-, aber auch Genrefilme, die oft unkonventionell sind, passen in dieses Raster nicht vollkommen hinein. Dabei sind genau das ihre Stärken: Originalität, Handschrift, kulturelle Relevanz.

In Österreich werden diese Projekte aber von der »Großförderung« oft als »zu riskant« oder »nicht kommerziell genug« abgetan. Die Förderlücke ist also weniger ein Ausdruck von fehlendem Talent, sondern von einer Förderlogik, die nicht alle Formen von Qualität anerkennt.

Johannes Grenzfurthner am Set von »Solvent« (Bild: Raphael Pickl)

Was hat euch als Kunstkollektiv Monochrom gerade jetzt dazu bewegt, diesen offenen Brief zu formulieren?

Seufz! Da kamen mehrere Dinge zusammen. Erstens haben wir über Jahre erlebt, wie Kolleg*innen – und auch wir selbst – an dieser Lücke scheiterten oder jämmerliche Kompromisse eingehen mussten. Außerdem gibt es kaum eine künstlerische Sparte, in der die finanzielle Mechanik die Leute so auseinanderdividiert.

Zweitens gibt es gerade jetzt viele Diskussionen über Filmförderung, vor allem zum ÖFI+-Debakel der letzten beiden Jahre und jetzt zur FISA-Entscheidung. Unterhaltungsmusik und Filme in jeder Form (also auch Kunstfilm) sind nicht als Kulturgut rechtlich abgesichert, deswegen sind sie bei Förderkürzungen quasi vogelfrei und als Sparten die ersten Bauernopfer, die zur Köpfung geführt werden. Da plant der Regieverband auf Initiative von Paul Poet für den Herbst auch noch eine Kampagne, damit das mal geändert wird. Bei Oper geht Einsparung nicht. Beim Film könn’ ma draufhauen und ein paar Scheiberl zu viel wegsäbeln – weil es rechtlich geht. Was der Herr Babler da gerade kürzungstechnisch aufführt, das ist Wahnsinn. Sogar für Filmemacher*innen, die längst im etablierten Radl sind, ist die Situation schwierig. Und für Leute, die vom System noch gar nicht wirklich wahrgenommen werden, natürlich erst recht. Denen fühlen wir uns zugehörig, aber auch verpflichtet. Was wir da in den letzten Jahren beobachtet haben, ist einfach tragisch. Wir wollten dieses Thema einmal öffentlich sichtbar machen, bevor es wieder in der Donau versandet.

Als solidarische Gruppe sehen wir uns nicht nur in der Verantwortung für unsere eigenen Projekte, sondern auch gegenüber der Szene. Diese Förderlücke ist kein Randproblem einzelner Künstler*innen, sondern betrifft mittlerweile eine ganze Generation von Filmemacher*innen, die im internationalen Vergleich im Nachteil sind.

Die finanziellen Dimensionen einer Filmproduktion sind für Außenstehende oft wenig greifbar. In welchen Bereichen unterscheiden sich größere Produktionen mit Budgets in der Höhe von mehreren Millionen Euro von Produktionen mittlerer Größenordnung, die mit Budgets zwischen 100.000 und einer Million Euro auskommen müssen? In welchen Departments muss bei Letzteren besonders zurückhaltend vorgegangen werden?

Was im Film so teuer ist, ist einfach: Arbeitszeit. Viel, viel, viel Arbeitszeit. Die Unterschiede spürt man in allen Phasen der Produktion:

Drehzeit: Große Filme können Puffer einbauen, Reshoots machen – kleinere Budgets müssen enger getaktet arbeiten. Wir kennen das ja fast sprichwörtlich aus dem Indiebereich in den USA. Dort gibt’s natürlich keine Förderung, deswegen sind Produktionen dort oft sehr kreativ im Umgang mit Mangel.

Postproduktion: Das ist oft der Bereich, wo man am härtesten sparen muss – weniger Zeit für Sounddesign, Colorgrading, VFX.

Logistik: Reisen, Unterkünfte, derart – große Produktionen haben Spielraum, kleine kaum.

Am stärksten spürt man es bei Postproduktion und Drehtagen. Da wird ständig abgewogen: Setze ich lieber einen zusätzlichen Drehtag an oder investiere ich in Sounddesign? Solche Kompromisse sind tägliche Realität.

Fazit: Viele Produktionen werden auf ein Maß geschrumpft, das nicht mehr wirklich funktioniert, aber das Aufblähen auf ein fürs ÖFI funktionierendes Budget klappt auch nicht. Es wird oft gesagt, dass dadurch Standards und Bezahlung unterwandert würden, aber es passiert schlicht deswegen, weil der Sprung zum großen Budget nicht gelingen kann beziehungsweise eigentlich gar nicht notwendig wäre.

Ich trete deswegen nicht für Selbstausbeutung ein und das »Wir machen das schon alle gerne für quasi nix«, sondern ganz im Gegenteil: Ich würde hier gerne Realismus in der Wahrnehmung einfordern. Durch die Demokratisierung des Mediums ist auch nicht mehr davon auszugehen, dass jede*r österreichische Filmemacher*in durch die Filmakademie geht und dann aus der Kaderschmiede direkt in die Branche wandert. Ganz im Gegenteil. Die jungen Leute, die mit uns zusammenarbeiten, sind oft ganz baff, dass sie eine Förderung beantragen könnten. Ich kenne Leute, die schon Spielfilme selbst gestemmt haben, die dann halt auf Youtube landen, und die gar nicht wissen, dass sie eigentlich die nächste Generation wären, um die sich die Kulturnation kümmern sollte.

Du bist selbst Filmschaffender. Zuletzt waren deine Filme – etwa »Masking Threshold« (2021), »Hacking at Leaves« (2024; kostenlos zum Download verfügbar) oder »Solvent« (2024) – bei heimischen wie internationalen Festivals zu sehen. Waren diese Produktionen von der beschriebenen Förderlücke betroffen? Und falls ja: Wie wirkte sich das in der Umsetzung konkret aus?

»Masking Threshold« hatte ein Gesamtbudget von 25.000 Euro – für das, was wir geleistet haben, war das natürlich zu wenig. Aber da das Projekt als Zwei-Kopf-Team im Dreh konzipierbar war, ging sich das trotz aller Verknappung irgendwie aus. Und ich verstehe auch, dass ich mich gerade im Genrebereich erst einmal etablieren musste. Der internationale Erfolg, zum Beispiel ein Platz unter den Top-5-Horrorfilmen 2022 in der New York Times, hat dann gezeigt, dass es geklappt hat. Aber das ist ja noch nicht alles.

Bei »Solvent« war das Problem dann aber ganz offensichtlich: Ein hochpolitischer, aneckender und auch brutaler Genrefilm wäre vom ÖFI nie gefördert worden. Deshalb sind wir über die kleine Förderschiene gegangen und haben immerhin 100.000 Euro auftreiben können. Realistisch gebraucht hätten wir aber 300.000 bis 350.000 Euro – das war in Österreich schlicht nicht möglich.

Und bei meinem neuen Film »You Were Never Here« gehen wir deshalb einen anderen Weg: Wir arbeiten mit der kanadischen Firma Sunsmasher als Hauptproduzenten zusammen, weil die Chancen in Kanada für dieses Projekt besser stehen als hier. Damit habe ich kein Problem – ich freue mich über die Kooperation. Aber für die österreichische Filmszene finde ich es natürlich schade, dass man solche Projekte ins Ausland verlagern muss.

Gibt es Beispiele aus anderen Ländern, an denen man sich hinsichtlich einer Förderschiene für Filmproduktionen im mittleren Budgetbereich orientieren könnte?

Aber hallo! Ja, in vielen europäischen Ländern gibt es spannende Modelle. Die skandinavischen Staaten haben da interessante Angebote. Oftmals wird der Gap auch lokal abgefedert, durch größere Budgets im Länderbereich. Aber es geht nicht nur ums Geld, sondern um Strukturen. Der Filmemacher Sepp R. Brudermann hat in einer Reaktion auf unseren Brief einen zentralen Punkt genannt: Österreichs 100-Prozent-Budget-Regel blockiert internationale Koproduktionen. Geld fließt erst, wenn das gesamte Budget bestätigt ist – während international längst üblich ist, dass Postproduktionsfonds oder Broadcaster auf Rough Cuts setzen. Besonders problematisch ist das für Filmschaffende aus dem globalen Süden. Dort bringen viele die Idee, den Zugang und oft jahrelange unbezahlte Vorarbeit mit – in Österreich gilt das aber nicht als Wert. International wird das längst anerkannt, hierzulande nicht. Brudermann spricht zu Recht von einem kolonialen Muster: Storys werden zwar gern genommen, aber die Bedingungen, unter denen sie entstehen, bleiben unsichtbar. Das zeigt: Es geht nicht nur um mehr Mittel, sondern um Regelwerke, die endlich internationale Realitäten zulassen.

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