Nerdistischer Selbstexorzismus – »Masking Threshold« von Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner, Mitbe­gründer des Kunst- und Theorie­kollektivs Monochrom, wurde zuletzt für »Masking Threshold« inter­national auf diversen Genrefilm-Festivals gefeiert. Sein Protagonist macht sich darin wortreich und in immer unbarm­herzigeren Experi­menten auf die Suche nach einer Erklärung für den Tinnitus, der ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – in den Wahnsinn treibt. Der wirklich außer­gewöhnliche Horror­film feiert bei der Diagonale seine Österreich­premiere.

© Florian Hofer

Zum Einstieg etwas Persönliches: Hast du einen Tinnitus?

Johannes Grenzfurthner: Nein. Ich hatte mal für fünf bis zehn Minuten einen, mit 22 oder 23. Der ist dann aber von selbst wieder ver­schwunden. Gott sei Dank!

Also war das nicht der Ausgangspunkt für »Masking Threshold«?

Der Ausgangspunkt war nicht der Tinnitus, nein, es war umgekehrt: Ich hab etwas gebraucht, das einen Menschen in den Wahnsinn treiben kann und das im positivistischen Halb­bereich zwischen glaubhaft und nicht glaubhaft liegt. Da erschien mir der Tinnitus perfekt – andere können ihn nicht hören, nur die Person selbst, und es ist bis jetzt auch nicht ganz klar ist, wo dieses Phänomen wirklich herkommt. Die Bücher, die im Film zu sehen sind, hab ich alle gelesen. Wie der Protagonist hab ich mich recht rein­gesteigert in das Thema.

Gegen Ende hin eskaliert die Handlung dann ziemlich.

Ja, das Ganze ist so eine exponentielle Kurve des Grauens.

War das dein Plan für den Film?

Es war von Anfang an klar, dass es ein Genrefilm sein soll, ein Horror­film, obwohl er natürlich auch etwas sehr Art­housiges hat. Aber ich wusste, dass es am Schluss auf eine Art experimen­tellen Splatter hinaus­laufen wird. Kurt Kren auf Meth.

Ein wichtiger Faktor sind dabei die Makro­aufnahmen.

Genau, ich hab es nicht gemessen, aber 60, 70 Prozent sind Makro­aufnahmen oder Detail­aufnahmen. 65 mm for the win!

»Masking Threshold« ist außerdem ein sehr schnitt­intensiver Film. Waren das Dinge, die dir immer genau so vorge­schwebt sind?

Das war tatsächlich das Erste, das ich gewusst habe. Ich wollte die Geschichte von einem Typen erzählen, der wahn­sinnig wird und der dahinter­kommen möchte, was mit ihm los ist. Eine Grund­idee war auch, dass er sich quasi in seinem Zimmer einsperrt und am Schreib­tisch diese Experimente macht. Ein Großteil davon sollte mit Makro gefilmt werden, denn alles ist doppelt so furchtbar, wenn man es sich in Makro anschaut – selbst Pizza. Das hat für mich schön zusammen­gepasst mit der grund­sätz­lichen Idee, dass da ein Typ in seinem Schreib­tisch versinkt, dass die Welt immer kleiner und kleiner wird und er seinen Blick immer mehr auf das Mikro­skopische, das Detaillierte richtet, sich darin verliert.

Wie hat sich dann die Zusammen­arbeit mit deiner Co-Autorin Samantha Lienhard ergeben?

Ich hab irgend­wann gemerkt, dass die Geschichte Love­craft’sche Züge hat. Mit 13 hat mich H. P. Lovecraft unglaublich fasziniert. Allerdings kann Lovecraft ohne Kritik gar nicht mehr gelesen werden. Kritik an ihm, Kritik an der rassistischen WASP-Kultur Neu­englands, Kritik an der bürger­lichen Literatur und ihrer Tendenz, neue Stimmen auszugrenzen. Lovecraft war Täter und Opfer. Das sind auch wesent­liche Elemente meines Films. Ich wollte jedenfalls die Grundidee des kosmischen Horrors, der von Lovecraft immer gezeichnet wurde, einbetten, und da hab ich mir gedacht, ich brauche jemanden mit an Bord, der noch tiefer in der Thematik steckt. Bei einer Online-Recherche hab ich dann Samantha kennen­gelernt, die in Pennsyl­vania lebt. Sie war beim Ausarbeiten des Drehbuchs mein Sparring-Partner.

Gedreht hast du schließlich mit Florian Hofer als Kameramann.

Flo hab ich 2019 durch David Kleinl am Porn Film Festival Vienna kennen­gelernt. Die beiden hatten für einen artsy Kurzporno zusammen­gearbeitet, der dort mit einem Preis ausge­zeichnet wurde. David hat mir Flo als unglaublich detail­verliebten Kamera­mann vorgestellt: »Wenn du mal jemanden brauchst, der echt ein I-Tüpfel-Reiter ist, ein Technik­besessener, der aber auch ein kompromiss­loser Ästhet ist, dann nimm den Flo.« Das hab ich getan, weil er für diesen Film genau der Richtige war.

Die Handlung spielt in den USA, gedreht wurde aber in Österreich, richtig?

Genau. Wir haben bei mir in der Wohnung ein Zimmer ausgeräumt und speziell dafür eingerichtet. Um glaubhaft einen ameri­kanischen Haushalt zeigen zu können, bin ich mit zwei leeren Koffern nach Amerika geflogen. Ich hab von dort einfach alles mitge­nommen, was wir laut Skript brauchen würden – Essig, Kau­gummis, Schmerz­tabletten, Salz, Kapperl. Eine Rumpel­kammer des amerikanischen Alltags­realismus, die ich nach Österreich geschleppt hab.

Und warum spielt der Film in den USA und nicht in Österreich?

Es gibt ein paar gute Beispiele für Horror­geschichten, die in Österreich spielen, das stimmt. Aber es geht ja auch um die Situation, in der sich mein Protagonist befindet, um das Gesund­heits­system, in dem die Leute relativ allein­gelassen werden. Und auch im Sinne einer Horror­tradition hab ich mir gedacht, dass es einfach besser passt, wenn der Typ irgendwo in einer Klein­stadt in Florida hockt und 305’s raucht.

Die Hauptrolle hast du selbst übernommen. War das immer so geplant?

Das optische Grund­konzept war, fast die ganze Zeit im Makro zu bleiben – da ist es voll­kommen egal, wer das spielt. Also hab ich gesagt, ich mach es. Doch dann sind wir beim Filmen draufge­kommen, dass es manchmal Zwischen­aufnahmen braucht, dieses Rausspringen. Sonst verliert man sich komplett. Und da war es dann zu spät, weil meine Hände und andere Körper­teile von mir schon im Bild waren. Jetzt ist der Protagonist eben ein Hybrid­wesen aus meinem Körper und der Stimme von Ethan (Haslam, dem US-amerikanischen Synchron­sprecher; Anm.).

Ein Old-School-Nerd als Horrorfilm-Regisseur: Johannes Grenzfurthner (Bild: K-Pachs)

Der Film ist sehr textlastig, steckt voller Informationen, ob sie nun richtig oder falsch sind …

Stimmt. Das Lustige ist ja, dass das Ganze auch ein bisschen der Versuch war, durchzu­denken, wie ich selbst wäre, wenn ich so etwas hätte. Aber halt tausend­mal schlimmer. Also es war schon ein bisschen ein nerdistischer Selbst­exorzismus, die eigenen dunklen Gedanken durchzu­exerzieren. Aber prinzipiell: Das ganze Zeug, das der Protagonist so erzählt – über Audiologie und Flechten und Skepti­zismus und Evolution –, das stimmt eigentlich alles. Das würde ich selbst beim Heurigen wahr­scheinlich genauso erzählen, wenn das Gespräch darauf käme. Worum es mir gegangen ist, ist ja auch: Wenn das nicht mehr in einen sozialen Rahmen eingebettet ist, wenn das Individuum völlig ausrastet, dann ist es ja prinzipiell auch egal, ob er Recht hat oder nicht.

Mein Protagonist ist ja nicht gerade als ein sympathischer Charakter gezeichnet, aber ich glaub schon, dass man bis zu einem gewissen Grad mit ihm mitgeht, ihn versteht. Irgend­wann gibt’s dann halt den Punkt, wo das hoffentlich nicht mehr der Fall ist. Ich frag das auch gerne die Leute, die den Film gesehen haben: Ab wann geht es für dich nicht mehr? Wo ist der Punkt, an dem du sagst, jetzt ist er wirklich nur mehr ein Arschloch oder psychotisch? Interessant ist, dass die Antworten darauf ganz unter­schiedlich ausfallen. Bei manchen ist es von Anfang an so. Bei manchen geht es erst los, als er den Vogel umbringt … Und die Experimente mit Ameise und Nackt­schnecke – die sind egal? Erst beim Vogel geht’s nicht mehr? Das ist aber recht spät. (lacht)

Im Abspann steht, dass bei den Dreh­arbeiten – anders als man vermuten könnte – außer einer Ameise keine Tiere zu Schaden gekommen sind.

Stimmt. Die eine Ameise hab ich wirklich zerdrückt, das musste sein.

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