Auf einer Kuh in die Sonne

Vea Kaiser, 23-jähriger Literaturstern, erklärt im Gespräch, warum Homer Vergil vorzuziehen ist, ihr Pferde in der Leberkäsesemmel lieber sind und sie die Berge hasst.

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The Gap: Vea, du hast mit „Blasmusikpop“ ein sehr detailliertes Buch über das Dorfleben in der fiktiven, abgeschiedenen Gemeinde St. Peter am Anger geschrieben. Darf ich fragen, von welchem Berg du selbst kommst?

Vea Kaiser: Von keinem. Ich bin in einer 1.000-Einwohner-Gemeinde im Wienerwald und in der Wachau groß geworden und in St. Pölten zur Schule gegangen. Ich hatte das Dorfleben für mein Buch als Anschauungsmaterial und meine Eltern und Großeltern gefragt, ob sie lustige Geschichten aus dem Dorf kennen. Zu sehen und zu hören, wie Dorfmechanismen funktionieren, inspiriert einen, eigene Einfälle und Geschichten zu erfinden. Es ist aber fast alles, was im Roman vorkommt, frei erfunden. Denn die Realität war oft schlimmer als die Geschichten, die ich mir ausgedacht habe.

Willst Du ein reales Beispiel geben?

(Überlegt) Nun, dort wo ich aufgewachsen bin, zogen ziemlich viele junge Familien und Paare mit Kinderwunsch hin, weil der Ort günstig zwischen St. Pölten und Wien liegt und viel Natur rundherum ist. Eine Zeitlang rühmte man sich damit, die höchste Geburtenrate Niederösterreichs zu haben. Die „Zugereisten“ haben dann natürlich den Ort mitgestalten wollen – auch politisch. Bei der letzten Gemeinderatswahl haben dann die Alteingesessenen bemerkt, dass wohl einer der Zugereisten neuer Bürgermeister werden wird. So etwas geht am Land natürlich gar nicht. Also gründeten die Einheimischen eine neue Partei. Im Wahlkampf herrschte dann Krieg. Wahlplakate vom politischen Gegner verschwanden. Es gab Hausdurchsuchungen in Scheunen und Ställen der Bauern.

Gibt es nennenswerte Sehenswürdigkeiten in deiner Heimat? Burgen, Schlösser, einen besonderen Baum, Kraftplätze, regelmäßige Marienerscheinungen?

Nein, wir haben nur einen kleinen Hügel mit einem einzigen Schlepplift, mehr passt auf den nicht drauf. Und der ist nur wenige Tage im Jahr im Betrieb. Aber er ist der Schlepplift, der St. Pölten am geografisch nächsten ist.

Hast Du dort Schifahren gelernt?

Um Gottes willen! Ich hasse Schifahren. Ich schau mir zwar unheimlich gerne Schirennen im Fernsehen an, aber ich mag es selbst nicht machen. Ich mag auch Snowboarden und Wandern nicht. Mir hat sich der Sinn davon noch nie erschlossen, dass Menschen wo rauf gehen, um einfach oben zu sein und dann wieder runter gehen. Ich bin kein großer Fan von Bergen und kann mit ihnen nicht wirklich was anfangen.

Das klingt dann nach ziemlich harter Recherchearbeit.

Ja, ich habe wie wahnsinnig recherchiert und zahlreiche Bergsteiger- und Geografiebücher gelesen. Ich wollte ja von Anfang an über ein von der Zivilisation abgetrenntes Dorf schreiben. Es war naheliegend, diesen Ort, dieses St. Peter am Anger, auf einem Berg anzusiedeln. Zum hochalpinen Dorf ist es dann aber erst beim Schreiben geworden.

Und dieses St. Peter am Anger liegt in den fiktiven „Sporzer Alpen“. In der Schweiz gibt es übrigens einen Ort, der Sporz heißt.

Ich weiß. Ich war mit meinem Freund in der Schweiz unterwegs, als unser Auto in der Nähe von Sporz zusammengebrochen ist und wir dort übernachten mussten. So kam das Gletschermassiv, in dem St. Peter am Anger liegt, zu seinem Namen.

Ein St. Peter am Anger gibt es dafür aber tatsächlich. Gleich in der Nähe von Böheimkirchen, Deiner Gegend sozusagen …

Ja und mit der Namensgebung des Dorfes hat es eine ähnliche Bewandtnis. Nur ist in St. Peter am Anger nicht das Auto zusammengebrochen, sondern ich.

Wie das?

Ich jogge gerne. Beim Laufen kommen mir nämlich immer die besten Einfälle. Wenn ich mein Leben ändern will, dann geh ich immer joggen. Vor ein paar Jahren – es war glaub ich 2006 – kam mir dabei die Idee zu diesem Dorfroman. Ich war so begeistert und bin gelaufen und gelaufen und gelaufen. Dabei habe ich allerdings nicht auf den Pulsmesser geachtet und irgendwann war ich derart außer Puste, dass es mich »«zamdraht“ hat. Das war genau vor dem Ortsschild St. Peter am Anger.

Gut, dass du dich wieder erholt hast. Aber heißt das, du hast sechs Jahre an dem Buch gearbeitet?

Mehr oder weniger. Vier Jahre Gedankenarbeit, zwei Jahre Schreibarbeit.


In deinem Roman spielt ja ein Bandwurm eine sehr wichtige Rolle. Woher rührt die Begeisterung für Würmer?

Ich war im Naturhistorischen Museum und habe mich in die Wurm-Abteilung verirrt. Dort bin ich gleich mehrere Stunden geblieben. Ich kann mich schnell für Dinge begeistern und sauge dann dieses Wissen wie ein Schwamm auf. Über Würmer könnte ich stundenlang erzählen, die faszinieren mich einfach. Ursprünglich wollte ich ja einen historischen Roman über Wurmforschung schreiben. „Blasmusikpop“ hat dann aber das geplante Wurmbuch quasi gefressen.

Einige Stellen haben es dann aber doch ins Buch geschafft.

Ja, ich lasse ja alle Dinge, für die ich mich begeistere, in meine Texte einfließen. Eine Geschichte ist für mich wie ein volles Zimmer.

Wie schaut eigentlich dein Zimmer aus? Ist das auch vollgeräumt?

Bei mir ist alles vollgestellt mit Details und Kleinigkeiten. Champagnerflaschen von Geburtstagen zum Beispiel.

Mistest du auch aus?

Ja, wenn es zu voll wird, werfe ich Sachen weg, die ich dann aber alsbald wieder fürchterlich vermisse. Das ist sehr schmerzhaft, aber auch heilend. Beim Schreiben ist das nicht anders. Vieles von dem, was ich für „Blasmusikpop“ geschrieben habe, musste ich wieder rauskürzen.

Das Buch hat jetzt knapp 500 Seiten, wie viel hast du gestrichen?

Ich habe – alles zusammen – circa 4.000 Seiten geschrieben. Vor allem die temporären Faszinationen fielen dem Rotstift zum Opfer. Zum Beispiel fand ich es eine Zeitlang ziemlich toll, wenn Mädchen auf Kühen reiten. Dazu gibt es unzählige Videos auf YouTube.

Was fasziniert Dich so an Cowgirls?

(Lacht) Ich glaub, ich würde selbst gern ein Cowgirl sein und auf Kühen reiten. Also, ich saß mit vier Jahren einmal auf einem Pferd und das ging sofort mit mir durch, seitdem mag ich Pferde nur als Leberkäse. In meiner Jugend war ich dann irgendwie sauer, dass alle anderen Mädchen reiten und Pferdesticker sammeln, und ich aufgrund meines Traumas nicht mitmachen konnte. Mit einer Kuh würde ich allerdings sofort in den Sonnenuntergang reisen.

Du gehst mit Deinem Figureninventar liebevoll aber auch sehr ironisch um. Bei den Vorgängen im Dorf wird nichts beschönigt, Dein Held, der eigenbrötlerische Johannes, wird behutsam ins Leben eingeführt. Du verklärst nichts, klagst aber auch nicht dezidiert an. Bist Du einverstanden, wenn man sagt, du hast einen Anti-Anti-Heimatroman geschrieben?

Das ist eine schöne Bezeichnung. Ich schaue ja immer auf den Buchbestellseiten nach, wie der Roman tituliert wird. Familienroman, Heimatroman, moderner Heimatroman liest man öfters …


Was ist das Buch für dich?

Ein Blasmusikpoproman.

Das heißt was genau?

Ich wollte die Geschichte von einem Jungen und seinem Dorf mit einem Poproman verbinden. Poproman heißt ja, nach meiner Definition, dass sehr stark zitiert wird, was für die Figuren elementar ist. Orte, Clubs, Markenkleidung, Musik, Helden aus Film, Literatur oder Comics. Wenn ich einen Poproman am Land schreibe, dann ist es der Landkosmos, der für die Figuren elementar ist. Die Feuerwehr, Fußball am Dorfplatz, Maibaumaufstellen, Seifenkistenfahren, die katholische Kirche oder eben Blasmusik.

Schwere Frage: Wer ist deine Lieblingsfigur im Roman?

Ich liebe sie alle.

Geh bitte, das musst du jetzt ja sagen …

Gut, der kleine Ministrant Wenzel, der auf seine Weise zum Helden wird, aber die Dorfältesten auch nicht retten kann vor einer Nacht im Auto.

Eine schöne Episode. Schön ist auch die elementare Liebe Ihres Helden Johannes zur altgriechischen Sprache und zu seinem Idol, dem antiken Geschichtsschreiber Herodot von Halikarnassos. Du studierst doch auch selbst Altgriechisch, oder?

Ja. Das Interesse für die Antike wurde bei mir in der Schule geweckt. Ich hatte immer das Gefühl, ich lerne im Griechisch-Unterricht mehr als in allen Schulfächern zusammen. Wenn man Griechisch studiert, hat man eine riesige Leidenschaft für Geschichte und Geschichten. Man hat einfach einen Riesenfundus an Erzählungen und Biografien, der einen inspiriert und auf den man zugreifen kann. Griechisch-Studenten träumen sich auch sehr gerne aus der Gegenwart weg. Ich zum Beispiel kann die Gegenwart immer sehr gut ausblenden.

Versteht man die Gegenwart dann noch, wenn man sich in Gedanken auf Schlachtfeldern 700 v. Chr. tummelt?

Ich glaube schon. Es gibt ja den schönen Spruch „ Die Geschichte wiederholt sich immer“. Nehmen wir zum Beispiel die Finanzkrise her. Griechenland ist ja nicht zum ersten Mal pleite, sondern im Laufe seiner Geschichte bloß schon wieder einmal.

Was waren die Gründe für den ersten richtigen Staatsbankrott?

Nun, sie habe bereits in der Antike alle Bodenschätze verbraucht und alles war viel zu bürokratisch aufgebaut. Demokratie ist eben teuer. Zudem hatten die Griechen auch noch ein viel zu großes Heer. Das Faible für ein großes Rüstungsbudget ist also auch nicht ein ganz so neues Thema. Und überhaupt: Das Land ist ja schon allein von seiner Struktur her unrentabel und unökonomisch. Lauter Inseln – wie soll man da vernünftig untereinander Handel treiben?

Italien geht es auch nicht besonders gut im Moment, wie hältst du es mit den Römern?

Die römische Kultur ist absolut unspannend. Sie haben in ihrer Zeit als Imperium keinen einzigen eigenständigen Kunstgegenstand hervorgebracht. Sie waren gute Architekten, ja, aber ansonsten ist alles Römische von den Griechen abgekupfert. Die Römer waren ein kunstloses, dekadentes, kriegerisches Volk. Und in der Literatur gibt es Ovid, ansonsten nichts. Wer bitte liest freiwillig Vergil, wenn man Homer lesen kann?

Eine rhetorische Frage?

Ich hänge halt an den Griechen. Das Tragische ist, dass ich besser Latein als Griechisch kann, weil es eben die einfachere Sprache ist. Und eigentlich ist Latein nach wie vor noch eine lebendige Sprache. In der Medizin, in der Biologie, oder wenn du Priester im Vatikan verführen willst.

Mit dem Land-Katholizismus gehst du in deinem Buch auch sehr entspannt um. Johannes besucht ein Stiftsgymnasium der Benediktiner. Abgründe werden zwar angedeutet, aber die sind ja nahezu niedlich im Vergleich dazu, was in den letzten Jahren so an die Oberfläche kam.

Man kann über die katholische Kirche sehr viel Kritisches schreiben und es ist einer der schlimmsten Vereine ever. Aber ich wollte in meinem Buch jetzt die Kirche nicht zum Bösen machen. Dazu gab es keine Veranlassung. Außerdem ist literarisch gesehen der Katholizismus ohnehin schon völlig dekonstruiert. Die Kirche ist vielmehr für mich, aber auch für viele andere junge Autoren ein Codepool, an dem man sich bedienen kann.

Du kommst gerade aus Prag, wo du an einem neuen Buch arbeitest. Worum wird es gehen?

Mein nächster Roman spielt auf einer kleinen, erfundenen griechischen Insel. Die Insulaner wollen verhindern, dass die Insel bankrott geht.

Du hast es anscheinend mit kleinen Gemeinschaften abseits der Welt?

Ja, einen Großstadtroman wird es von mir niemals geben.

"Blasmusikpop" wäre am 16. August bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, erscheint jetzt aber doch früher und ist auch schon im Handel erhältlich.

Bild(er) © Anna Lisa Dorsch
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