Singer-Songwriterin Violetta Parisini und Garish-Frontman Thomas Jarmer sprechen offenherzig über Vereinbarkeit von Musik und Familie, durch Schlafentzug bedingtes Zombiestadium und andere Schattenseiten der kleinen Sonnenscheine.
Es wird geschrien und gebrüllt. Richtig laut geht es stellenweise in der Grünen Hütte zu, einem Café-Restaurant am Rande des Wiener Praters. Violettas zweijährige Tochter wird mit Mannerschnitten bestochen, der vier Monate alte Sohn von Thomas hält nicht lange still im Maxi-Cosi und wird von seiner Mutter umsorgt. In Summe sehr stimmig für ein Gespräch über Musikschaffen und Nachwuchsfragen.
Was bedeutet es für euch persönlich, Mutter oder Vater zu sein?
Thomas: Großer Wille zur Geduld. Aber an und für sich, um es blumig zu sagen: ein bisschen der Reiseleiter zu sein. Es geht schlussendlich darum, ein gewisses Maß an Orientierung zu bieten.
Violetta: Ich finde das Bild des Reiseleiters großartig. Für mich ist immer wieder die Gratwanderung schwierig, Regeln aufzustellen oder Wertvorstellungen zu vermitteln und gleichzeitig die Kinder sie selbst sein zu lassen, ihnen ihren Willen nicht zu nehmen. Meine Kinder haben beide einen sehr starken Willen, und das ist großartig, das wird ihnen viel bringen im weiteren Leben.
Bevor man Eltern wird, hat man neun Monate Zeit, sich darauf vorzubereiten – was ist denn anders eingetreten, als ihr es euch vorgestellt habt?
Violetta: Alles!
Thomas: Man hört viel von anderen, wie es sein kann, wenn es einen selber betrifft, ist es von der Rolle her etwas völlig anderes.
Violetta: Für mich war es diese totale Angewiesenheit auf andere, das erste Mal vielleicht seit meiner Kindheit. Ich habe einfach Hilfe gebraucht, ich habe gewusst, »da kommst du alleine nicht durch«, und das so vorher noch nie erlebt. Meine erste Geburt war wirklich furchtbar, die Hilflosigkeit, die Schmerzen, es war eigentlich schrecklich. Das Körperliche hat mich ziemlich umgehauen, hat mich auch psychisch sehr beschäftigt. Und die Tatsache, dass man danach keine Zeit mehr hat ‒ für sich. Als Frau noch viel extremer, wenn du stillst. Du bist einfach lange nicht mehr alleine mit dir selbst.
Was ging bei euch musikalisch nach der Geburt der ersten Kinder weiter?
Violetta: Ich habe mein zweites Album zwei Monate vor meiner ersten Geburt herausgebracht. Unsere größere Tochter war kein geplantes Kind, sonst hätten wir das anders gemacht. Drei Monate nach der Geburt habe ich in Deutschland mein erstes Konzert gespielt. Da ist mein Mann einfach mitgekommen, wir sind durch die Lande getingelt und ich habe gespielt. Ich habe sogar ein bisschen geschrieben. Nach der Geburt meiner zweiten Tochter habe ich aber beim ersten Konzert gemerkt, dass es sich einfach nicht mehr ausgeht. Da war mir klar, ich muss Pause machen. Jetzt ist die Kleinere im Kindergarten, und ich freue mich über die Zeit, wieder schreiben zu können. Dass ich jetzt wieder mit neuem Material auf die Bühne gehen kann, macht mich sehr froh.
Thomas: Das ist in der ersten Phase gar nicht möglich gewesen. Ich bin in einem Zombiemodus unterwegs gewesen, bin permanent an irgendwelche Gegenstände angestoßen vor lauter Schlafentzug, gegen den Türstock gelaufen, weil ich dieses Körpergefühl und diese Präzision verloren habe.
Violetta: Ja, das kenne ich!
Thomas: Es geht um ein Zurückfinden zu einer Tätigkeit, die mit einem inneren Auftrag verbunden ist, wie es beim Musikmachen der Fall ist – und gleichzeitig mit einem Auftrag von außen verbunden ist, wenn es darum geht, ein Album fertig zu machen. Ich war fast ein Jahr zuhause bei unserem ersten Kind und habe sehr viel mit einer Hand am Kinderwagen geschrieben, beim Spazierengehen. Einen Großteil des vorletzten Albums (»Trumpf«) habe ich auf diese Weise geschrieben, das hat mich selbst überrascht.
Wie unterscheidet sich das vorletzte Album von den vorhergehenden?
Thomas: Es ist viel aggressiver.
Wie hat sich deine Musik verändert, Violetta?
Violetta: Bei mir ist die Musik düsterer geworden. Ich habe früher viel Inspiration aus der Suche nach einer Art von Ankommen geschöpft, und angekommen bin ich vorläufig. Deshalb haben sich die Themen geändert. Ich habe immer viel gezweifelt, ob das, was ich mache, sinnvoll ist. Und das fragt man sich umso mehr, je mehr man sich mit großen Ereignissen wie Geburt oder Tod auseinandersetzt.
Wie haben sich deine Kinder auf das Bandleben bei Garish ausgewirkt?
Thomas: Im Verbund von uns vieren war ich der Erste, der ein Kind bekommen hat, und auch jetzt der Erste, der ein zweites bekommen hat. Der Erklärungsbedarf war immens groß, warum die Laune nicht immer so gut beziehungsweise die Haut etwas dünn ist. Unsere Hebamme hat treffend gemeint: Das erste Kind ist immer der Schneepflug, das macht den Weg für alle anderen frei, und so war es auch in der Band. Jetzt haben alle Kinder und das Verständnis für schlaflose Nächte ist bei allen da. Außerdem gibt es vor allem eine viel größere Verbindlichkeit, was Probentermine und dergleichen anbelangt. Wir arbeiten viel effektiver als früher, viel konzentrierter. Wir drehen bei der Arbeit am Album viel weniger unnötige Runden, bis wir auf den Punkt kommen. Wenn wir auf Tour fahren, sind wir nicht mehr länger als drei Tage von zuhause weg.
Violetta, dein Mann Sixtus Preiss ist ja auch Musiker …
Violetta: … und das ist wirklich sehr gut, weil wir beide uns unsere Zeit einteilen können. Was schwierig ist, nicht nur für Musiker, sondern auch andere Künstler und Selbstständige: Wenn man seine Arbeit aus seiner eigenen Quelle schöpft und einem niemand sagt, dann und dann muss etwas fertig sein, ist schnell immer etwas anderes wichtiger – und in meinem Fall sind das eben die Kinder. Das ist mein größtes Problem, wenn man so will, seit ich Kinder habe – die Kinder sind mir immer wichtiger als die Musik, die Musik leidet darunter. Diese Priorität setze ich nicht so klar, das passiert einfach.
Wie schaut euer Kinderbetreuungsnetzwerk aus, habt ihr Großeltern im Einsatz?
Thomas: Meine Mutter kommt einmal in der Woche nach Wien. Unser Großer und sie sind ein super Gespann. Das ist uns auch sehr wichtig zu wissen, dass er gerade gut aufgehoben ist und nicht bei einer Babysitterin, die wir kaum kennen.
Violetta: Wir haben glücklicherweise unsere Familien in Wien, und unsere Kinder verbringen viel Zeit mit ihren Großeltern und unseren Geschwistern und deren Familien. So viel Zeit und Hingabe könnten wir einem Babysitter nie bezahlen.
Was sagen die Kinder zu eurer eigenen Musik?
Thomas: Bei Konzerten im Sommer, wo der Große mit war, war er die ersten fünf Minuten immer sehr begeistert und aufgeregt, dann war etwas anderes wichtiger. Ich hatte in Jugendjahren die naive Vorstellung, dass meine Kinder eines Tages auf einem verstaubten Dachboden alte Fotoalben von mir finden und sagen: »Da schau her, der Papa war früher ein wilder Hund und hat in einer Band gespielt.« Und tatsächlich ist nun die Musik, die Band ein sehr präsenter Teil in unserem Leben.
Violetta: In letzter Zeit habe ich ein paar deutsche Lieder geschrieben. Eines davon beginnt mit »ich geh mir verloren«, das hat die Große nicht verstanden, und so reden wir dann über die Textzeilen. Was nicht einfach ist, einer Fünfjährigen so abstrakte Sachen näherzubringen. Das gibt auch mir eine andere Sicht auf die Texte, die ich niedergeschrieben habe.
Was sagt ihr, wenn eure Kinder selber MusikerInnen werden wollen?
Violetta: Ich wünsche mir, dass meine Kinder etwas machen, wofür sie brennen und wovon sie gut leben können. Ich habe selber sehr lange gebraucht, bis ich mich getraut habe, überhaupt Musik zu machen. Ich würde ihnen wünschen, dass sie nicht so viel zweifeln und auf ihr Herz hören. Ob das jetzt Musik ist oder Investmentbanking, ist mir eigentlich wurscht. Wobei Investmentbanking, I don’t know …
Thomas: Ob sie jetzt später Musik machen oder nicht – sie sollen etwas machen, das zu ihrer Persönlichkeit passt. Etwas, das ihrer Persönlichkeitsentwicklung förderlich ist.
Violetta: Egal, was man macht, es ist immer mit vielen Umwegen verbunden. Das ist auch gut so, und diese Umwege sollten wir unseren Kindern auch zugestehen.
Aktuelle Infos zu Violetta Parisinis Musikschaffen findet ihr hier. Zu jenem von Thomas Jarmer bzw. Garish hier.