Wohin mit der Blutlust? Wir brauchen Horror wie unsere täglichen Nachtträume. Zum Glück stillt eine Reihe von Serien unseren Durst. Ein Streichzug durch die Psyche mit paar aktuellen Serien-Empfehlungen.
Vampire-’n‘-Werewolf-Highschool
Wer sich gerne in den beliebten Schauplatz der Highschool begibt, ist mit der ausufernden Schauerwelt von "Hemlock Grove" gut bedient. Die Serie scheint in einer Art alternativen Welt zu spielen, in einem rätselhaft brütenden Industrieort in Pennsylvania. "Twin Peaks" ist da natürlich die erste Assoziation, aber "Hemlock Grove" schießt weit über seine Ziele hinaus, verfehlt das seltsame Spiel mit der Seifenoper, auf das sich Lynchs Serie eingelassen hat – und wird zu etwas, das einem etwas interessanterem "Twilight" gleicht: Zwei Buben, einer ein reicher, arroganter Blondling und einer ein armer Zigeuner (einer ist Werwolf, der andere so etwas wie ein Vampir – dreimal dürft ihr raten, wer was ist), verbindet eine unmögliche Freundschaft. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach dem rätselhaften Monstermörder hübscher junger Mädchen.
Dazwischen lauern andere Fabelwesen und Familiengeheimnisse, so wie Shelley, das liebenswerte Frankeinstein-Monster als monströse große Schwester oder eine eiskalte Detektivin, die auch irgendein Fabelwesen ist, ein Engel oder so, die Serie weiß es auch nicht so recht. "Hemlock Grove" lebt vor allem von seiner doch recht netten, fast originellen American Gothic-Atmosphäre und seinem überschwenglichen Teenager-Weltschmerz.
Hexenkessel des Mashup
Wenn Frankensteins Monster nun eigentlich die Moderne personifiziert, und der Diskurs darüber die Postmoderne, dann stellt sich die brennende Frage, was "American Horror Story" überhaupt ist. Ein vielköpfiges Monstrum, ein bombastischer Mashup in narrativer und visueller Form. Jede Staffel der Serie bietet einen neuen Horrorschauplatz samt neuer Epoche und Atmosphäre. Bisher gab es ein Spukhaus, eine Psychiatrie, einen Hexenorden in New Orleans – die aktuelle Staffel spielt wortwörtlich in einer Freakshow. Einziger roter Faden ist das Ensemble (in seiner Mitte, großartig: Jessica Lange), das sich jährlich in neuen Figuren neu formiert.
Das allein ist schon eine reizvolle Prämisse. Dazu aber kommt das Aufarbeiten der nationalen Traumata: Sklaverei, Holocaust, Highschool-Massaker, Rassismus, die Lindbergh-Entführung, Hexenverfolgung, die Angst vor dem Nicht-Konformen, religiöse Hysterie, Familie, Waffenwahn usw. "American Horror Story" ist wie die Synthese eines Kaleidoskops mit einem Rohrschach-Test – so, wie man es dreht und wendet, jeder kann etwas anderes Furchterregendes darin sehen. Verweise auf Zeit- und Kulturgeschichte türmen und überschneiden sich: So wird in einer winzigen Nebenhandlung der zweiten Staffel eine Patientin (Franka Potente) eingeliefert, die sich für Anne Frank hält – und sofort im gruseligen Oberarzt den ehemaligen Naziarzt eines Konzentrationslagers wiedererkennt. Nicht nur erhält die Patientin eine Lobotomie, uns wird auch noch vermittelt, dass sie nun zu einer Stepford Wife mutiert ist. Denn Horror ist geschmacklos und kennt kaum Gerechtigkeit.
Das eigentliche Aufarbeiten geschieht in einer dreisten und inkonsequenten Art, melodramatisch und witzig, prüde und kontrovers zugleich – Camp in seiner feinsten Form. Es ist eigentlich eine Erleichterung, dass es so etwas wie "American Horror Story" gibt. Diese Serie und die Lust, mit der sie sich ins Zeug legt, dabei Gutes zu Schlechtem macht und Schlechtes zu Gutem, lässt Hoffnung schöpfen. Wir leben nämlich in einem übersensiblen Zeitalter – überall fallen sogenannte "Trigger Warnings", ständig und von allen Ecken erscheinen Gründe, sich beleidigt oder angegriffen zu fühlen: die falsche Repräsentation seiner eigenen Identität etwa, oder die unendlich erscheinende Dominanz und Hierarchie der Geschlechter-Ordnung.
Gerne also versuchen todernste Medien sich dieser Themen anzunehmen, um anschaulich all das darzustellen, was unsere Kultur und Gesellschaft unerträglich, ja, grauslich macht. Was sich selbst dann für ein kritisches, gutes Kunstwerk hält, ist in Wahrheit nichts Anderes als ein Lobgesang und eine Feier jener Kultur, die eigentlich kritisiert werden sollte.
Einer der wirklich potenten Auswege aus der Hölle ist der Horror selbst. Durch Horror lernen wir die Lust an unseren Ängsten – wir lernen, das Bedrohliche zu konfrontieren und daraus etwas Genießbares zu machen. In manchen Fällen wird Horror zum puren Eskapismus. In anderen ist er die reine Konfrontation. Vor allem aber: Horror ist eine Gattung, die verdammt ist, ewiges Tabu zu bleiben. Egal wie hoch ihre Kunst, sie wird immer zu einer Untergrundgattung herabgestuft. Aber das gehört sich auch so. Horror muss subversiv bleiben.
"American Horror Story" läuft in den USA seit 2011, die mittlerweile vierte Staffel wird auch im deutschen Sprachraum auf Fox ausgestrahlt und ist auf Netflix verfügbar. Die erste Staffel "Hemlock Grove" ging Mitte 2013 komplett auf Netflix online. Die komplette zweite Staffel ist seit dem Kurzem auch hier über Netflix abrufbar. Die erste Staffel "Penny Dreadful" ist ebenfalls auf Netflix verfügbar.