Theater am Rande des Wahnsinns. Eine Welt ohne Musik. Tote Beatles. Marmeladegläser. Und viel Schnittlauch, der nicht nach oben wächst. Psychedelisch und surreal. Was sich am Camden Fringe in London so tut, hat Julia Melcher erkundet.
"Paul Mc Cartney is dead!" Überall in Whitechapel hängen weiße Zettel mit einem seltsamen Spiralmuster darauf herum – die Brick Lane ist beinahe tapeziert damit – und verkünden, was Verschwörungstheoretiker schon lange geahnt haben. Im Camden People´s Theatre, etwas weiter nördlich, kann man der Sache dann noch genauer auf den Grund gehen. Doch bevor wir nun zu Paul, den Beatles und Demobändern in Formalingläsern kommen, noch ein kleiner Exkurs in die Welt des "Fringe".
Was ist denn nun eigentlich "Fringe Theatre"? Erfunden hat das ein Schotte namens Robert Kemp, aus Edinburgh, wo nun jährlich das weltweit größte Theaterfestival dieser Art stattfindet. "Fringe" bezieht sich auf Stücke und Theatergruppen, die sich im Bereich des "Off-Broadway" bewegen, die auf kleinen Bühnen und in leerstehenden Lagerhallen ihre Eigenproduktionen zum Besten geben. Bei einem Fringe Festival können sich Profis, sowie Laien anmelden, um ihr Stück vor Publikum zu spielen. Es gibt keine Jury, die bestimmt wer dabei sein darf und wer nicht, das Festival steht allen offen. Was dann letztendlich dort gespielt wird ist oft experimentell, innovativ und sogar avantgardistisch. Die Theaterkarten kauft man sicherlich auf eigenes Risiko, aber wer Mut dazu hat und sich die neunhundertfünfzehnte Wiederaufnahme von Les Miserables oder Hair ersparen will, wird sich auf den wackeligen Sesseln im Zuschauerraum am richtigen Ort fühlen.
"Paul Mc Cartney is dead" wird gespielt von der Broken Glass Company, einer jungen Thatergruppe aus London, die als Ensemble seit 2007 aktiv ist und sich dieses Jahr dem dystopischen Stück von Vicki Flood gewidmet hat. Die Welt, die Flood in ihrem Stück zeigt, ist grau, voll von Relikten der Erinnerung und stinkt nach Formalin. Die bedrohlichen Schatten eines Regimes, das Musik strengstens verbietet und die Verschwörungstheorien über Paul Mc Cartneys vertuschten Tod schweben ständig zwischen den Protagonisten und verbreiten unbehagliches Erschauern. Viel gruseliger und gleichzeitig ironisch lustig sind jedoch die Protagonisten selbst: das Brüderpaar Paul und Simon (welch großartige Koinzidenz musikalischer Metaphern), Abby und Libby. Sie leben in ihrem alten Haus zwischen unendlich vielen Formalin-Gläsern, in denen die Vergangenheit aufbewahrt wird; aber nur das, was davon nicht verdrängt werden soll. Ein Tape mit Paul Mc Cartney´s letzten Worten schwimmt im Marmeladeglas, rechts daneben im Regal die goldene Haarlocke von Abby, die verschwunden ist, weil sie sich gegen das Regime aufgelehnt hat. Unter dem Esstisch schimmeln die letzten Kartoffeln und Libby kämpft verzweifelt darum Schnittlauch verkehrt herum in einen Topf zu pflanzen. Gemeinsam erinnern sie sich an Paul Mc Cartney und den Klang von Musik, trinken Schnaps und warten auf ihre Deportation.
"Repression" ist das Stichwort, das den Abend färbt. Missglückte Vergangenheitsbewältigung, das Spiel mit Traumwelten inmitten einer Dystopie. Die Formalingläser stehen einerseits für Beständigkeit inmitten einer sich ständig verändernden Welt, andererseits für das Festhalten am ewig Gestrigen. Wäre es nicht ein Stück über einen Ex-Beatle, das in England geschrieben worden wäre, der Inhalt ließe sich Problemlos auf unser liebes, schönes Heimatland ummünzen:
Eine Kärntner Verschwörungstheorie sucht die Protagonisten heim, die grauen Eminenzen des Regimes verbieten ausländisches Hottentottengeplärre und quälen, die ihnen hilflos Ausgelieferten, mit politischem Rap. Im Gurkenglas schwimmt eine blaue Fliege. Die Brüder Charly und Jogl streiten sich um die goldene Haarlocke ihrer verlorenen Geliebten Mizzi, die sich, um ihre Grundprinzipien endgültig zu untermauern, einst selbst ausgewiesen hat. Ein wunderbarer Plot für das Grazer Fringe, demnächst im Forum Stadtpark zu sehen, äh nein …! Erstens ist das Forum schon lange nicht mehr so revolutionär wie früher einmal (hier wäre Regression angebracht!), ausgenommen vielleicht, es gestattet die Schlachtung einer Sinnmaschine. Und zweitens, bedenkt man den sozial-politischen Zirkus, der erst kürzlich um die Jochen Gerz Kunststücke stattfand, dann bleiben uns wohl nur noch die Worte von Tocotronic, auf ewig in in Damien Hurst´schen Formaldehyd gegossen: "Die Idee ist gut, doch Graz noch nicht bereit."