Die Tafel vor dem Ende des Horizonts

Jochen Gerz definiert den Denkmalbegriff neu, auch im Sinne der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs. Doch stößt er mit dieser Form von Kunst im öffentlichen Raum auf vehementen Widerstand. Eine Umkehrung der Logik des gesunden Menschenverstands, nachvollzogen von Julia Melcher.

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Im Wort Gedenken steckt das Wort denken, so, wie auch in Denkmal. Kann ein Denkmal ein Kunstwerk sein, das zum Denken anregt? Jochen Gerz ist ein Künstler, der den Begriff des Denkmals verändert, indem er Kunst schafft, die sich im öffentlichen Raum bewegt und das Nachdenken provoziert. Er schafft Arbeiten, die mit den Menschen interagieren und kommunizieren und macht die Öffentlichkeit zum Teil des Werks. Das steiermarkweite Projekt "63 Jahre Danach", das von Jochem Gerz in Zusammenarbeit mit der "Kleinen Zeitung" ins Leben gerufen wurde, bezieht die Menschen in den künstlerischen Aufarbeitungsprozess zur NS-Zeit in Österreich mit ein und stellt sie gleichzeitig vor ein scheinbar gewagtes Experiment: Kann man der Nazi-Zeit in Österreich ein Denkmal zu setzen? Im Sinne der Erinnerung, der Aufklärung und der Aufarbeitung?

Das ist in einigen steirischen Ortschaften nämlich gar nicht erwünscht. Die Aufstellung der Kunstwerke an öffentlichen Orten wurde in vier Gemeinden abgelehnt, mit der Begründung "das Thema sei einfach zu sensibel". Was weniger erstaunt, ist, dass gerade solche Argumente von Politikern aus einer gewissen Ecke kommen; denen Bewusstmachung und Aufarbeitung, klarerweise als potentielle Minderung ihres Einflussbereiches auf das "Volk", als bedrohliche Instrumente der Kunst erscheinen. Doch nicht nur aus der rechten Ecke kommt Ablehnung. Erst kürzlich wurde von der steirischen Wirtschaftskammer eine Gedenktafel entfernt, an einem Platz, der dafür schon lange genehmigt war. Das Fundament war bereits ausgehoben, die Tafeln aufgestellt, da rückte man mit der fadenscheinigen Begründung an, man wäre vom Inhalt besagter Tafeln (Bild- und Textmaterial) nicht rechtzeitig informiert worden. Das "Institut für Kunst im Öffentlichen Raum Steiermark" widerspricht dieser Behauptung, man habe sich an alle Vereinbarungen gehalten. Die Wirtschaftskammer bricht diese nun und droht sogar mit Klage.

Was sagt Jochen Gerz selbst zu dieser Entwicklung seines Projektes zur Aufarbeitung? "Die Arbeit kommt viel zu spät. Die Arbeit hätte schon lange, lange passieren sollen." Die Verweigerungshaltung vieler Österreicher scheint fundamental einbetoniert zu sein. Alles zu spät? Es sieht so aus, als sei die Arbeit von Jochen Gerz dringend notwendig gewesen. Denn es kann doch nicht sein, dass plötzlich auf Granit gebissen wird, ein Kunstkonzept nicht mehr kommunizierbar ist und jegliche Gesprächsbereitschaft zwischen öffentlichen Institutionen und dem Künstler, beziehungsweise dem Medium Kleine Zeitung, auf eine Wand von Unvermögen prallt. Jochen Gerz findet die Antwort auf dieses Dilemma: "Es gibt keine Kunst, die irgend etwas lösen kann an unserer Stelle." Insofern sind wir alle gefordert, aktiv an der Veränderung der Wahrnehmung Teil zu nehmen. Ansonsten wird sich an folgendem Sprüchlein wohl auch nichts ändern:

"Österreicher sind wie Punschkrapferl: Außen herzig und rosa, innen braun und angsoffn."

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