Wenn man an Popmusik denkt, denkt man eventuell zuerst an die USA, aber am Mast direkt daneben flattert schon der Union Jack. Ob Rock, Pop, Hip-Hop oder elektronische Sounds, von allem gibt es die ganz eigene Brit-Version.
Überall, außer beim Eurovision Song Contest, sind die Musik und Trends aus dem UK gefragt. Schon vor und oftmals nach der Beatlemania haben sich Popfans global von den britischen Sounds anstecken lassen. Man möchte fast meinen, die UK-Musikszene sei einfach das coolere, alternative Geschwisterchen zum US-Bruder, der der erfolgreiche Jock dieser Musikbusiness-Familie ist. Die USA haben es immer vorgemacht und die UK-Kids haben nachgezogen und was ganz Neues daraus gemacht. Den New Yorker Punk adaptierte man in London, machte ihn sowohl schnittiger, als auch dreckiger, vermengte ihn auch mal mit jamaikanischen Einflüssen und schon dachten alle zuerst an die Sex Pistols oder The Clash, bevor einem beim Begriff Punk-Rock Patti Smith oder die Ramones in den Sinn kamen.
Influence der West Indies
Überhaupt hat der jamaikanische Einfluss, ausgehend von den Kindern karibischer GastarbeiterInnen, so gut wie alle erfolgreichen UK-Musikexporte maßgeblich beeinflusst. Wie schon in der Bronx, wo jamaikanische Dancehall-Culture aufgegriffen wurde, um den Hip-Hop zu erschaffen, enthält alles vom UK-Pop über Punk bis hin zum Rave-Sound Spuren der Schwarzen Kultur der West Indies.
Während Piratenradios und britischer Pop weit über die Inselgrenzen hinaus die Charts der 60er im Griff hatten, wären die psychedelischen 70er nicht ohne Pink Floyd ausgekommen; Led Zeppelin, Black Sabbath oder Judas Priest prägten das Anti-Establishment-Image der Dekade und David Bowie beeinflusste sowieso alles, was popkulturell nach ihm kommen würde. Ab den 80ern gab es dann auch endlich abseits der Gitarrenmusik die großen Momente der britischen Musikinnovation. Trotz oder gerade wegen des immensen Widerstands der rassistischen Thatcher-Regierung etablierte sich in und um London entlang des M25 Motorway die Kultur der DIY-Wochenendpartys – irgendwo im Nirgendwo. Der Soundtrack, der die Raves dominierte, war der Dub. Dancehall und Breakbeat inspirierte Jungle, der später UK-Garage befruchten würde und heute Dubstep, Drum & Bass und Grime zu seinen Nachfahren zählt.
Nach wie vor Export-Hit
Ebenfalls gibt es wohl kein Nineties-Kid (ob Junge, Mädchen oder dazwischen), das nicht zumindest ein Poster einer Boyband oder der ultimativen Girlband, der Spice Girls, im Jugendzimmer hängen hatte. Auch heute exportiert das UK von der Gitarrenband bis hin zum/zur MC oder Producer so viel Output, dass jedes populäre Genre zumindest eine/n britische/n Superstar vorweisen kann.
Doch während Megaseller wie Adele, M.I.A., Calvin Harris oder Muse weiter Ausblick auf eine sonnige Musikkarriere haben – der UK-Siegeszug im Popgame also nicht gefährdet ist –, muss man sich nun vielleicht Sorgen um die Indie-Artists machen. Eine Musik- und Kulturszene, die Margaret Thatcher überlebt hat, die Morrissey einst in der Guillotine wünschte, schafft es hoffentlich auch durch den und nach dem Brexit – aber einfach wird es eben nicht. Das ist im Hinblick auf den kulturellen Austausch traurig, weil die britischen Musikszenen nach wie vor – im Underground wie auch im Mainstream – Unglaubliches, Eingängiges und vor allem Innovatives produzieren.
Dalia Ahmed ist DJ, Redakteurin und Moderatorin bei Radio FM4. Dieser Text ist in der The Gap Sonderausgabe zum Waves Festival 2020 erschienen. Das Wiener Showcase-Festival hat dieses Jahr die Ukraine und das United Kingdom als Fokusländer ausgewählt.