Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Hans Unstern – »Diven«
Wenn man Hanky gerade fragen würde, wie es der Welt da draußen gehen würde, würde Hanky lügen, indem er sagt, alles wäre okay. Und während da draußen alles in Bruch zu gehen scheint, ist es ebenjener Hans Unstern, der wieder von sich hören lässt, diese fabelhafte Figur aus dem Staatsakt-Kosmos, der ehemalige Obdachtsuchende, der ebenjenes in dieser Ja, Panik-Heiterkeit-Clique gefunden hat. Sieben Jahre ist sie her, die letzte Veröffentlichung »The Great Hans Unstern Swindle«, ein Abgesang auf die Pop-Mechanismen, die er selbst früh mit seinem kleinen Hit »Paris« erleben durfte. Mit Pop im herkömmlichen Sinne hat »Diven«, das dritte Album, so gar nichts zu tun. Das beginnt schon beim Instrumentarium. Er selbst hat sie gebaut, die so genannte V-Harfe, ein elektro-akustisches Spezialitäteninstrument, das den Ton auf den acht Stücken maßgeblich angibt. Textlich sind Unklarheiten in der sexuellen Abgrenzung, welche ja immer noch die Triebfeder des Spießbürgertums ist, das Thema: Sexuelle Identität als wichtiger Teil einer an sich entsexualisierenden Individuumsdebatte. Das ist teilweise unangenehm, das ist teilweise superschlau, das ist Musik, die sich mit Larifari kaum zufrieden stellen lässt.
»Diven« von Hans Unstern erscheint am 24.4.2020 via Staatsakt/Bertus/Zebralution. Keine Österreich-Termine.
Akne Kid Joe – »Die große Palmöllüge«
Ganz schön schlau: Die Nürnberger Punkkapelle Akne Kid Joe hat nicht nur einen lustigen Namen, den nur viel zu alte Leute einordnen könnten, sondern – und das muss man ja mal sagen können: Auch verdammt gute Lieder. Bereits das erste Album, das 2018 erschienene »Karate Kid Joe« hat die Lücke für all jene gefüllt, denen Love A und Pascow immer irgendwie zu alt und männlich waren und denen auch Humor in beschissenen Zeiten irgendwie ein Begriff war. Und – jetzt mit dem zweiten Album, auch gut benannt – geht das natürlich weiter. Trotziger und rotziger, straighter Punk-Rock, mit der Faust in die Fresse der Unterdrückungsgesellschaft, aber auch immer mit einem Augenzwinkern. Themen, die auch das herkömmliche Gebahren der eigenen Szenen – wie etwa der eklatante Mangel an sich nicht als männlich identifizierenden Personen, der in »Sarah (Frau, auch in ner Band)« besungen wird, machen Akne Kid Joe auch zu unangenehmen Kritikern der vielleicht eigenen Verhaltensweisen. Achtung: Diese Band kann dein Weltbild ins Wanken bringen. Wird auch höchste Zeit.
»Die große Palmöllüge« von Akne Kid Joe erscheint am 3.4.2020 via Kidnap Music. Tour wurde verschoben.
Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys – »Greatest Hits«
Nachtrag vom März, und was für einer, einer, der zur Aussage hinreißt: Wenn du dieses Jahr nur ein Album hören willst, dann musst du dieses hören. Hits, Hits, Hits! Die Augsburger Gruppe Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, bis März Roberto Bianco & Die Abbrunzati Boys, sorgt bereits seit geraumer Zeit insbesondere in Bayern mit ihren wahrhaftigen Italo-Schlager-Hits für echte Furore bei ihren Tifosi: Sechsstellige YouTube-Klicks, Melodien für Millionen und diese unglaubliche Dichte an wunderbaren Hits. Von den 10 Songs – inklusive drei Skits – auf dem Album sind alle zehn unter den – sagen wir – Top 15 Songs, welche dieses Jahr auf Alben erscheinen werden. Jeder einzelne unvergesslich, jeder einzelne perfekt komponiert, jeder einzelne ein Gedicht. Egal, ob es um Dolce Vita im Allgemeinen (»Dolce Vita«), die große Liebe (»Ponte di Rialto«, »In Palermo«, »Baci«, »Cococabana«), die Liebe zum Automobil (»Maranello«) oder das wunderbare Gefühl von Nostalgie und Fernweh (»Capri 82« und »Alitalia«) geht: Wenn es in dieser Rubrik Punktebewertungen geben würde, »Greatest Hits« wäre bislang wohl das einzige, das eine gerechtfertigte 11/10 bekommt. Für immer Amore, für immer: Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys!
»Greatest Hits« von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys erscheint am 20.3.2020 via Sony. Termin: 31.10. Flex, Wien. Treffen Sie Ihre Stars – und den Autor dieser Kolumne in der ersten Reihe.
Herr D.K. – »Beleuchtet den Hintergrund«
Eine große Portion Songwriter-Pop für ein Aushalten der Krise. Wer mit eher gefühlsbetontem Indie-Pop zwischen frühen Enno Bunger und Die Höchste Eisenbahn viel anfangen kann und auf der Suche nach Frischfleisch ist, sollte den 26-jährigen Hamburger in seine Speisekarte aufnehmen: Sanfte, melancholische Gitarren, emotional und teilweise sogar virtuos gespieltes Rhodes-Piano und eine Stimme, die gleichzeitig sofort ins Ohr geht und gleichzeitig auch nur sehr selten zu glatt klingt – einwandfrei vermarktbar. Textlich setzt Herr D.K., dessen Album etwa von Kristian Kühl produziert wurde, der auch schon Leoniden, Illgen-Nur und OK Kid ins rechte Licht gerückt hat, – zumindest Band 1 und 3 passen auch ganz okay als Einordnungsreferenz in die Coolness-Skala – auf Altbewährtes: Unerwiderte Liebe in beide Richtungen, die Poesie des Alltags, solche Dinge eben, Verzweiflung und Zukunftsängste. Aber, wie heißt es schon im Opener »Das Feld«?: »Manchmal ist Angst besser als ihr Ruf«. Und Pop sowieso.
»Beleuchtet den Hintergrund« von Herr D.K. erscheint am 3.4.2020 via Tapete. Aktuell keine Österreich-Termine.
Die Wilde Jagd – »Haut«
Grenzen kann man nur auflösen, wenn man sie durchbricht: Und das gilt nicht nur figurativ und im Sinne von #noboarders, sondern vor allem in der Musik. Dort im blickdichten Dickicht zwischen Krautrock, fizzelnder Elektronik und allem Artverwandten, mit Betonung natürlich auf Art, dort entstehen Reputationen als Grenzgänger. Und kaum einer hat dieses Changieren mit den Genregrenzen so perfektioniert wie das Projekt Die Wilde Jagd von Projektleiter Sebastian Lee Philipp aus Düsseldorf. Natürlich, man muss ja das Erbe seiner Stadt nachhaltig pflegen. Seine bisherigen Album gelangten zu einigem Ruhm, insbesondere das zweite »Uhrwald Orange«, benannt nach dem Aufnahmestudio, erfreute sich großer Beliebtheit in den kleinen Szenenkreisen. Sein neues Werk, spartanisch und puristisch »Haut« genannt, schlägt eingeschlagene Kerben tiefer: Von gar mantrischen Vocals – jüngere Lesende dürfte das an International Music erinnern – angestiftet, entwickeln die vier Stücke einen klanglichen Sog, der seinesgleichen sucht.
»Haut« von Die Wilde Jagd. erscheint am 17.4.2020 via Bureau B. Aktuell keine Österreich-Termine.
Außerdem erwähnenswert:
Dino Paris & der Chor der Finsternis – »Alles wird ganz schlimm«
(VÖ: 24. April 2020)
Interessant: Dino Paris heißt eigentlich Jan Preißler. Noch interessanter: Jan Preißler ist etwa als Teil der Noise-Gruppe Vögel, die Erde essen nicht nur Stammgast in dieser Kolumne, sondern auch ein echter Star. Am interessantesten ist aber sein neues Projekt, das eigentlich ein bisschen Schlager sein könnte, aber dann eher eine Weird-Folk-Dynamik entwickelt, die »Alles wird ganz schlimm« eher bei Hans Unstern als etwa bei Kaltenkirchen positioniert. Schon geil, das Teil.
Tiemo Hauer – »›Gespräche über die Vor- und Nachteile des Atmens‹«
(VÖ: 3. April 2020)
Der Tiemo Hauer, den man auch eher in die Kategorie Indie-Pop mit großem Vermarktungspotenzial einordnen könnte, war nach seiner 2019er EP »Ein kurzes für immer« sehr fließig und schenkt seinen durchaus vielen vorhandenen Fans ganze 55 Minuten voller rockiger Balladen und verträumter Piano-Nummern, die auch an AnnenMayKantereit erinnern könnten, textlich lässt es sich trotz Ausschlägen in Richtung Hoffnung und »Scheißdrauf« auf eine Kernzeile subsumieren: »So ist das mit der Liebe, wenn man sie verliert« (aus dem Song »So ist das mit der Liebe»).