Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im August 2024. Mit Die Mausis, Falschgeld, Rotzkotz und Robert Stadlober.
Falschgeld – »Menschen wie wir«
Wenn sich eine Gruppe in ihren Plattform-Bios im Referenzkosmos zwischen Ton Steine Scherben, Wanda und Annenmaykantereit einordnet, bekommt man nicht nur eine Idee von Ethos, Vor- und Klangbildern, sondern kann das in diesem Fall auch – ein Wortspiel mit dem Bandnamen sei erlaubt – auch für bare Münze nehmen. Ganz von der Hand zu weisen lassen sich die Vergleiche nämlich nicht, man bekommt, was man hierauf erwarten würde. Die Münchner Band Falschgeld hat erst letzten Dezember ihre Debüt-Single veröffentlicht, im Juni den »Heimatsound«-Wettbewerb des Bayrischen Rundfunks gewonnen und ihr Debüt-Album u. a. von Nick McCarthy produzieren lassen. Jenem McCarthy, der sich für den unverwüstlich-zackigen Gitarrensound von Franz Ferdinand, die Älteren werden sich erinnern, verantwortlich zeichnet. »Zackig« ist jedoch nicht unbedingt das beste Adjektiv für »Menschen wie wir« – »verspielt«, »tanzbar«, »vergnüglich« fallen hingegen sofort ein – man spürt, diese Gruppe dürfte ihren Charme vor allem auf Festivalbühnen sprühen lassen. Aber auch im Album-Format knistert es ordentlich!
»Menschen wie wir« von Falschgeld erscheint am 2. August via One World Records & Turban Records. Aktuell keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Rotzkotz – »Lebensfroh + Farbenfroh«
Geschichtsunterricht mitten in der Ferienzeit? Danke, Tapete Records! Tatsächlich ist eine gewisse Dankbarkeit angebracht, schließlich hat das Label in den letzten Jahren mehr Re-Issues hervorgekramt als ein frustrierter Sammler während der Plattenbörse. Im neuesten Release widmet sich das Label der legendären und ebenso legendär benannten Gruppe Rotzkotz und damit auch dem hannoverschen Label No Fun Records, das von 1979 bis 1983 tolle Gruppen wie Hans-A-Plast, Bärchen und die Milchbubis (»Jung kaputt spart Altersheime!«) veröffentlichte. Der Gruppe Rotzkotz kommt dabei vor allem in Fragen des Belabelns und der Kommerzialisierung von Punk eine wichtige Rolle zu – verstanden sie sich als eine der wenigen frühen Punk-Kapellen der BRD explizit nicht als solche, lehnten aber natürlich trotzdem einen Major-Deal mit EMI ab. »Sell Out!«-Gebrabbel sollte der Gruppe trotzdem zu Ohren kommen, verließ sie doch die heimelige Gitarrenmusik hin zu einem Synth-getriebenen Elektropop – in den Nullern hätte man Electroclash gesagt –, der erstmals auf »Lebensfroh + Farbenfroh« in voller Blüte erstrahlte. Und fast zeitgenössisch zur aktuellen Lage mit den Gefahren und dem Unbehagen mit der (Früh-)Digitalisierung hadert. Weil natürlich: Für Re-Issues benötigt es auch immer gegenwärtige Relevanz. Und das wissen die bei Tapete natürlich.
Das Re-Release »Lebensfroh + Farbenfroh« von Rotzkotz erscheint am 23.August via Tapete. Keine Termine. Album hier kaufen.
Die Mausis – »In einem blauen Mond«
Stella Sommer alias Die Heiterkeit und Max Gruber alias Drangsal sind recht bekanntermaßen die fantastische und dabei kleinstmögliche Supergroup Die Mausis. Die graue EP aus dem 17er-Jahr mit dem famosen Hit »Was kann ein Mausi dafür« sollte in keiner halbwegs gut sortierten Plattenkiste fehlen, wer thematisch ordnet – alles andere ist nah am Wahn! – , kann nun auch das erste richtige Album direkt daneben stellen. Produziert von Produzentenlegende Max Rieger finden sich neben höchstfeinem, romantischem Indiepop, der wie alle aktuell lieber Richtung Country als gen Rock schielt, gar nicht so viele Themen rund ums Maussein wie noch auf der EP, wenngleich sie natürlich nicht ganz fehlen. Umso schöner, dass etwa »Ich leg mein Geld in Käse an« auch noch mit Dirk von Lowtzow von der Rille läuft. Natürlich gibt’s auf dem Debüt ein paar Fingerübungen/Blödeleien, wie etwa das stimmungsvolle »Der Supergouda«. Seine große Stärke spielen Die Mausis dennoch vor allem dann aus, wenn man recht unmittelbar die Beiträge von Stella Sommer erkennt, wie etwa im famosen Titelstück »In einem blauen Mond«. So gut! Kaum zum Maushalten!
»In einem blauen Mond« von Die Mausis erscheint am 16. August via Käsescheiben. Aktuell keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Stadlober & Tucholsky – »Wenn wir einmal nicht grausam sind, glauben wir gleich, wir seien gut«
(VÖ: 30. August)
Wenn alle wieder schwarz-rot-geil oder – hierzulande – »from Austria« sind, dann braucht es Hiebe in Zeiten des Aufruhrs. Robert Stadlober weiß das und vertont passend zum Weltgeschehen Gedichte von Kurt Tucholsky, der 1935 als »aufgehörter Deutscher« starb. Dabei geht es selbstredend viel um (prä-)faschistische Tendenzen in der Gesellschaft, um Unterdrückung. Interessant ist dabei vor allem, dass durch die von Wolfgang Lehmann produzierte Musik, die Stücke weniger nach 1930ern oder 2020ern klingen, sondern nach Spät-90er-Hamburger Schule. Verrückt! Hier kaufen.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.