Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Die Goldenen Zitronen – »More Than A Feeling«
35 Jahre Punk, beachtenswert. Und immer noch dem konstruktiven Dagegensein verpflichtet. Wo mittlerweile ein einfaches »Nein« alleine schon reicht, um »intelligenter Punk« zu sein, wo »Bella Ciao« zum Stadionpop für die ganz Verdummten wird, wo man mit Haltung alleine schon durchkommt, sind die Goldenen Zitronen auch so kurz vor dem neuen Jahrzehnt immer ein Stückchen weiter als die anderen, immer ein Stückchen giftiger, konstruktiver, und, ja, intelligenter.
Auch wenn sich das Denken der RezipientInnen verwischt, die Messages der Goldenen Zitronen bleiben gleich. Radikales gegen die Verwässerung des Radikalen. Und dabei irritieren sie wie eh und je. Passend dazu fragen sie sich im Spoken-Word-Opener »Katakombe« gleich selbst ständig »What?«.
Die Mittel ändern sich, Punk im Sinne von Geier, Kamerun et al. ist auch immer Veränderung: Vom 3-Akkord-Haudrauf, von dem sich die Band sowieso schon immer verabschiedet hat, ist sie entfernter denn je, auf »More Than A Feeling« sitzt die Mensch-Maschine am Aufnahmegerät. Sequencer, Drummachines, verzerrte Field-Recordings, elektronische Tanzmusik, Hip-Hop-Methoden. »What?«
»More Than A Feeling« von Die Goldenen Zitronen erscheint am 8. Februar 2019 bei Buback Tonträger. Konzerttermine: 5. April, Wien, Flex — 6. April, Graz, Forum Stadtpark.
Moritz Krämer – »Ich hab einen Vertrag unterschrieben 1 & 2«
Hätte man auch nicht mehr gedacht: Ganze acht Jahre nach dem Instant-Klassiker für die melancholische, studentische Plattensammlung, dem wunderbaren »Wir können nichts dafür«, veröffentlicht der Mann, der mit Die Höchste Eisenbahn – seit Jahren die beste und wohl auch einzige Alternative für verschlurfte deutsche »Industriemusik« – von Erfolg zu Erfolg eilt, kommerzieller und teilweise sogar künstlerischer Natur, sein zweites »richtiges« Soloalbum.
Dafür hat sich der Berliner ein spannendes Thema ausgesucht: Verträge. Ein Konzeptalbum über den Abschluss eines ebensolchen, über die damit einhergehende Enttäuschung seines Ich-Erzählers und die Aufarbeitung von Unzufriedenheiten mit dem unterschriebenen Papier, erzählt in Briefen an den Vertragspartner. Fast schon arg klischeehaft deutsch, mag man denken. Natürlich geht’s da um mehr als Juristereien, mit der immer großartigen metaphorischen Betextung und der seiner Stimme innewohnenden Melancholie schafft Krämer auch musikalisch einen Spagat: ansprechender Songwriter-Pop, zwischen Alt-Country, Bongo-Beats und Neo-Soul.
»Ich hab einen Vertrag unterschrieben 1 & 2« von Moritz Krämer ist am 1. Februar 2019 bei Tapete Records erschienen. Aktuell sind keine Konzerttermine für Österreich bekannt.
Botschaft – »Musik verändert nichts«
»Soften« Indie-Pop aus deutschsprachigen Ländern hat es in den letzten Jahren kaum mehr gegeben, Ausnahmen wie etwa Friedrich Sunlight bestätigen die eiserne Regel. Auch im eigentlich so »aufgeklärten« Indie, der ja selbst zu seinen künstlerischen Höchstzeiten von vor 15 Jahren, nur ein Spiegel seiner Gesellschaft war und sie nur am Rande selbst definierte, dominieren wieder die neuen alten Männlichkeiten voller Despotie und Rage. Vermeintliche Sänfte wird auch hier tabuisiert. Ein Segen in diesem Kontext – und generell – ist das sehr gute erste Album der Gruppe Botschaft, eine Art Supergroup, die Alten erinnern sich vielleicht noch an Tusq, The Robocop Kraus, Saboteur oder Station 17.
Entschleunigter Indie-Pop, der dich in Watte packt und wabbelig macht wie ein Tag in der Therme. Fließende Übergänge, durchgängiges, wohliges Vergnügen auf voller Länge: Botschaft haben ihr klar definiertes Klangbild gefunden und ziehen es durch. Besonders deutlich wird das Können der Gruppe im kleinen Hit »Sozialisiert in der BRD«, das mit Patina, aber ohne Grind und Verklärung im besten Sinne einlullt.
»Musik verändert nichts« von Botschaft erscheint am 8. Februar 2019 bei Tapete Records. Aktuell sind keine Konzerttermine für Österreich bekannt.
Frittenbude – »Rote Sonne«
Wer gedacht hätte, Everyone’s Lieblingsband 2009 hat schon längst den künstlerischen und kommerziellen Höhepunkt überschritten, der oder die mag sich zumindest im ersten Punkt täuschen. Frittenbude arrangieren sich Album für Album mehr mit der Freiheit, die richtigen Dinge tun zu können. Natürlich ist das musikalisch weiterhin größtenteils unverändert – na gut, man kann sagen, es wäre sphärischer –, dennoch sind Frittenbude in Hinblick auf Message, Dringlichkeit und In-die-Fresse so relevant wie lange nicht: Gesellschaftskritik mit den Mitteln der Wut. Und Gesellschaftskritik, die endlich einmal da ankommt, wo sie ankommen sollte.
Frittenbude haben immer schon der eigenen Zielgruppe die Knarre an die Brust gehalten, linke Kritik an vermeintlich linken Ritualen. Frittenbude erkennen – insbesondere natürlich in ihrem wahnsinnigen Brett »Die Dunkelheit darf niemals siegen«, das, gemeinsam mit Love-A-Schreihals Jörkk Mechenbier aufgenommen, für reichlich Zündstoff sorgte –, dass ein Grund für all die Beschissenheiten der Welt auch längst bei der Linken selbst liegt. Schwach, am Wohlstand fettgefressen. »Zwei Stunden Slow-House für den Weltfrieden«? Ich glaub, es hakt! Nehmt euch an den Ohren, denn Frittenbude wissen: »Ihr macht immer noch irgendwas mit Medien, aber nichts mehr dagegen.«
»Rote Sonne« von Frittenbude erscheint am 22. Februar 2019 bei Audiolith. Konzerttermine: 21. März, Wien, Flex — 22. März, Salzburg, Rockhouse — 23. März, Graz, PPC.
Señor Karōshi – »… oder deswegen«
»Karōshi« – das weiß man spätestens seit Rainald Grebes gleichnamigem Stück – meint so etwas wie »Tod durch Überarbeitung«. 12-Stunden-Tag, Millenial-Burnout, schweres Ungleichgewicht in der Work-Life-Balance. Zeitgemäß eben. Und passend auch für das Trierer Trio, das auf seiner ersten Langspielplatte mit dringlichem Power- und Post-Punk zu überzeugen weiß. Binnen zwei Tagen mussten die elf Stücke eingeprügelt werden.
Die Versuchsanordnung von Gitarre, Bass, Schlagzeug und deutschsprachiger Lyrik ist ja an sich – und an dieser Stelle ohnehin – nicht ungewöhnlich. Die Komposition, die durchaus zu melodiösen Hochleistungen und durchgängig hohem »Hitfaktor« neigt, verdient einiges an Beachtung und lässt die Drei durchaus auch an die bereits supporteten Künstler wie etwa Torche, Captain Planet und sogar Love A erinnern. Keine allzu schlechten Referenzen für ein Debüt.
»… oder deswegen« von Señor Karōshi ist am 1. Februar 2019 bei Disentertainment erschienen. Aktuell sind keine Konzerttermine für Österreich bekannt.
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