Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Jänner 2024

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Januar 2024. Mit Bachratten, Andreas Dorau, Hammerhead, Enno Bunger und mehr.

Bachratten © Martin Siebert
© Martin Siebert

Andreas Dorau – »Im Gebüsch«

Andreas Dorau © Sönke Held
Andreas Dorau (Foto: Sönke Held)

Der ewig junge Popstar Andreas Dorau feiert einen runden Geburtstag – und wie es schon fast Tradition ist, lässt er seine zahlreichen Fans gleich mitfeiern. Wie schon beim Fünfziger 2014 – ein Klassiker: »In der Bibliothèque« – gibt es auch zum Sechziger ein neues Album, das mit zahlreichen Hits »Im Gebüsch« lauert. Immer aus dem bunten Sammelsurium von Popmusik nach Doraus Definition mit schönem und stets treibendem, durchaus dancy Elektro-Pop-Einschlag. Dazu die unvergleichlichen, häufig recht einfachen und wenig verklausulierten Lyrics, die den Erfolg des Großmeisters bereits seit den Achtzigern begleiten. Besonders eindrucksvoll vermengen sich die USPs auf »Das ist nur Musik« und dem Banger »Auf der Weidenallee«. Auf beiden erweisen sich sämtliche unbegründete Zweifel, ob er es noch »draufhat«, als ebensolche: unbegründet. Im Gegenteil, sämtliche Künstler*innen im Dunstkreis der so gehypten »Neuen Neuen Deutschen Welle« dürfen weiterhin abschauen, klauen und staunen.

»Im Gebüsch« von Andreas Dorau erscheint am19. Jänner 2024 via Tapete. Aktuell keine Livetermine in Österreich. Album hier kaufen.

Enno Bunger – »Der beste Verlierer«

Enno Bunger © Jan Seebeck
Enno Bunger (Foto: Jan Seebeck)

Enno Bunger ist ein Künstler, der zwar häufig unterschätzt wird, dies aber spätestens seit seinem 2015er Großwerk »Flüssiges Glück« eigentlich nicht mehr sein sollte. Während vor allem das letzte Album, »Was berührt, das bleibt« immer wieder auch mit Sprechgesangs-Passagen durchzogen war, fehlen diese auf dem nun insgesamt fünften Album völlig. Auch kompositorisch gibt es ein kleines Update: Die Gitarre ist erstmals instrumentelles Fundament und drängt das sonst im Werk so dominante Klavier in den Hintergrund. Das ist aber gar nicht schlecht, denn so entstehen auf »Der beste Verlierer« viele schöne Stücke Musik, die wenig von der – hier bitte positiv gemeinten und schon lange geschätzten – Larmoyanz Bungers einbüßen, sie sogar noch nahbarer machen. Dass Bunger die dafür benötigten Texte schreiben kann, ist bekannt. Thematischer Fokus ist der permanente Überlebensmodus in immerwährenden Krisenzeiten, zwischen Stagnation, Resignation und ganz seltenen Silberstreifen. Das kann er einfach gut.

»Der beste Verlierer« von Enno Bunger erscheint am 19. Jänner 2024 via PIAS. Termin in Österreich: 12. März, Flucc Wien. Album hier kaufen.

Hammerhead – »Nachdenken über Deutschland«

Hammerhead © Hammerhead
Hammerhead im Jahr 1994 (Foto: @hammerhead_punk)

Die Geschichte der Rheinländer Post-Hardcore-Gruppe Hammerhead – nicht zu verwechseln mit der englischen NWOBHM-Band oder dem amerikanischen Noise-Rock-Trio gleichen Namens – als »bewegt« zu bezeichnen, würde in sämtlicher Hinsicht zu kurz greifen. 1989 gegründet, als eine der ersten von NYHC-beeinflussten deutschen Bands, ein paar EPs, irgendwann mal Straight-Edge, dann nicht mehr, ein paar Alben Ende der 1990er-Jahre, ein letztes »Weißes Album« 1998, Auflösung 2004, Doku »Sterbt alle!« 2006, dann, wie damals üblich, Reunion 2008, im selben Jahr auch das letzte längere Release mit der Compilation »Cut the Melon«, erst 2016 eine EP, dazwischen ein bisschen Hype durch ein Casper-Tourvideo oder ein Thees-Uhlmann-Cover. Warum ist das interessant? Weil einerseits Bandgeschichten immer interessant sind und weil nun mit »Nachdenken über Deutschland« das erste Album seit 24 Jahren erscheint, und es ist – wie es der Titel schon verrät – ganz weit vorne in Sachen Aktualität: eine harte, kompromisslose Abrechnung.


»Nachdenken über Deutschland« von Hammerhead erscheint am 26. Jänner 2024 via Holy Goat Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.

Bachratten – »Durch dich durch«

Bachratten © Martin Siebert
Bachratten (Foto: Martin Siebert)

Dass das Hamburger Label La Pochette Surprise Records fantastische Künstler*innen im Roster hat, sollte bekannt sein – Achtung: Swutscher, Fluppe, Die Cigaretten, Snøffeltøffs, Bikini Beachs und natürlich noch viele mehr. Dass sich das Label nun auch zum Go-To-Label für deutschsprachigen Neo-Grunge entwickelt, ist dabei eine schöne Begleiterscheinung. Eine noch schönere sogar, dass auf dem Label das erste Album der famosen Kasseler Gruppe Bachratten erscheint, die bereits mit ihren drei EPs »34127« (aus 2019), »Cowboy Papes« (aus 2021) und »Peter« (aus 2022) kräftig aufgeschlagen sind. Auf »Durch dich durch« bietet der Vierer astreinen, verzerrten Gitarrenrock, im L’Amour-Schritt mit dem Fuzzpedal, aber – und das fehlt dann ja so häufig – mit dem notwendigen Pop-Appeal, der ihre Songs immer und immer wieder hörbar macht. Ihren Teil dazu tun recht einfache und relatable Lyrics, die wenig Fragen offen lassen. Alle Singles bislang – »Streichelzoo« und vor allem »Südstadt« sind instantane Genre-Klassiker. Bachratten sind definitiv eine Band to Watch für 2024!

»Durch dich durch« von Bachratten erscheint am 26. Jänner 2024 via La Pochette Surprise Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.

Kaffkiez – »Ekstase«

Kaffkiez © David Gottwald
Kaffkiez (Foto: David Gottwald)

Egal ob man sich diesen Sommer auf ein Festival im In- und Ausland verirrt oder bereits Karten auf die längst ausverkauften Hallen-Shows in Wien und Salzburg hat: An der Rosenheimer Pop-Gruppe Kaffkiez lässt sich dieses Jahr kaum vorbei hören. Ebensowenig wie auf Tiktok, denn ihr Hit »Nie allein« schafft es dort in den einen oder anderen Trend. Vielleicht gelingt dies auch einem der Tracks auf dem zweiten Album »Ekstase«, das wieder mit hochemotionalen Liedern im Spektrum zwischen Annen May Kantereit und Jupiter Jones unterwegs ist, fast immer mit dem Vermissen als treibende Gefühlsregung, da wird gefehlt und gefehlt und intensiv gelebt, Philipp Poisel ist dagegen ein Eisblock. Auch wenn Kaffkiez natürlich längst Richtung Kommerz abgebogen sind, muss man ihnen zu Gute halten, dass das alles funktioniert – und dass Kaffkiez eben durchaus für Zielgruppe und Zielemotion gute Songs schreiben können. Kitsch liegt immer im Auge der Betrachtenden, und Tausende im Publikum können sich da nicht irren.

»Ekstase« von Kaffkiez erscheint am 26. Jänner 2024 via Südpol Music. Shows in Österreich: 1. März Arena Wien (ausverkauft), 2. März Szene Salzburg (ausverkauft). Festivals in Österreich: 30. Juli Lido Sounds, 9. August Poolbar Festival. Album hier kaufen.

Außerdem erwähnenswert:

Endless Wellness – »Was für ein Glück«

(VÖ: 26. Jänner)

The-Gap-Leser*innen wissen mehr: So konnten sie bereits in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins nachlesen, dass Endless Wellness ein sehr schönes Debüt gelungen ist. Dass sie nicht nur einen super Namen hat. Dass der Gruppe nach den hervorragenden Singles – allen voran natürlich »Hand im Gesicht« – auch auf der Langstrecke nicht der Atem ausgeht. Und dass die Band die vermutlich größte heimische Indie-Rock-Hoffnung ist. Album kaufen hier.

Die bisherigen Veröffentlichungen aus Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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