Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Juni 2023. Mit Kapa Tult, Ernst Molden, Tropen Tropen, Danger Dan und mehr.
Ernst Molden – »Möadanumman«
Dass der Molden Ernst nicht gerade unterbeschäftigt ist, dürfte sowohl bekannt als auch mit zahl-zahl-zahlreichen Releases in den letzten Jahren und Monaten belegbar sein. Neu ist, dass er jetzt auch als Soundtracker für einen Podcast unterwegs ist. Im nicht gerade uneitel betitelten »Klenk + Reiter«, einem, wie man heute sagt, »True Crime«-Podcast des Wochenblatts Falter, geht’s um Gewaltverbrechen, Mord und Totschlag. Das dürfte viele interessieren. Für uns wesentlicher: Im Anschluss an jede Folge spielt’s eine Moritatennummer von Ernst Molden, der sich auf diese Weise in den großen Kanon der American Murder Ballads einordnet – neben Bill Cox, Pete Seeger, Ramblin’ Jack Elliott. Nick Cave hat da ebenfalls wenig ausgelassen: Seine »Murder Ballads« aus dem 96er-Jahr sind immer noch stark. Und Molden lässt sich nun auch nicht lumpen, liefert wie immer Eins-a-Qualität ab. Seine zwölf dunkelschwarzen Krimis sind melancholisch, leidend und blutverschmiert.
»Möadanumman« von Ernst Molden erscheint im Juni 2023 bei Bader Molden Recordings. Über den Falter-Online-Shop ist die CD bereits erhältlich. Ernst Molden kann man live kaum verpassen, hier finden Sie seine aktuellen Konzerttermine.
Kapa Tult – »Es schmeckt nicht«
Leipzig hat vermutlich nicht umsonst den Ruf einer nicht allzu coolen Stadt, wenngleich die vermutlich coolste Band des Jahres von dort kommt – herrlich diese Widersprüche im Leben! Wobei, so richtig – um das Wort überzustrapazieren wie einen Fitnessexpander aus den 80ern – cool ist der Vierer namens Kapa Tult (sic!) nicht. Wie es auch die wohl zentralste Zeile ihres Debütalbums aussagt: »Warum gehören alle zu den cool kids und ich steh immer nur daneben?« Oder, aus demselben Lied – »Handy« heißt er, dieser Kandidat für den Song des Jahres –, und das Zitat ist jetzt schon ein bisschen deeper: »Alle posten immer dann, wenn es ihnen gut geht / Und ich poste wieder nichts.« Bereits bei der im Vorjahr erschienenen EP »Meinten Sie Katapult?« (Toptitel!) wurden die ganzen großen Vergleiche gezogen: Aus Mangel an Fantasie wurden da oft Die Ärzte genannt, nur halt eben in besser, moderner, weniger peinlich männlich, queerer, und deutlich weniger alman. Alleine das wäre schon ziemlich super, aber auch die Songs halten alle Versprechen. Richtig gute Scheibe!
»Es schmeckt nicht« von Kapa Tult erscheint am 23. Juni 2023 bei Ladies & Ladys. Der Festivalsommer bringt Kapa Tult leider nicht nach Österreich. Das Album kann man hier kaufen.
Tropen Tropen – »Die neue Dehnbarkeit«
Ziemlich im Schlager badender Eighties-Synth-Pop mit deutschsprachigem, meist halligem Gesang ist schon längst nicht mehr Trend, sondern veritables Genre. An dieser Stelle gab es in den letzten beiden Jahren schon grandiose Alben zum Aufeinanderstapeln, aber. Aber: Was die famose, frisch gegründete Gruppe aus (ha!) Leipzig namens Tropen Tropen – allein der Name ist schon fuego wie Temptation Island – auf ihrem Debüt »Die neue Dehnbarkeit« aufführt, ist Sex pur. »Exotische« Rhythmen von Drums und Bässen, die gleichsam nach Copacabana und Mistelbach (auf eine gute Art!) klingen, großzügige Synthflächen mit genügend Platz zum beslippten Sonnenbaden, einfache und dann doch verklausulierte Texte für die Massen. Sämtliche Vorabsingles – etwa »Misanthropie«, das schon etwas ältere »Paola« und vor allem der jüngste Hammer »Leggings« mit der besten 80er-Gitarre der 20er – sind Banger, die diesem Genre die bisherige Krone aufsetzen. Sehr dringende Kaufempfehlung!
»Die neue Dehnbarkeit« von Tropen Tropen erscheint am 23. Juni 2023 bei Schatulle Bömm. Aktuell leider keine Österreichtermine. Hier kaufen.
Danger Dan – »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin)«
»Nein, ich wär’ nicht wirklich Danger Dan / Wenn ich nicht Lust hätte auf ein Experiment« – das ist nur eine der vielen tollen Zeilen aus dem unerwarteten Klavieralbum, dem Solodebüt, von Antilope Danger Dan. Ebenjenes Experiment im Sinne dieses Albums kann man durchaus als äußerst erfolgreich bezeichnen. Es gab Böhmermann-Fame und Platz eins in den deutschen Albumcharts, hierzulande chartete »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« auf Platz vier. Dass es jetzt ein Live-Album dazu gibt, ist doppelt schön: Denn hierauf finden nicht nur die elf Tracks der Studioversion Platz, sondern auch etwa das unlängst wieder aufgelegte »Ölsardinenindustrie« oder der Corona-Kracher »Nudeln und Klopapier«, die allesamt in orchestraler Opulenz mit Piano und Streichern den Raum finden, den sie verdienen. Eben wie Danger Dan selbst, der sich in die größten Hallen der Fokusmärkte gespielt hat – und seinen Status als einer der klügsten sozialrevolutionären Songwriter deutscher Zunge untermauert.
»Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin)« von Danger Dan erscheint am 2. Juni 2023 bei Antilopen Geldwäsche. Die nächsten Österreichkonzerte: 16. Juni, Linz, Lido Sounds und 14. Juli, Feldkirch, Poolbar Festival. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Lebsanft – »Lebsanft«
(VÖ: 30. Juni 2023)
Jakob Lebsanft, den Insider*innen von Kollaborationen mit Acts wie Coma, Beachpeople oder Magic Island kennen könnten, hat keinen Künstlernamen; wenngleich man das denken könnte, so on brand klingt sein erstes Album als Lebsanft: zuckersüße Popsongs, musikalisch herrliche Leichtigkeit, mitunter auch einmal rockig, aber im liebsten Wortsinne. Inhaltlich geht’s da durchaus zur Sache, gerne auch kritisch, obwohl der beste Song, »Free Hugs«, schon vor allem das Schmusige im Sinne hat. Baci! Hier kaufen.
Kommando Elefant – »Sieben«
(VÖ: 16. Juni 2023)
Erraten! Die Wiener Gruppe Kommando Elefant stellt ihr bereits siebtes Album in die Regale, genau 15 Jahre nach dem Debüt. Inhaltlich dreht sich sehr vieles um Vergangenheit und Zukunft, das Älterwerden und das Jung-wie-nie-Sein. Auch musikalisch lässt sich dieser Widerspruch wahrnehmen: zwischen den Disco-Stampfern der letzten Jahre und dem süßen Indie-Pop eher früherer Alben. Alles Weitere dazu erfahren Sie in der neuen Ausgabe von The Gap. Kaufen können Sie das Album hier.
Die bisherigen Veröffentlichungen aus Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.