Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Kommando Elefant – »Seltene Elemente«
Der älteste Hase der Welt dürfte heute etwa siebzehn Jahre alt sein. Kommando Elefant sind zwar erst deren zwölf im »Business«, alte Hasen sind sie trotzdem. Ist ja auch sehr schnelllebig das Ganze. Und alte Hasen lernen keine neuen Tricks mehr, aber sie können sehr konsequent in ihrer Weiterentwicklung sein. War früher noch alles Indie-Pop, klopfen mittlerweile und eben insbesondere auf dem sechsten Album »Seltene Elemente« wummernde Dance-Flächen und Kirmes-Techno die Endgeräte auf ihre Belastungsgrenzen ab. Kein Wunder, ist Mastermind Alfred Peherstorfer neben Schlager-Ausflügen auch am Elektro-House-Projekt »Alfred Oslo« beteilig. Und das hört man schon auch an allen Ecken und Enden. Meistens ist das auch ganz schön zukunftsromantisch – schöne Zeile: »Will mit dir in unserem Dacia nach Italien fahren« bei »Ich will mit dir alt werden« – häufig auch sentimental: In »Über Wien« geht’s nämlich um den schönsten Schlussmachort der Hauptstadt: Am Himmel am Cobenzl.
»Seltene Elemente« von Kommando Elefant erscheint am 09.10.2020 via Las Vegas Records. 15.10. Release-Show im Chelsea, Wien.
The Screenshots – »2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee«
Bei 90% aller Bands kann es einem egal sein, wenn sie ein neues Album veröffentlichen. Bei 9% denkt man: »Joah, hab ich Bock drauf!«. Bei 1% aller Bands aber, will man vor Freude seine Immobilien abstoßen und für immer in der Schlange vor dem Elektrogroßhändler wohnen. The Screenshots, Internet-Hype und die vielleicht erotischste Band Deutschlands, sind selbstredend so eine. Ihr Album »Europa LP«, die aus ihren beiden EPs »Ein starkes Team« und »Übergriff« bestand, war ein so dickes Ausrufezeichen, das bekommt kein Capslock und »111Einself!!!« hin, ey. Der Song »Google Maps« eine Demonstration. Live war das manchen – etwa beim Waves Vienna 2019 – dann ein bisschen zu alman. Aber – und das kann man eigentlich gar nicht glauben – das neue Album »2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee« ist noch ein Stückchen größer, besser, weiter geworden, kritischer, rhythmischer, hittiger. Die berechtigte und eigentlich noch viel zu subtile Kritik am Start-up-Neoliberalismus samt Schwachmaten-Mindset, namens »Träume«, die etwa mit einem singenden L.Goony aufgenommen wurde: Mörderhit. »Walter White«, Gitarrenrock über Binge-Zwang: Mörderhit. »John Mayer«, in dem Susi Bumms über sexualisierten Popschmalz herzieht: Mörderhit. Um nur drei zu nennen. Einfach mörderisch gut, quasi. Wenn du heuer nur ein deutschsprachiges Gitarrenalbum hören willst, nimm bitte dieses.
»2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee« von The Screenshots erscheint am 16.10.2020. Live-Termine: 1.3.2021 B72, Wien. 2.3.2021, Rockhouse Salzburg.
Sorry 3000 – » Warum Overthinking dich zerstört«
Während das Hamburger »Kultlabel« Audiolith hierzulande meistens immer noch nur mit diesem einen Shirt mit den großen gelben Buchstaben und eben ähnlich klingender Musik assoziiert wird, lohnt sich ein genauer Blick auf den Label-Roster, der auch für Menschen mit grazilerem Geschmack die eine oder andere Delikatesse offenbart: Besonders schmecken lassen kann man sich etwa die sehr gute Gruppe Sorry 3000 aus Halle an der Saale, die mit dem gut betitelten »Warum Overthinking dich zerstört« ihr Debüt veröffentlicht. Als Provinz-Eier natürlich thematisch ein bisschen im Stadt-Land-Widerspruch verhaftet, gestaltet sich das aber dann gar nicht so dramatisch. Das Album ist größtenteils eine amüsante und gleichzeitig angenehm unangenehme Beobachtung des Zeitgeists, untermalt von geschmeidigem Geschrammel und zeitweiligem Balla-Balla-Bumms. Das ist sehr häufig kultiviert, manchmal etwas schlüpfrig (»Dirty Talk«), aber immer die Albernheiten des Menschen im Jetzt verulkend (»Fitness«). Und fast immer halt eben auch bockstark.
»Warum Overthinking dich zerstört« von Sorry 3000 erscheint am 16.10.2020 via Audiolith. Keine Österreich-Termine derweil.
Patrick Richardt – »Pangea Pangea«
»Meine Fresse, habe ich lange dafür gebraucht, darüber nachzudenken, was ich eigentlich sagen will«, so beginnt Patrick Richardt sein nun drittes Album, das den urzeitlichen Titel »Pangea Pangea« trägt. Und, was soll man sagen? Es hat sich ausgezahlt, für den Hamburger, das Nachdenken. Die ersten beiden Alben hatten zwar handwerklich durchaus solide und hatten etwa mit »Adé, Adé« auf »So, wie nach Kriegen« und »Euphorie« auf »Soll die Zeit doch vergehen« durchaus auch varitable Hits zu bieten, waren aber nicht vergleichslos, sondern eher den gewohnten Hörgewohnheiten entsprechend. Nach längeren Aufenthalten in Uganda und auf einem Kreuzfahrtsschiff (geil!) und eben längerem Nachdenken, zeigt er sein »wahres Gesicht« wie er im Titelsong verrät. Und das heißt eben: »Pangea Pangea« ist deutlich düsterer, größerer und einfach bedrohlicher. Natürlich verlässt ihn sein Geschick, das Alltägliche in traurige Poesie zu verwandeln nicht, er macht es nur bedeutungsschwangerer und tiefgründiger. Und damit auch ein ganzes Stück individueller.
»Pangea Pangea« von Patrick Richardt erscheint am 23.10.2020 via Snowwhite Records. Keine Österreich-Termine derweil.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Felix Kramer – »Alles gut«
(VÖ: 9.10.2020)
Nach ein paar kleineren Verschiebungen meldet sich Ottakring’s most wanted, der Kramer Felix, wieder in Albumform zurück. Und auch wenn Sie demnächst online auf thegap.at oder bereits in unserer Ausgabe 182 Genaueres zum Thema erfahren können, sei Ihnen gesagt: »Alles gut« ist etwas geflunkert: Weil so gut geht’s uns gar nicht. Und dem Kramer Felix auch nicht.
Yukno – »Im Stream der Zeit«
(VÖ: 9.10.2020)
Die Nöhrer-Buam aus Stubenberg – Grüße gehen raus in die Oststeiermark! – haben den Zeitgeist mit Löffeln gefressen. Mit ihrer melancholischen Elektronik für die so genannten VerliererInnen der so genannten Digitalisierung, bemessen sie präzise den Price of Zeitgeist. Auch darüber werden Sie hier demnächst noch ausführlicher unterrichtet.
Culk – »Zerstreuen über euch«
(VÖ: 9.10.2020)
Auch die Wiener Gruppe »Culk« veröffentlicht ihr zweites Album. Ganz aufmerksame Verfolgerinnen kurzfristiger Hypes erinnern sich noch deutlich an die Single »Begierde/Scham« oder das namenlose Debütalbum. Das zweite Album soll deutlich besser sein als das Debüt. Mehr darüber in der aktuellen Ausgabe von The Gap, die sehr geschätzte Kollegin Sarah Wetzlmayr berichtet über »Zerstreuen über euch«.
Picobello – »was wird sind« (EP)
(VÖ: 2.10.2020)
Picobello ist nicht nur der beste Name für Beauty-Salons für Vierbeiner, sondern auch der Name einer Wiener Gruppe, die sich mit beschwingtem und sommerlichem Indie-Pop durchaus schon ein bisschen Aufmerksamkeit erspielen konnte. Die erste EP, zusammengestellt aus den Veröffentlichungen des ersten Bestandsjahres, bietet gute Kost, ihr eigentlich größter Hit »Mädchen aus der U-Bahn« ist aber textbedingt etwas unangenehm.
fluppe – »Billstedt« (EP)
(VÖ: 9.10.2020)
Hamburger Schule mit britischem Postpunk und amerikanischen Indierock zu verschmelzen, ist zwar nicht die neuerste Erfindung, aber immer wieder aufs Neue äußerst fruchtbar. fluppe – nur echt mit kleingeschriebenem Namen – haben’s nämlich ganz schön drauf: Ihre erste Vier-Song-EP hat das Zeug zum Startschuss einer Karriere, die noch für viele offene Ohren sorgen kann.