Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Oktober 2024. Mit Lyschko, Christoph & Lollo, Isolation Berlin, PeterLicht und mehr.
Christoph & Lollo – »Alles gut«
Sechs Jahre sind schon einen lange Zeit – manche werden in derselben geboren und eingeschult! –, aber so richtig kommt es einem nicht vor, als wären Christoph & Lollo weg gewesen. Waren sie auch nicht, die mediale Multipräsenz macht die beiden fast schon zu – Achtung, Mörderschmäh – »Comedy-Gipfel-Zipfler«. Dass es auf Albumlänge dann doch ein wenig gedauert hat, merkt man der bereits neunten LP dann durchaus auch an, immerhin finden sich viele Stücke wieder, die vor allem im Covidkontext funktionieren: »Jahresrückblick 2020«, »Der nächste Lockdown« oder »Wenn der letzte Livestream aus ist« zeugen eben davon, dass nicht alles superaktuell ist, wenngleich natürlich Themen wie Influencer*innen, Klimawandel und allgemein die nicht ganz so geile Republik Österreich universell sind und quasi immer funktionieren. Funktionieren ist ohnehin ein gutes Stichwort, denn auch knapp dreißig Jahre nach dem ersten Song (»Lebkuchenherz«) klappt der unique Style noch immer wunderbar. Und dass dann nicht alles topaktuell ist, das kann verschmerzt werden – Christoph & Lollo, die Träger des Österreichischen Kabarettpreis 2022, gehören ohnehin nicht unbedingt auf den Plattenteller, sondern auf die Bühnen und Fernsehprogramme dieser Welt.
»Alles gut« von Christoph & Lollo erscheint am 4. Oktober via Kazuyoshi Records / Hoanzl. Zahlreiche(!) Termine gibt’s hier, wo man das Album auch kaufen kann.
Lyschko – »Niedergang II«
Man kann es sich auch einfach machen und nur die Spezis der Gruppe aus Solingen nennen, um die Lesenden zu catchen sowie um griffig und schnell die Relevanz der Band zu untermauern. Also: Mia Morgan, Drangsal, Tobias Siebert. Man kann auch einfach ein trendy Genre nennen, zum schnellen Weiterscrollen oder Verharren, also: Höchstdramatischer Y2K-Emo, Gerard Way would love. Oder man kann auch ganz klar sagen: Das zweite Album von Lyschko ist einfach top! Nach dem Erstwerk »Brennen« aus dem 2022er-Jahr, ging’s gleich wieder ins Studio. Wer so dringliche Musik machen will, braucht auch den inneren Drang – intrinsische Motivation würden Business-Coaches sagen, wenn sie etwas zu sagen hätten. Selbiges obliegt hier nämlich ausschließlich dem Dreier, der mit einer Soundästhetik zwischen The Cure, Billy Talent und Neuer Neuer Deutschen Welle das richtige Gespür für große Refrains und das Stillen hungriger Herzen hat. Lyschko klingen, wie sie aussehen – und in diesem Fall ist das ein riesiges Kompliment!
»Niedergang II« von Lyschko erscheint am 25. Oktober via My Favourite Chords. Keine Österreich-Termine. Album hier kaufen.
Isolation Berlin – »Electronic Babies«
Zwischen Bierseligkeit und Unschuldspoesie, zwischen Krach, Krawall und Seemannsromantik, zwischen Features mit Element of Crime und solchen mit Solomun, zwischen Indie-Fame und leichtem Andocken im Overground, zwischen Staatsakt und Universal: Isolation Berlin haben es auf ihren bisherigen vier Alben ganz schön weit gebracht. Bamborschke und Co haben der Welt ihre Tricks gezeigt. Auf dem neuesten Langspieler – eben erstmals bei einem Major – könnte man deshalb den vermutlich ganz großen Ausverkauf vermuten, aber denkste: Auch auf »Electronic Babies« sind Iso Berlin vor allem sie selbst, sehr unverkennbar trotz all der Varianz, mit Trademark-Schunkelpop, wie etwa in »In dem Park auf der Bank«, dabei ziemlich radiotauglich (»Verliebt in dieses Lied«) und dann wieder neonlicht-krachig (»Ratte«) – und das waren nur die Vorab-Singles. Inhaltlich ist natürlich alles wieder sehr Großstadt, sehr Kummer, sehr Wut und auch Humor. Immer gut, wenn band sich selbst treu bleiben.
»Electronic Babies« von Isolation Berlin erscheint am 11. Oktober via Vertigo / Universal. Österreich-Termin: 15. März 2025, Wien, Flex. Album hier kaufen.
Peter Licht – »Alles klar«
Peter Licht, der Typ ohne Alter, ist ein Freund der klaren Worte – und beginnt sein bereits siebtes Album mit einer ebenso klaren Botschaft: »Wir schulden euch nichts / aber ihr schuldet uns die Welt!“ Unterlegt mit einem Kinderchor für das Eitzerl mehr an Nachdruck. Bereits der Vorgänger »Beton und Ibuprofen« (mit dem lange nachhallenden Song vom »Ibuprofenchen«) war ein Abgesang auf die multiplen Krisen, die wir Gegenwart nennen, deren Eskalationen ja bekanntlich nicht gerade abgenommen haben und die dementsprechend auch neu kritisiert werden müssen: So geriert sich auch das Album »Alles klar« vor allem als Zuhörer, als Verständnis, als Ratgeber für die Anforderungen eines modernen Lebens. Untermalt vom typischen, soften Indiepop und gar federleichten Spacepop, die Peter Licht schon vor zwanzig Jahren zum Posterboy verträumter Studierender machten, text-musik-schert er sich durch die mitunter fatalistischen und gleichsam hoffnungsvollen Texte, dass es nur so eine Freude ist.
»Alles klar« von Peter Licht erscheint am 4. Oktober via Tapete. Keine Österreich-Termine. Album hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Gewalt – »Doppeldenk«
(VÖ: 4. Oktober)
Worte sind manchmal wie Gewalt (die Aktivität, nicht die Band): Einfach falsch. Das bereits zweite Album nach dem eigentlich angekündigten Veröffentlichungsstopp führt die Gruppe um Patrick Wagner auf eine Tour de Force durch Industrial, Postpunk, Elektropop – schön düster und gefährlich. Alles weitere hat Gewalt-Experte Martin Mühl in der aktuellen Ausgabe von The Gap für euch zusammengefasst. Hier lesen. Das Album können Sie hier kaufen.
Leftovers – »Es kann sein, dass alles endet«
(VÖ: 11. Oktober)
Die vermeintlichen Industry-Plants Leftovers machen das einzig Richtige: Sie schmieden das Eisen, solange es heiß ist. Der eskapistische Traum alljener, die sich selbst nicht ganz trauen, verkauft sich auch auf dem dritten Album in zwei Jahren sehr teuer – ein gewisser Lifestyle will auch repräsentiert werden und das geht nur mit richtig starken Song, wo einfach alles sitzt. Weitere Infos findet ihr – wie so häufig – in der aktuellen Ausgabe von The Gap. Hier Album holen.
Anajo – »Nah bei mir (20th Anniversary)«
(VÖ: 11. Oktober)
2004 veröffentlichte die Gruppe Anajo aus Augsburg einen wahren Klassiker, einen deutschen Indie-Meilenstein, vielleicht ein bisschen zu uncool für fade Fans der Hamburger Schule, aber definitiv viel zu cool für das Deutschpop-Gedöns der Angepassten: »Nah bei mir« war und ist ein gar zauberhaftes Werk, mit süßen Evergreens wie »Monika Tanzband«, »Die Tränen sind immer noch meine«, »Einmal noch schlafen«, »Was ist die Zeit« oder »Mein erstes richtiges Liebeslied« (of »Better Call Saul«-Fame). Dass jetzt Tapete Records dem Album nochmal neuen Schwung verschafft, ist deshalb also nicht nur würdig und recht, sondern absolute Notwendigkeit! Hier unbedingt kaufen.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.