Wird die ÖH wieder eine politische Kraft? Die Feuerherde rund um die „Uni brennt“-Proteste scheinen gelöscht, Hörsäle werden wieder für Vorlesungen genutzt und das Budget der Universitäten und Hochschulen wurde aufgestockt. Aber welchen Weg wird die ÖH nach Protesten einschlagen, die ihre Mitglieder offiziell unabhängig von ihrer Interessensvertretung geführt haben?
Barbara Blaha
"ÖH 2.0 selbst gestalten" ÖH – das riecht nach Struktur, nach Gremien und Apparat. Wie viel mehr Sexappeal scheint da die Protestbewegung der Studierenden zu haben? Politik machen die selbst, ganz ohne Beamtenkram. Tatsächlich haben sie ein gemeinsames Ziel: Da wie dort kämpfen Studierende für einen anderen Bildungsbegriff, für eine demokratische Universität, für ein Studium, das ihren inhaltlichen Ansprüchen genügt. Die ÖH lebt Partizipation, schließlich engagieren sich hier hunderte Studierende ehrenamtlich in ganz Österreich. Von der Webkompetenz der Protestbewegung kann die ÖH einiges lernen – oder besser noch: Studierende gleich einladen, ihre ÖH 2.0 selbst zu gestalten. Eine Änderung der Verhältnisse erreicht jedenfalls nur, wer Kräfte bündelt. Nur dann ist man ein Gegenüber mit dem Karl rechnen muss.
Barbara Blaha, 26, war von 2005-2007 ÖH-Vorsitzende und dem Protest immer schon verpflichtet. Seit 2007 leitet sie den Polit-Kongress Momentum.
Samir Al-Mobayyed
"ÖH muss sich ihrer Verantwortung wieder bewusst werden" In den Zeiten der Hörsaalblockaden war es um die ÖH, die einzige demokratisch legitimierte Studierendenvertretung, nicht zum Besten bestellt. Mit Schlagzeilen, die die Daseinsberechtigung der ÖH an sich in Frage stellten, war der negative Höhepunkt dieser Zeit erreicht. Der Imageschaden, den die Studierendenvertretung im vergangenen Wintersemester erlitten hat, ist leider wenig verwunderlich. Anstatt sich vor die Studierenden zu stellen, sie aktiv zu vertreten und sich für ihre Anliegen einzusetzen, ließ die ÖH-Minderheitenexekutive aus GRAS/VSStÖ und Teilen der FEST die knapp 300.000 Studentinnen und Studenten in dieser mehr als kritischen Phase im Stich. Das Vorsitzteam rund um Sigrid Maurer übte sich vielmehr darin, die „Audimaxisten“ mitsamt ihren universitätsfremden und realitätsfernen Forderungen und Ansichten finanziell zu unterstützen – mit den Pflichtmitgliedsschaftsbeiträgen der Studierenden!
Jetzt, wo diese „Bewegung“ beendet ist, die Hörsäle wieder für ihren Kernzweck verfügbar sind, muss sich die ÖH wieder ihrer Verantwortung bewusst werden. Heute gilt es, den Blick nach vorne zu werfen: In der österreichischen Hochschulpolitik gibt es viele Probleme zu bewältigen. Oberste Priorität muss eine verbesserte Finanzierung des Hochschulsektors sein! Die ÖH ist hier gefordert, mit Nachdruck die vereinbarten 2 % des BIPs für Hochschulen bis 2015 zu fordern, damit dieses wichtige Ziel nicht vom Winde der Wirtschaftskrise verweht wird. Aber auch andere hochschulpolitische Fragen müssen gelöst werden. Vor allem in den Bereichen Studienstruktur und Hochschulzugang ist es Kernaufgabe der ÖH, an Lösungen mitzuwirken, die den Studierenden ein qualitativ hochwertiges Studium ihrer Wahl ermöglichen.
Die ÖH ist die Kraft, auf die sich die Studierenden zu Recht verlassen. Denn wer, wenn nicht die einzige demokratisch legitimierte Vertretung der Studierenden, soll deren Interessen nach Außen kommunizieren und diese auch vertreten? Einzig die ÖH hat das Recht und die Pflicht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Es liegt also an ihr, an einer guten, studentischen und universitären Gegenwart und Zukunft mitzuarbeiten!
Samir Al-Mobayyed, 26, studiert Jus im Doktorat, war 2007 und 2009 Bundesspitzenkandidat der Aktionsgemeinschaft und von Juni 2008 bis Juni 2009 Vorsitzender der ÖH.
Beatrix Karl
"Wir brauchen eine starke ÖH" Eine starke Interessensvertretung der Studierenden, die mit unkonventionellen Ideen und provokanten Forderungen frischen Wind in die Hochschulpolitik bringt – ungemütlich, aber dennoch eine konstruktive Partnerin und erste Anlaufstelle für studentische Anliegen. So wünsche ich mir die ÖH. Als aktiven Player, der mir als Wissenschaftsministerin so manches zu überdenken und lösen gibt, aber dennoch, wenn auch mit oft konträren Positionen, dasselbe Ziel verfolgt: mehr Qualität und bessere Studienbedingungen an unseren Hochschulen.
Als demokratisch legitimierte Studierendenvertretung war und ist die ÖH für mich als Politikerin immer die erste Ansprechpartnerin. Doch das hätte sich in den vergangenen Monaten beinahe schlagartig geändert: Auf der einen Seite stand eine Protestbewegung, die sich von ihr nicht vertreten lassen wollte. Auf der anderen Seite standen Studierende, die durch die Blockaden vom Studium abgehalten wurden – diese Studierenden wiederum wollte die ÖH nicht vertreten. Also was tun? Eine Studierendenvertretung, die niemanden vertritt, stellt sich selbst ins Abseits.
Die Legitimation der Österreichischen HochschülerInnenschaft stand plötzlich in Frage. Aber wir brauchen die ÖH! Als starke Interessensvertretung für die Studierenden und als konstruktiven Verhandlungspartner für die Politik. Nur im Dialog können wir die Probleme an den Hochschulen lösen, die auch die verständliche Ursache für die Protestbewegung waren. Es ist nicht zumutbar, dass Studierende in überfüllten Hörsälen oder sogar davor sitzen müssen. Auch bei der Umsetzung der Bologna-Architektur gibt es genug zu tun. Aus einer großen Idee wurde in einigen Studienrichtungen durch halbherzige Umsetzung eine Misere.
Konträre Lösungsansätze, die ohne Frage vorhanden sind, müssen wir im Dialog zusammenführen, um einen gemeinsamen Weg zu finden. Ich freue mich auf spannende Diskussionen mit den Studierendenvertretern – sowohl mit den institutionellen als auch mit jenen aus der Protestbewegung. Hier spielt die ÖH als kreative Ideengeberin, Vermittlerin und konstruktive Verhandlungspartnerin eine unverzichtbare Rolle, in die sie gerade wieder zu finden scheint. Damit ist die Frage nach der Legitimation der ÖH beantwortet.
Beatrix Karl, 42, war seit 2003 als außerordentliche Universitätsprofessorin für Arbeitsrecht, Sozialrecht und Europarecht an der Karl-Franzens-Universität Graz tätig. Ihr Einstieg in die Politik erfolgte 2005. Zuletzt war sie Nationalratsabgeordnete und Wissenschaftssprecherin der ÖVP. Am 26. Jänner wurde die Steirerin als Wissenschafts- und Forschungsministerin angelobt.
Sigrid Maurer
"ÖH ist wieder eine politische Playerin" Ob die ÖH stark oder schwach, politisch oder ignorant, sichtbar oder in der öffentlichen Wahrnehmung inexistent ist, hängt von den Rahmenbedingungen ab – und davon, wer die Exekutive stellt. Von Schwarz-Blau ab wurde die (linke) ÖH grundsätzlich ignoriert – sie war trotzdem laut. Das war ein bisserl unangenehm, weshalb die Politik versuchte, sie über die Abschaffung der Bundes-Direktwahl politisch wieder konservativ zu färben. Das neue Wahlrecht brachte Budgetkürzungen und große Schwierigkeiten bei der Mehrheitsfindung im Studierendenparlament. Ein einjähriges Intermezzo der Konservativen ließ die ÖH aufgrund der Betonung von Service und des Verzichts auf Politik gänzlich in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.
Trotzdem haben wir es 2009 geschafft, eine progressive Exekutive zu stellen, die es sich zum Ziel gemacht hat, die ÖH wieder als politische Playerin zu etablieren. In meinen Augen sind wir das nun wieder – aber ohne die Proteste hätten wir das niemals geschafft. Jahrelang hat die ÖH versucht, Studierende auf die Straße zu mobilisieren, sie dazu aufgefordert, sich die Frechheiten der Regierungen nicht gefallen zu lassen – ohne große Erfolge. Doch ohne ihre Basis – die Studierenden – ist die ÖH eine leere Hülle. Sie muss aber viel mehr sein als ihre Funktionärinnen und Funktionäre in der Taubstummengasse. Sie kann nur stark sein mit der gebündelten politischen Energie der Studierenden. Die Studierendenproteste geben uns nun die Möglichkeit, gemeinsam für gute Bildungspolitik zu kämpfen, denn eines ist klar: An uns Studierenden kommt die Politik nicht mehr so leicht vorbei.
Sigrid Maurer, 24, ist Vorsitzende der ÖH-Bundesvertretung und Aktivistin der GRAS (Grüne & Alternative StudentInnen). Sie studiert Politikwissenschaft in Innsbruck.
Vassilakou Mary
„Breite Basis braucht strukturierte Speerspitze“ Überfüllte Hörsäle, verschulte Studienpläne und viel zu wenig Betreuer: Der Frust der Studierenden ist groß und wird dadurch verstärkt, dass sich die politische Debatte nicht um Investitionen dreht, sondern um Verschärfung der Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren. Damit Protest wirksam ist, braucht es zweierlei: Eine breite Basis in der Zivilgesellschaft, aber auch eine strukturierte Speerspitze auf der Ebene der politischen Vertretung. Die ÖH hat die Aufgabe, innerhalb des politischen Systems die Interessen der Studierenden zu artikulieren und durchzusetzen. Die Audimax-Bewegung verschafft ihr den nötigen Rückenwind. Schlussendlich brauchen beide einander, um Fortschritt zu erzwingen.
Maria Vassilakou, 40, ist stellvertretende Bundessprecherin der Grünen und Wiener Klubobfrau. Innerhalb der ÖH war Vassilakou gewählte Vertreterin der ausländischen Studierenden im Zentralausschuss und 1995 ÖH-Generalsekretärin.
Was bisher geschah: Am 20. Oktober 2009 wurde an der Akademie der Bildenden Künste in Wien zum Generalstreik aufgerufen und gefolgt sind weit mehr als nur die Studentinnen und Studenten dieser Fakultät. Bereits zwei Tage später wurde der Hörsaal Audimax an der Universität Wien besetzt und dies sollte sich die nächsten 60 Tage nicht mehr ändern, auch wenn die Besetzer, mal frustrierte und aufgebrachte Studenten, mal fröhlich und ausgelassen feiernde Party Animals, bis hin zu Obdachlosen, immer wieder wechselten. Wogegen protestiert wurde, dass schien zeitweilig von den Protestierenden selbst vergessen worden zu sein, denn solidarisiert hatte man sich mit jedem, der einen nicht sofort aus dem Audimax kicken wollte und gefordert wurden teils naive und nicht zu realisierende Reformen, um die Welt zu verbessern. Den Protest losgetreten hatte aber eigentlich die Umstellung der Studien auf die Bologna-Struktur, sprich der Einführung von Bachelor- und Mastertiteln, sowie die Abschaffung einiger Studiengänge. Weiters angeprangert wurden Studiengebühren, Leistungsvereinbarungen und Zulassungsbeschränkungen.
Am 22. Dezember wurde in der Uni Wien dann eine Art symbolischer Weihnachtsfriede erzwungen und das Audimax geräumt. Verhallt ist der Ruf der Studentinnen und Studenten aber auf keinen Fall, denn immerhin konnten durch diese Protestaktionen, die sich nicht nur über ganz Österreich, sondern auch über Deutschland erstreckten, insgesamt 35 Millionen Euro für Universitäten und Hochschulen gewonnen werden. Politischer Vertreter der Protestierenden und somit auch Verhandlungsorgan war die ÖH, die österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft, ihres Zeichens Interessensvertretung aller Studierenden in Österreich. Zumindest zum Teil. Letztere dürften das aber ganz anders sehen oder gesehen haben. Denn zumindest offiziell wurde der Protest komplett unabhängig von der ÖH geführt.
Die Frage drängt sich auf, warum sich Studentinnen und Studenten von ihrer eigenen Interessensvertretung abkapseln wollen. Hat die ÖH etwa versäumt, die Interessen ihrer Schützlinge rechtzeitig zu erkennen, oder wurden diese Interessen und die Unzufriedenheit, dem politischen Frieden wegen, gar absichtlich übersehen? Die ÖH wird sich nach all dem jedenfalls eine neue Rolle für sich selbst überlegen müssen, denn offensichtlich waren der Service für die Studierenden und die politischen Aktivitäten der Hochschülerschaft vor den Protesten nicht unter einen Hut zu bringen. Oder sind Service und Politik in der Interessensvertretung gar ein Widerspruch?
Weiterführendes unter www.thegap.at/wortwechsel