Gilles Peterson is the man of wise choice. Was überforderte Musikliebhaber schon lange nicht mehr schaffen, erledigt der gute Mann aus Neugier – das Aufsortieren neuer Sounds und Trends mit Qualität. Am 30. Juni im Rahmen des Jazz Fest Wien mit seinem Kuba-Werk zu bestaunen.
Kaum jemand hat die letzten drei Jahrzehnte so beständig aus dem Hintergrund mit Trends und Entdeckungen versorgt wie Gilles Peterson. Im Angesicht lächelt verschmitzt ein braver Bub, einer der grundsätzlich mal brav war in der Schule und seine Schmähs über die Hintertüre anbringt. Diese kindliche Verspieltheit hat sich der gute Mann durch die Wirrnisse der Jahre bewahren können. Allerdings kann er auch mal schnell umschalten, wenn man seinen liebsten Spielplatz in Gefahr bringt. Dann kehrt sich sein Wesen in den scharfsinnig eloquenten Typen, der mit klarer Strategie Schutz für seine Sandkiste aufbaut. Das musste auch er erst schmerzlich lernen, denn die Industrie um ihn herum gibt sich selten gönnerhaft. So geschehen, als sein legendäres Label „Talkin’ Loud“ einer feindlichen Übernahme durch eine Major-Plattenfirma zum Opfer fiel. Gilles merkte simpel zu spät, dass seine eigene Firma schon längst ausgehöhlt war und er selbst kaum noch Entscheidungsgewalt hatte. „ It was a truly bad day, when I realised late after long years how little breath I had left.”, wie Peterson das schön ausdrückt. Mit hörbarer Verbitterung im Hintergrund benutzt er Tee zum Runterspülen. Schüttelt das ab und erfreut sich der Gegenwart, die ihm wieder sein Spielfeld beschert. Brownswood Recordings ist sein eigenes Label, komplett eigenständig mit handverlesenem Team geführt. Das freie Dasein benötigt auch all seine Kraft und Tätigkeitsfelder, denn „Wir wären morgen schon pleite, wenn wir nur von den Plattenverkäufen leben müssten.“ Ein Glück, dass es der Mann drauf hat. Versierter DJ über die Jahrzehnte, erfolgreicher A&R-Scout, Produzent und Macher einer der meistgehörten Radiosendungen um den Globus – das BBC-Kind „Worldwide“ läuft lobenswert auch hier über FM4. Doch woher das alles?
Back in the Daze
Zurück zur Zeit von „Knight Rider“ und „Miami Vice“, als Pluto noch ein Planet war. Mitte der Achtziger herrscht kunterbuntes Leben in England, der shiny Pop kommt an seine Grenzen, der aggressive Sound ist auch nicht mehr der Revolution glaubwürdig treu. House als Interpretation des Disco im Spannungsfeld mit Soul zeigt seine ersten Facetten und dreht das Nachtleben. Teilweise in derselben Szene beheimatet entwickelt sich eine Nebenfahrbahn, die bald ihre Abzweigung als Gegenkonzept nehmen sollte. Der gebürtige Schweizer Peterson ist eine der Speerspitzen, die den guten alten Sound zelebrieren und frische Bands mit ähnlicher Orientierung beständig einfließen lassen. Es ist nach Jahren der Entwöhnung ein vertrauter und doch frischer Sound, der ziemlich schnell die Nachtfliegen um die Discokugel fliegen lässt. Als Verbrämung der unterschiedlichen Stile findet sich der Begriff „Acid Jazz“ (auch existent als Label von ihm und Eddie Piller) als zusammenfassende Käseglocke der Szene. Bands, die es mit enormer Livestärke in jedem Club brachten waren Galliano, Incognito, Brand New Heavies, Jamiroquai oder die Young Disciples. Peterson machte die Partys dazu, schuf nach zwei Jahren mit Piller sein eigenes Label aufgrund der Nachfrage und Erweiterung. Der Erfolg war enorm und auch über den Grenzen ging der Sound wie ein Lauffeuer durch die Clubs. Nicht zuletzt auch eine riesige Chance für neue und alte Jazzer, die unerwartet aus der Verbannung der abgehalfterten Jazz-Ecke wieder mit Coolness-Faktor aktiv sein konnten. Gilles selbst reaktivierte auch einen der Folksoul-Helden, der schon beinahe in Vergessenheit geraten waren. Terry Callier arbeitete seit Jahren als Programmierer, als die Bitte um eine paar Auftritte rein kam. Der Beginn eines der schönsten Comebacks im Soul ever. Alles was zum Hype wird, hat auch schon sein impliziertes Ende in der Tasche. So geht der Trend weiter, der findige Peterson fühlte sich ebenso schnell mal zu sehr gefangen im engen Korsett des Acid Jazz. Doch während im Normalfall die Gurus einer Ära als Statue in den Schaukasten gesperrt werden – man kann zwar nicht mehr davon leben, verändern darf man sich als Aushängeschild jedoch ebenso wenig – bleibt Gilles Peterson eine Trademark mit Gegenwarts-Faktor.
More Change
Der Connaisseure erweitert beständig seine DJ-Sets und verkündet seit 1998 per „Worldwide“ seine Sichtweise der „freshen“ Sounds. Der gemeinsame Nenner ist dabei immer das richtige Feeling im Song, das warme Gefühl einer richtigen Aussage. Ob er nun Drum´n´Bass, Brazil, Minimal House, Electro, Dub, Ragga, Nu Jazz bis zum Hip-Hop oder abgefahren Rootiges aus Afrika auf den Teller legt. Selbst bei schrägen Mischungen folgen ihm die Fans treu. Aktuell ist der Mann mit Jahrgang 1964 auf Kuba hängen geblieben. Auf Einladung mit dem Pianisten Roberto Fonseca eruierte er den Stoff für „Presents Havana Cultura“.
„Es geht um den Ansatz, den kontemporären Sound der neuen Generation von Havanna zu portraitieren und konfrontieren. Kein Aufwärmen der freundlichen Klischees für Touristen, sondern eine wahre Momentaufnahme. Die dortige Szene wurde durch den Hype um den „Buena Vista Social Club“ komplett übertönt. Das gilt es richtig zu stellen. Noch dazu ist das sehr spannend für mich, denn es besteht keine Hype um diesen Sound.“, stellt Peterson gleich mal klar, dass er nicht den billigen Follow Up sucht. „Ich bin ja kein Experte, war es auch nie. Ich sehe mich eher als Kind und Fan der Musik generell. Und hoffe, dass meine Ohren und Augen noch immer offen sind. Zumindest die Ohren musste ich mir nochmals putzen. Unglaublich, wie stark die junge Szene auf Kuba ist. Einerseits merkt man klar die Frustration und radikale Einstellung zum Leben, andererseits ist der Lebensstil relaxed und es besteht große Sorgfalt bei den Worten.“, kommt Peterson nun mal so richtig ins Schwärmen. Fonseca und Peterson gingen an die Talente heran und nahmen mit Bands in unterschiedlichen Variationen auf. Kein Fehler, dass Fonseca ein versierter Jazzpianist mit weitreichenden Kenntnissen im Cuban-Style bis HipHop ist und ein paar Leute an der Hand hat. Schön wird es, wenn Peterson im Kopf den Bogen spinnt und den dort unbekannten Fela Kuti als Blueprint für einen Song nimmt und schon läuft das Tonband mit. Keine Vorgaben, aber auch der Versuch, neue Wege mit den Musikern zu forcieren, wie er bestätigt: „Zwischen Reggaeton und Son hat das Herz eben mal viel Platz zum Pumpen. Die Entwicklung mitzuerleben war mir extrem wichtig. Immerhin ist HipHop dort tatsächlich eine Randerscheinung im Underground. Ich fühlte das Blut mal wieder so richtig lebendig fließen. Ohne Frage, dass da noch ein weiteres Album mit diesem Fokus folgen muss.“
Stay Fresh
Und wohin geht es dann weiter? Japan steht ganz oben auf der Liste des Brownswood Recordings-Machers. Österreich hatte ja gar nicht lange her die Ehre, nachdem Gilles den wunderbaren Dorian Concept erstaunlich gefeatured hat. „Ob Eric Lau, Chang Abi, Onda Sonora oder eben Dorian, ich freue mich, wenn ich wo helfen und Kontakte herstellen kann. Es ist ja eine gewisse Dankbarkeit im Nachhinein, denn solche Leute haben mich ja schon zuvor weggeblasen. Wo das alles in zehn Jahren ist? Keine Ahnung. Meine tägliche Arbeit ist eigenartig. Ich liebe es zu reisen, am liebsten mit der Familie. Und für einen doppelten Vollzeit-Job habe ich eigentlich viel Zeit mit meinen Kindern (9 und 13 Jahre alt). Die verstehen überhaupt nicht, was ich mache. Ist aber auch spannend zu sehen, wo sie mit diesem Verständnis ihre Entwicklung finden. Ich will jedenfalls noch viel sehen und lernen.“ Und man hofft, dass es auf Ewigkeit „fresh“ sein wird.
Gilles Peterson & Roberto Fonseca
"Havana Cultura”
Mittwoch 30.06.2010 20.00 Uhr
Halle E / Museumsquartier