Der Berliner Piratenpartei und den österreichischen Grünen ist es gelungen, ihre Hauptanliegen in der Realpolitik zu verankern. Der Unterschied liegt in der Geschwindigkeit. Hoffentlich.
Kürzlich hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem Mann, der sich selbst gerne als Vertreter der 68er Generation darstellt. Er ist um die 60, in seinem Denken Realist und in der Gegenwart verankert. Und er ist enttäuscht von den Grünen; vor allem wegen ihrer „Technologiefeindlichkeit“ wie er es ausdrückt. Mag sein, dass das etwas zu hart formuliert ist, aber im Kern hat er schon Recht. Die Grünen, die dieser Tage ihr 25-jähriges Bestehen in Österreich feiern, sind nicht unbedingt sprudelnder Quell progressiver netzpolitischer Konzepte. Ihre Leistungen im Bereich der Umweltpolitik lassen sich allerdings nicht wegdiskutieren. Die Piratenparteien Europas schicken sich an, es den Grünen bei einem anderen Thema gleichzutun.
Staatssekretariat für Netzpolitik
Die Piraten haben Berlins Politik in Bewegung versetzt. Mit einem Wahlergebnis von 8,9 % haben sie es im September erstmals geschafft, in ein deutsches Landesparteiparlament einzuziehen. Der erste und sichtbarste Erfolg ist nun die Schaffung eines eigenen Ressorts für Netzpolitik. Was da im Kapitel 9 des vergangene Woche veröffentlichten Koalitionsvertrags zwischen SPD und CDU steht, wäre ohne den Wahlerfolg der Piraten wohl nicht in der Form dort gelandet: „Das Land Berlin wird künftig die Netzpolitik neben der Medienpolitik zu einer eigenständigen Säule entwickeln und in einem Ressort abbilden.“
Formal gesehen liegt die Bedeutung des Themas jetzt gleichauf mit Bildung oder Gesundheit. Und dass Netzpolitik trotz der globalen Struktur des Internets auf der Ebene eines Bundeslandes durchaus bedeutsam ist, zeigen die Themen, die dem Ressort zugeordnet sind: Es geht um eine Digitalisierung des Landes Berlin. Der Glasfaserausbau gehört da ebenso dazu wie Open Government Data. Die Berliner Koalition will sich aber auch auf Bundesebene für ein modernes Urheberrecht und das Prinzip „Löschen statt Sperren“ in den Staatsverträgen einsetzen. Auch ein Bekenntnis zu „Netzneutralität zur Förderung der digitalen Vielfalt“ ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Strukturelle Ähnlichkeiten Netz und Ökologie
Ähnlich wie das Umweltthema muss das Internet gleichermaßen auf einer lokalen bzw. regionalen Ebene wie auch global behandelt werden. Beim Umweltthema weisen die österreichischen Grünen ganz zu Recht auf einige schöne Erfolge hin. Im ersten Kapitel der Publikation „25 Jahre grüne Erfolgsgeschichte“ steht: „Umweltschutz wird zur Institution“. Die Grünen dürfen sich das gerne auf ihre Fahnen heften. Genauso wie sie es zu Recht als ihr Verdienst bezeichnen, dass es in Österreich eine breite Ablehnung gegenüber Atomstrom gibt.
Dennoch liegt viel im Umweltbereich noch immer viel im Argen: Auf globaler Ebene sind wir mit einem Klimawandel konfrontiert, der rascher vor sich geht als noch vor zwei bis drei Jahren angenommen. Österreich hat in den letzten Jahren seine Klimaziele nicht erreicht und Emissionsrechte in Millionenhöhe zugekauft. Es gibt immer noch verdammt viel zu tun – genauso wie im Internet. Das Netz wird mehr und mehr zentraler Bestandteil der Lebenswelt vieler Menschen, zu einer Umwelt, die es zu schützen gilt. Und genauso wie in der Ökologie gibt es massive Differenzen zwischen Massenproduktion und den Lebensbedingungen einzelner in diesem System.
Wir brauchen mehr Piraten: Lokal, regional, global
Im Buch „Freiheit vor Ort. Handbuch kommunale Netzpolitik“ wird die Bekämpfung jeder Form von digitaler Ungleichheit als wichtigste Prämisse für Netzpolitik formuliert: „So vielfältig mögliche Lösungsansätze sind, haben die meisten von ihnen jedoch eines gemeinsam: Sie alle nehmen die Politik bei der Bekämpfung der digitalen Spaltung in die Verantwortung.“ Das Berliner Koalitionspapier lässt durchaus hoffen, dass das eigene Staatsekretariat sowohl konkrete Vorhaben auf Landesebene angeht, als auch seine Stimme auf Bundesebene erhebt. Eigene Stadträte für Netzpolitik würden hierzulande Initiativen wie der Open Commons Region Linz oder der Open Data Initiative der Stadt Wien ein Gesicht und deutlich mehr Gewicht geben. – Und damit wohl auch auf Bundesebene einiges bewegen.
Die Grünen haben als Oppositionspartei gezeigt, wie ein hoch komplexes Thema im Bewusstsein der Menschen verankert werden kann. 25 Jahren nach ihrem Einzug in den Nationalrat schreiben sie rückblickend: „Die Umwelt sollte einen festen Platz in den demokratischen Institutionen bekommen." Gratulation dazu! Auch wenn es immer noch verdammt viel zu tun gibt. Der Vertreter der 68er Generation ist ungeduldig. Ich hoffe mit ihm, dass die Piraten der Dünger sind, der das zarte Netzpolitik-Pflänzchen schneller wachsen lässt.