"Branchenpublikum ist das schlechteste und zynischste Publikum der Welt." Zum Glück geht die Antwort dann positiv weiter – Thomas Spitzer von Siluh Records (Sex Jams, Mile Me Deaf, Francis ..) im Interview.
Siluh Records hat sich seit 2009 recht rasant etabliert und seine Buchführung und Adresslisten in Ordnung gebracht. Von Wien geht es auf nach Europa, weil the world in Austria is a too small country to be popstars (frei nach Hubert Gorbach). Thomas Spitzer beantwortet im Interview ausführlich Fragen nach Streaming, Branchenfestivals, Downloadcodes und eigentlich allem, was man für eine gelungene Labelführung braucht.
Am Montag, 8. Juli, wird er live seine Erfahrungen beim departure get together schildern.
Früher hatte man als Independent einen Vertrieb, der einem eine Platte in den Laden stellte. Mit ein bisschen Glück hatte man noch etwas Budget für ein paar Anzeigen in einschlägigen Fanzines und Magazinen. Heute sind die Möglichkeiten fast unendlich, aber nur ein Bruchteil funktioniert auch wirklich. Was funktioniert für euch?
Man muss auf allen Hochzeiten tanzen und kann es sich kaum erlauben irgendwo nicht verfügbar zu sein. Im Musiksegment, in dem wir uns mit Siluh Records bewegen, muss man bei relativ geringen Volumina drei Formate bedienen, die sehr unterschiedlich unters Volk zu bringen sind: LP, CD, Digital. Und wenn du das hinbekommst, stehen nach dem Konzert garantiert drei Leute am Merch-Tisch und fragen, warum es keine Kassette gibt.
Mit Amazon und iTunes gibt es Konzentrationspunkte, an denen man kaum vorbei kommt, einfach weil die Leute daran zweifeln, dass du etwas veröffentlicht hast, wenn es dort nicht gelistet ist. Einkünfte aus dem Handel sind noch immer auf einem Niveau, dass man nicht darauf verzichten möchte – und die Verfügbarkeit in guten Plattenläden ist uns ein Anliegen.
Unter den Streaming-Diensten sind etliche Anbieter unterwegs, von denen ich kaum einen auslassen würde, weil diese oft recht regional ihre Stärken besitzen. Mit Plattformen wie Bandcamp oder unserem Webshop bieten wir online Alternativen, an die einen Zahlungsverkehr ohne Zwischenhändler erlaubt. Dies wird – trotz zugegeben pragmatischer Optik – gut angenommen und die Fans bestellen auch wieder. Die Masse wird aber beim Akkumulator gekauft, wo man möglichst einfach aus einem großen Angebot wählen kann. Darüber hinaus bieten wir natürlich nicht die ganze Palette an Zahlungsmöglichkeiten, und wer bereits einen existierenden Account bei einem Anbieter hat, wird eher diesen nutzen.
Unsere Philosophie ist, dass unser Repertoire breit verfügbar sein soll. Da lad ich lieber noch mal einen starken Song bei Youtube oder Soundcloud hoch und poste ihn bei Reddit. Die Menschen müssen sich in die Band über beide Ohren verknallen und in ihre Musik, dann sitzt auch die Börse locker, aber die Katze im Sack kauft keiner mehr.
Wie wichtig sind Facebook, Twitter und Co.? Und in Hinblick auf wen – die Fans, den Kontakt zu den Musikern oder zu diversen Partnern?
Kein Zweifel, die Social Media Kanäle sind bestimmt ein mächtiges Tool um Leute zu aktivieren. Wer es halbwegs geschickt anstellt, kann dort Fans warm halten, auch wenn gerade kein neuer Song/ Video/ Album da ist und sie dann leichter wieder abholen, wenn ein frischer Release oder Konzert ansteht.
Wenn es rein um Verkäufe geht, gibt es eigentlich nur drei Dinge von denen ich in meiner Praxis eine wirklich unmittelbare Wirkung spüre: Starke Radiorotation, ein überzeugender Live-Auftritt und eine direkte Kaufaufforderung der Band via Facebook zu einem neuen Release.
Twitter wird hierzulande sehr vernachlässigt, aber schon in den Benelux Staaten ist es ein ebenbürtiger Kommunikationskanal und im angelsächsischen Raum überholen die Twitter-Follower-Zahlen etlicher Künstler, deren Facebook-Fan-Communities. Daneben ist es auch der egalitärere Kanal auf dem man mit relativ wichtigen Leuten, Journalisten, A&Rs, Veranstaltern etc. in Kontakt kommen kann, wenn man sich nicht ganz plump anstellt.
Gab es in den letzten Jahren entscheidende Veränderungen – ein Signing, ein Webaktion, einen Vertriebskanal – für euch, wenn ja, welche, oder waren es eher kleine Schritte?
Diese eine entscheidende Erfahrung, was den Verkauf betrifft, gab es nicht. Es hat einfach eine Professionalisierung stattfinden müssen. Wenn man im Handel was verkaufen möchte, muss man sich an deren Vorlaufzeiten halten. Vier Wochen vor dem eigentlichen Release beginnt der Vorverkauf vom Vertrieb an die Läden. Da sollte nicht nur das Produkt schon fertig sein, auch die ersten Promo-Ergebnisse als Verkaufsargumente müssen aufbereitet sein. Das gilt auch im digitalen Vertrieb. Um sicher zu gehen, dass am Release-Tag deine Musik auf allen Plattformen verfügbar ist, sollte man fünf Wochen vorher die Files anliefern. Und wenn man eine Release-Show plant, sollte man lieber fünf Mal mit dem Presswerk telefonieren ob die LPs rechtzeitig fertig sind.
Das klingt alles wahnsinnig banal, erfordert aber bei der Vielzahl von Involvierten wie Musikern, Grafiker, Mastering Studio, Presswerk, Vertrieb extrem viel Koordinationsaufwand. Alles schon schief gegangen bei den besten Leuten.
Ganz spannend ist, dass in den letzten vier Monaten wiederholt nach Konzerten CD-Käufer nach Downloadcodes gefragt haben. Mit der aktuellen Laptopgeneration ohne Laufwerk setzt das Verschwinden der CD-Lesegeräte in den Haushalten ein. Trotzdem kommen die Leute aber mit dem Wunsch, vom Konzert Musik mit heim nehmen zu wollen.
Die ersten Versuche dem T-Shirt gegen Aufpreis einen Downloadcode beizufügen, kamen nicht wahnsinnig gut an. Die Wahrnehmung aufgrund eines Kärtchens mit URL und Passwort fünf Euro mehr zu bezahlen, ist nicht sehr reizvoll. Da wird es einer schlauen Lösung bedürfen, Musik auch als Download mit einer charmanten Haptik zu versehen, ohne dass die Musik zu sehr in den Hintergrund tritt, und sich so fertigen lässt, dass die Stückpreise nicht steigen. Mittlerweile ohnehin allen bekannt sind die Streamingdienste, wo quasi ein neues Produkt entstanden ist und jetzt ausgelotet wird; wie viel ist einmal Abspielen eigentlich wert und nebenbei gesagt ist es recht intransparent, ob man hier als kleines Label gleich abgegolten wird wie ein Label mit größerem Repertoire.“
Habt ihr Kickstarter oder andere Crowdfunding-Plattformen in Betracht gezogen? Im Independent-Bereich scheint das für relativ viele Leute aufzugehen …
Crowdfunding ist natürlich eine prima Sache. Man verkauft de fakto schon die ersten Einheiten, bevor noch produziert wurde, das reduziert das finanzielle Risiko. Wir hatten in unserem Umfeld ein Kickstarter-Projekt bei dem einem unserer Künstler Namens Sweet Sweet Moon und das Videokollektiv They Shoot Music 4.000 Euro für ihren Roadmovie durch Argentinien und Chile sammeln konnten, der Anfang 2014 fertig wird. Aber so etwas muss von den Künstlern kommen, denn sie sind es, die dann über mehrere Wochen recht intensiv als Bittsteller auftreten müssen. Eine Rolle, die nicht jedem behagt.
Ihr fahrt mit euren Bands zu Showcase-Festivals, ist das lässig?
Bei europäischen Festivals mit angeschlossenen Branchentreffen präsent zu sein, war für uns wichtig, um mal mitzubekommen, was für ein winzig kleiner Fisch wir sind, wie viele andere da ebenso um Aufmerksamkeit keilen, aber gleichzeitig auch festzustellen, dass auch die vermeintlich Großen nur mit Wasser kochen.
Für Bands sind solche Showcases eher eine Tortur. Branchenpublikum ist das schlechteste und zynischste Publikum der Welt, aber wenn du jemanden überzeugst, kann es dir Festivalslots bescheren, eine neue Booking Agentur oder ein neues Label. Solche Shows sind als erster Schritt in ein neues Territorium durchaus sinnvoll. Die Alternative ist meist sich die erste Show selbst zu arrangieren und es entsprechend schwer zu haben viele Leute zu aktivieren, geschweige denn jene, die deine Arbeit in Zukunft unterstützen können.
Bei Siluh Kickoff Europe, das 2012 von departure gefördert wurde, bietet ihr Bands flexible Management-Verträge an – ob Vertrieb, Booking oder Promotion im Ausland. Das hört sich optimal für die Künstler an. Aber ist das erstens rentabel und zweitens praktikabel für euch?
Was wir ihm Rahmen von Kickoff anbieten, ist Künstler bei ihren ersten Schritten ins Ausland zu unterstützen. In jedem neuen Territorium trifft man auf eine Art Unholy Trinity des Musikgeschäfts: Booking, Promo und Vertrieb. Für all diese drei Bereiche sucht man einen Partner, aber kein Booker fängt an für dich Shows zu buchen, solange keine Veröffentlichung geplant ist, der Vertrieb möchte wissen wer die Promo für deinen Release machen wird und die Promoagentur lässt gleich durchblicken, dass sie ohne Konzerttermine nicht richtig arbeiten kann.
Wir wollen helfen diese Lücken zu schließen, indem wir etwa unsere Vertriebsstruktur zur Verfügung stellen, die erste Promotion organisieren oder eben helfen, verlässliche Partner vor Ort zu finden. Diese internationalen Kontakte zu knüpfen und zu halten, sind ein wichtiger Grund, warum es uns gern zu Showcase-Festivals und Branchentreffen in ganz Europa verschlägt.
Das alles greift allerdings gut mit den übrigen Aktivitäten ineinander und sorgt für Auslastung, wenn unser Releaseplan gerade nicht so dicht gedrängt ist. Es ist ein Standbein für uns geworden – während man im klassischen Labelgeschäft Investitionen tätigt und finanzielles Risiko eingeht, gibt es bei der Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen von Kickoff ein klar vereinbartes Honorar – das macht schon Sinn so.
Zum Siluh-Labelstall gehören so großartige Bands wie Mile Me Deaf, Luise Pop, Sex Jams, Francis International Airport, Sweet Sweet Moon, M185Let The Light In oder Wandl.
departure get together "New Sales": Gute Ideen, bessere Produkte, neue Märkte
Montag 8.7., 18 Uhr, Sektor 5 – Coworking Spaces, Siebenbrunnengasse 44, 1050 Wien
Warum scheitern viele Kreative daran, gute Ideen und Produkte auch an die richtige Zielgruppe zu verkaufen? Wie vermeidet man leere Kilometer? Und warum gehören Vertrieb und Absatz von vornherein mitgedacht?
Martin Pichlmair (Broken Rules), Ali Mahlodji (Whatchado), Thomas Spitzer (Siluh Records) und Michael Holzgruber (Sofa Surfers) im Gespräch mit Martin Mühl (The Gap).
Der Eintritt ist frei.