(Nicht) Alle Wege führen zu Lady Gaga

Tanzen und singen, während um einen herum alles brennt: Das Linzer Lentos widmet Glam eine Ausstellung. Sie bietet weitaus mehr als das verstaubte Erbe von David Bowie und Roxy Music und vermeidet zu simple Schlüsse.

In der Ausstellung wird dabei nicht nur beliebig zitiert, sondern die Aktualitätsfrage gestellt. Es genügt ein Blick in den Gegenwartspop, von Sofia Coppolas »The Bling Ring« über Lana del Rey, Of Montreal, die Avant-Pop-Huldigungen von Sonic Youth sowie ihre späte Begeisterung für Bryan Ferry und Roxy Music. Die Kuratoren würdigen die mit Glam einhergehenden Errungenschaften für den Bereich der Kunst deshalb auch völlig zu Recht. Auch wenn man sie im Jahr Fünf der Krise sicher als falsches Signal kritisieren kann. Aber nicht so schnell.

Das bunte, queere Orchester der Titanic

Glam war Lifestyle-Phänomen und Geisteshaltung, ein Stilphänomen der 70er Jahre, das zugleich aber nicht von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entkoppelt war. Im Guten wie im Schlechten. 1967 wurde Homosexualität in Großbritannien entkriminalisiert. Nun konnten Glam-Rock-Stars wie David Bowie offen mit Geschlechteridentitäten spielen. Dieses Anliegen spiegelt sich auch im Begriff Glam Rock wieder: Glam übernimmt den als hart und gegen das Establishment gerichteten Genre-Begriff Rock. Vom zumeist männlich polternden Authentizitätsdogma verabschiedet man sich aber. Glam Rock ist also auch ein Ort, an dem gesellschaftliche Normen und Zuschreibungen spielerisch umgangen werden.

Außerhalb der Bühne und der Plattencover war das Leben alles andere als glamourös. Ziggy Stardust & Co. waren auch das bunte, queere Orchester der Titanic. Mit Opulenz, Glamour und Künstlichkeit fanden sich die Akteure, ob anfangs in UK oder später auch in den USA, im »Grand Hotel Abgrund« ein. Der bitteren gesellschaftlichen Wirklichkeit stellten Künstler wie David Bowie, Brian Eno, Gilbert & George und viele andere, die in der Ausstellung bedacht werden, eine Welt der Künstlichkeit gegenüber. »Tanzen und singen, während Rom brennt« betitelt daher Alwyn W. Turner auch sein Essay über die politischen Implikationen von Glam im erhellenden Katalog zur Schau. Im Film »Reel«(1973) stellt Derek Boshier Darstellungen von Glam und Mode mit Aufnahmen gegenüber, die den Aufstieg der Rechtsextremen in Großbritannien zeigen und wirft damit auch den Widerspruch zwischen sozialem und wirtschaftlichem Wandel und der Populärkultur auf.

Den historischen Kontext wiederherstellen

Kurator Darren Pih hat das ganze Prisma von Glam in neun Kapiteln festgemacht. Roter Faden ist der Paradigmenwechsel zwischen E- und U-Kultur, aber auch die Rolle von Glam »als Fortführung der Agenda der Avantgarde mit neuen Mitteln«. Wenn Pop sich der Geschichte entledigt und Objekte aus dem historischen Kontext reißt, ist es ein Verdienst von Ausstellungen wie Glam, diesen wieder herzustellen. Die Ausstellung kann auch als Möglichkeit dienen, Popgeschichte und ihr postmodernes Zurechtrücken gegen den Strich zu bürsten. Und auch der Lady-Gaga-Universalverweis auf die Frage, was das mit dem Gegenwartspop zu tun hat, lässt sich dann neu bewerten.

»Glam! – The Performance of Style« läuft von 19. Oktober 2012 bis 2. Februar 2013 im Lentos Linz. Zuvor wurde die Schau bereits in der Tate Liverpool und der Schirn Kunsthalle in Frankfurt gezeigt.

Bild(er) © 1. Karl Stöcker; 2. Jack Goldstein, 3. Jürgen Klauke
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