Stefan Diez zählt zu Deutschlands Top-Designern, für den Nachwuchs ist er ein Role Model. Das stört ihn gar nicht. Denn er hat auch gleich ein paar gute Ratschläge für die Jungen.
Du wirst oft als einer der wichtigsten deutschen Jungdesigner bezeichnet. Wie lang ist man denn Jungdesigner?
Stefan Diez: Mit 40 Jahren ist man natürlich nicht mehr jung-jung. Wenn man mit 40 schon seit 20 Jahren sein Büro hat, dann wird man wohl nicht mehr als Jungdesigner bezeichnet werden. Aber in meinem Fall gibt’s das Büro seit acht Jahren, da kann man das vielleicht noch durchgehen lassen. Der Begriff wird ja besonders in den Medien dann verwendet, wenn es etwas Unerwartetes, nicht-Vorgefertigtes zu entdecken gibt.
Was kann ein Jungdesigner, was ein älterer Designer nicht kann?
Er kann viel unvorsichtiger mit Kontakten umgehen und er kann und soll sich viel mehr Frechheiten erlauben. Während meines Studiums habe ich zum Beispiel eine Orangenpresse als Semesterprojekt entworfen und WMF (Anmerkung: eine der großen deutschen Marken in Sachen Tischkultur) wollte die tatsächlich produzieren, jedoch mit einfachen Materialien, wogegen ich mich solange gewehrt habe, bis das Projekt geplatzt ist. Danach habe ich einen richtig grantigen Brief an den damaligen Designchef geschrieben. Das würde ich heute nicht mehr machen.
Aber braucht man nicht gerade diese Dickköpfigkeit, um später überhaupt Erfolg haben zu können?
Ja, sicher. Ich habe dabei mehr gelernt, als wenn die Orangenpresse auf den Markt gekommen wäre. Und ich habe mich unabhängig gefühlt. Das war gut, denn es passiert ja sehr schnell, dass nach dem Studium das Leben anfängt, richtig teuer zu werden. Dann muss man Krankenversicherung zahlen, man braucht ein Büro, die Arbeitsmittel sind nicht mehr gratis wie an der Schule, die Modellbaukosten muss man tragen. Und dann ist es ganz schnell vorbei mit dem lockeren Experimentieren.
Die Medien sind fixiert auf »Jungdesigner«, man will immer neuere, experimentellere Sachen sehen. Kann das nicht dazu führen, dass man schnell die Bodenhaftung verliert?
Es wird heute viel mehr über Design berichtet, was ja prinzipiell positiv ist. Der Bedarf an neuen Geschichten ist allerdings riesig und man ist nicht mehr ganz so kritisch, sondern nimmt das Projekt, das gut fotografiert ist und bei dem die Idee möglichst verrückt ist. Nur das hat mit dem »richtigen« Leben wenig zu tun. Deshalb sollte man als Junger unbedingt nüchtern bleiben, wenn etwas veröffentlicht wird. Das heißt noch lange nicht, dass man den Durchbruch geschafft hat.
Wie war das in deinem Fall?
Der Anstoß war 2002 der Gewinn der Design Report Awards gemeinsam mit Christophe de la Fontaine, der uns im Design Report eine Coverstory mit unglaublichen acht Seiten eingebracht hat. Nur kommt man dann drauf, dass man diese Seiten nicht nur mit Bildern füllen kann, sondern man muss sich intellektuell mit dem auseinandersetzen, was man gemacht hat. Dabei hat mir natürlich auch meine Arbeit im Büro von Konstantin Grcic geholfen, wo ich gelernt habe, dass es nicht nur darum geht, eine Antwort auf ein Problem zu finden, die schon hunderttausend Mal abgeliefert worden ist. Der Design Report-Award war jedenfalls der Startschuss, danach durfte ich etwas für Rosenthal machen, dann für Authentics, zwei traditionelle deutsche Marken, die ein Verständnis dafür haben, dass Designer auch Geld brauchen. Im Unterschied zu den italienischen Firmen. Die bezahlen ja ihre Designer nicht, sondern lassen sie arbeiten und beteiligen sie erst später am Verkauf.
Du unterrichtest seit einigen Jahren an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Wenn sich jemand bei dir bewirbt, worauf achtest du dann?
Wenn sich jemand ernsthaft mit einem Thema auseinandersetzt, ist das das Beste, was passieren kann. Wir erwarten uns eben nicht, dass jemand sein ganzes Ausdrucksrepertoire zeigt, wie toll man nackte Frauen mit Speckfalten malen kann, Du weißt schon, die üblichen Dinge, die man in Kursen belegt, wenn man sich an einer Akademie bewirbt. Leute mit einer gewissen Schlüssigkeit tun sich im Studium viel leichter, sie wissen auch, was sie vom Studium selbst fordern. Die sind dann als Studenten zwar nicht immer sehr bequem, aber das ist ja völlig okay.
Für viele junge Designer bist du Role Model. Wie geht man damit um, wenn man kopiert wird?
Studenten dürfen natürlich jemandem nacheifern, der erfolgreich ist und seinen Weg gefunden hat. Aber ich würde das nicht als kopieren bezeichnen. Ich habe ja selber bei Richard Sapper studiert, der mein ganz großes Idol war.
Designer haben heute alltäglich mit High Tech-Materialien zu tun. Du hast selbst vor deinem Studium eine Schreiner-Lehre gemacht. Was bringt das?
Ich würde ein Handwerk aus vielen Gründen empfehlen, weil man dabei eine Dimension mitbekommt, die anderen Leuten fehlt, nämlich das Gespür für das Material und wie man es bearbeitet. Das ist ja eine Komponente von gutem Design, dass es vielschichtig ist, dass es nicht nur eine Qualität besitzt, sondern ganz viele Rezeptoren hat. Und man lernt etwas, das sich jetzt vielleicht doof anhört: nämlich um halbsechs in der Früh aufzustehen und in die Arbeit zu gehen und das drei Jahre lang durchzuziehen. Ich kann noch eine Anekdote erzählen: Ich habe nicht nur eine Lehre gemacht, sondern war auch kurze Zeit bei einem bekannten Münchner Waffen- und Maschinenbau-Unternehmen. Da bekamen wir die Aufgabe, aus einem Stück Eisenbahnschiene eine kleine Lokomotive anzufertigen. Das heißt, aus einem Stück Stahl einen Zylinder, die Räder usw. zu machen, mit einfachen Werkzeugen wie Feile, Säge und Winkelmesser. Ich wollte mich schon aufregen über diese Scheißarbeit, ich dachte, das dauert drei Monate. Doch Gott sei Dank habe ich meinen Mund gehalten und zwei Tage später war das Ding fertig und hat toll ausgesehen.
In Wien spielt Handwerk eine große Rolle, doch es gibt Leute wie Hartmut Esslinger, der hier an der Uni unterrichtet und meint, das Beste wäre es, wenn die Absolventen nach China oder Indien gehen, damit sie die globale Designrealität von heute kennenlernen.
Ich glaube schon, dass das Handwerk für die augenblickliche Situation in Europa Antworten bringt. Denn der Markt hier ist gesättigt und wenn ich mir etwas Neues für den Haushalt kaufe, dann muss sich das unterscheiden von dem industriell Gefertigten, das ich bereits besitze. Das Handwerk ist nicht austauschbar, es existiert eine Verbindung zwischen dem Designer und dem produzierenden Betrieb, es gibt also einen roten Faden zwischen zwei Punkten und somit den Anfang einer Geschichte. Und das Produkt ist lokal begrenzt. Jemand, der Wien besucht, kann hier Lobmeyr-Gläser kaufen, in Shanghai oder in Hongkong geht das nicht. Außerdem kann der Designer einen längeren Teil der Wertschöpfungskette mitgestalten. Er ist dann nicht nur der Dienstleister, der irgendeine Skizze abgibt.
Stefan Diez wurde 1971 in Freising bei München geboren und absolvierte eine Schreinerlehre, ehe er in Stuttgart Industrial Design studierte. Danach arbeitete er bei Konstantin Grcic, 2003 gründete er sein eigenes Büro. Zu seinen Kunden zählen Authentics, Moroso, Thonet, Rosenthal, Bree, e15 und Established & Sons. Diez räumte etliche Preise ab, zuletzt dieses Jahr zwei »Red Dot Best of the Best Awards«. Seit 2007 ist er Professor für Industrial Design in Karlsruhe.