No more Spektakel?

Eine Auszeit bei seinem Projekt Deichkind hat DJ Phono genutzt, um in sich zu gehen und neue musikalische Räume zu erkunden. Das Ergebnis: »Welcome To Wherever You’re Not«.

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Deichkind, Hip-Hop, House, Remmidemmi. Der Schlagwortkatalog zu DJ Phono listet lauter knallbunte Referenzen auf. Zuletzt erregte der Hamburger mit einer Kunstaktion Aufsehen – als Daft-Punk-Double, das die komplette »Alive«-Show nachstellte. Dabei entpuppt sich Henning Besser, der Mann, der hinter DJ Phono und dem Deichkind-Performance-Konzept steckt, beim Stelldichein als eine distinguierte, dezent dandyhafte Erscheinung. Ganze zehn Jahre nach einem ersten Album voll jugendlichem Ungestüm (»Lovetorpedo«, Four Music) legt er nun ein Werk vor, das stellenweise an Leisetreterei kaum zu überbieten ist. Es dauert ewig, bis sich »Welcome To Wherever You’re Not« eine erste Kickdrum erlaubt und – erst zögerlich, dann durchaus resolut – zum Tanz auffordert. Aber genau so redet Besser auch über sein Tun: wohlüberlegt, immer mit dem passenden Kontext zur Hand und mit kunsttheoriegefüttertem Schmackes in den Argumenten.

Beim Anhören der ersten Stücke deines Albums hat sich mir eine Frage aufgedrängt: Macht dieser Mensch Yoga?

Mache ich nicht, nein. Gerade in den letzten Jahren war es aber etwas Besonderes für mich, relativ wenig beruflichen Stress und viel Zeit für mich zu haben. Da kommt man zu einer gewisse Ruhe in sich selbst, und das ist manchmal durchaus meditativ.

In dieser Phase hast du nicht nur ein Album aufgenommen, sondern dafür auch eine eigene Show entwickelt.

Genau. Die Bühnenshow basiert auf verschiedenen Elementen, die sich computergesteuert bewegen: LED-Videoscreens, Spiegel und Stoffflächen. Also skulpturartige Elemente, die sich in einer Choreografie über die Bühne bewegen. Ich bin von diesen Elementen umgeben und habe auch einen fahrbaren Untersatz, bin also Teil des beweglichen Apparats. Daraus ergibt sich die visuelle Entsprechung zur Musik.

Wie findest du es, dass elektronische Acts live so viel bieten müssen? Die Leute wollen ein Multimedia-Spektakel, etwas für’s Auge.

Da das Live-Geschäft die einzige verbleibende Einkommensquelle ist, geht es oft darum, einen Mehrwert zu schaffen, um bestimmte Gagen zu rechtfertigen oder überhaupt an Auftritte zu kommen. Das ist eine wirtschaftliche Entwicklung. Ob das künstlerisch notwendig, sinnvoll oder gut ist, steht auf einem anderen Blatt. Man muss unterscheiden, ob das als Spektakel betrieben wird oder ob es um eine künstlerische Auseinandersetzung geht. DJ Phono ist da in erster Linie ein Forschungsprojekt. Mich interessiert vor allem der Umgang mit Raum. Einerseits im konkreten Sinne: den Raum, den du bespielst. Andererseits auch abstrakt gesprochen: der Raum, den Musik schaffen kann, der soziale Raum im Club. Ich entwickle die Show auch nicht mit Leuten aus dem technischen Bereich, sondern mit der Künstlergruppe Jochen Schmith. Wir arbeiten zum Beispiel mit so genannten LED-Rotoren, die wir eigens entwickelt haben. Die muss man sich wie Propeller vorstellen, die mit LEDs bestückt sind, schnell rotieren und dadurch Videos abspielen können.

Klingt nach viel Aufwand.

Na klar. Das sind drei Jahre Entwicklungsarbeit. Letztlich geht das, allein schon aus finanzieller Sicht, nur deswegen, weil wir das für Deichkindund für mich parallel machen. Ich kann jeweils eines der beiden Projekteals Forschungsstelle für das andere nutzen.

Was wird da erforscht?

Ich bin generell sehr neugierig und hatte immer Spaß am Handwerken und Entwickeln von Dingen. Letztendlich interessieren mich bestimmte Zusammenhänge und Fragestellungen, und um denen näher zu kommen, betreibe ich diese Forschungsarbeit. Ich frage mich zum Beispiel: Kann so etwas wie Auflegen eine Rauminstallation sein? Da habe ich mich zeitweise für Systemtheorie interessiert. Eine Ansammlung von Menschen ist ein komplexes soziales System, und darin gibt es Phänomene, die man als DJ kennt und mit denen man umgehen muss. Spannend finde ich zum Beispiel das, was ich den Strömungsabriss nenne, wie bei einem Flugzeug. Das darf im Landeanflug eine gewisse Geschwindigkeit nicht unterschreiten, sonst stürzt es ab. Das ist im Club genauso.

Um kurz über deinen Hintergrund zu sprechen: Hast du mal in Bereichen wie dem Theater gearbeitet?

Nein, ich bin ein Autodidakt. Angefangen habe ich als Hip-Hop-DJ, dann bin ich durch Zufälle bei Deichkind gelandet, zuerst nur als Tour-DJ. Bis Deichkind kurz vor der Auflösung standen. Da habe ich das Heft in die Hand genommen und daraus eine konzeptuelle Band geformt. Als künstlerische Arbeit mit Nichtkünstlern fand ich das sehr spannend und hatte plötzlich ein Experimentierfeld, an dem wir alle viel Spaß hatten.

Warst du überrascht über die Ergebnisse des Experiments?

Ja, das war natürlich nicht vorhersehbar. Wir sind das eigentlich mit der Energie angegangen, das Projekt gegen die Wand zu fahren. Und es ist genau das Gegenteil passiert: Es ist extrem erfolgreich geworden. Am Anfang dachten wir: »Okay, wir besorgen Baumarktkrempel, kaufen Hüpfburgen und schustern daraus irgendwas zusammen, so stümperhaft wie’s geht.« Aber in der Beschäftigung mit so einer Thematik entwickelt man eben auch seine Fähigkeiten. Manchmal war für mich ganz klar, was ich damit machen wollte. Ich konnte eine künstlerische Vision erkennen und die auch umsetzen.

Dein Soloalbum ist teilweise sehr zurückhaltend und leise. Eine Auszeit vom Deichkind-Radau?

Natürlich ist es mir manchmal ein Bedürfnis, klarzustellen, dass Deichkind und DJ Phono zwei völlig verschiedene Projekte sind. Dass das Album so ruhig ist, hat aber andere Gründe, die damit nichts zu tun haben. Vor allem ist es ein sehr persönliches Album. Wie gesagt: Ein Album definiert für mich einen Raum. Die zurückgenommene Musik am Anfang der Platte gibt einem die Möglichkeit, diesen Raum zu betreten. Ich habe versucht, das als Gesamtkomposition zu sehen, die Reihenfolge der Titel soll ein spezielles Gefühl erzeugen, wobei die einzelnen Lieder einzelne Phasen einer Entwicklung darstellen. Insgesamt beschreibt das von der Intensität her eine Reise, die ich im Zusammenhang mit dem Titel »Welcome To Wherever You’re Not« sehr schön finde.

Eine Kleinigkeit noch: Das Artwork des Albums ist mit zunehmend blasser werdenden Linien bemalt, und zwar in Handarbeit. In einer Ecke ist ein Foto abgedruckt. Was ist da zu sehen, ein Wurst-Cocktail?

Das Foto ist bei einem Eröffnungsabend in der WCW Gallery in Hamburg entstanden: eine Wurst im Sektglas. Auch wenn die Platte ruhig, melancholisch und ernst sein mag, ist Humor doch eine wichtige Facette meiner Persönlichkeit. So was wie die Wurst taucht dann einfach mal auf, ohne dass ich das selbst genau erklären könnte. Aber es ist wichtig, dass es da ist.

Dieser Artikel ist bereits in unserem Partnermagazin TBA erschienen.

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