Das Verhältnis von Ö3 zur heimischen Musikszene war schon einmal schlechter – nicht zuletzt dank der Sendung »Treffpunkt Österreich«. Für diese holt der Sender seit fast zwei Jahren österreichische Acts zum Livetalk ins Studio. Moderator Benny Hörtnagl und Musikredakteur Clemens Stadlbauer über den Erfolg der Show, die neue Lässigkeit in der heimischen Musikszene und warum sie eine Quote für keine gute Idee halten.
Ö3-Chef Georg Spatt meinte zum Start der Sendung, dass in den Gesprächen mit den »Treffpunkt Österreich«-Gästen auch Meinungsverschiedenheiten zum Thema Ö3 und österreichische Musik abgebildet werden sollen. Ist das in der Form schon passiert? Oder sind es – nicht negativ gemeint – eher Plaudereien?
Benny: Ja, es sind Plaudereien, aber ich erinnere mich zum Beispiel an Raf Camora, mit dem es Meinungsverschiedenheiten gab bzw. wurde das von Medien irgendwie so aufgegriffen – da ging es um die Charts damals. Das haben wir dann live auf Sendung klären können, weil es nicht so gemeint war – von beiden Seiten. Solche Dinge passieren schon, aber grundsätzlich geht es uns in dieser Sendung um die Musik und den Künstler, nicht um irgendwelche Kontroversen.
Gibt es Zahlen zum angesprochenen Erfolg der Sendung? Wie habt ihr den gemessen?
Clemens: Was die Hörer betrifft, wissen wir es nicht – so ehrlich muss man sein. Klar, je berühmter der Gast ist, desto höher ist der Anteil derjenigen, die extra deswegen einschalten. Aber die Mehrheit hört halt Radio, weil sie Radio hört. Was jedoch die »Szene« betrifft, da merkt man schon extrem, dass das allen guttut. Es tut uns gut, es tut denen gut und der gegenseitige Respekt ist sehr gewachsen dadurch.
Benny: Was es schon gibt, ist sehr gutes Feedback auf die Sendung. Wir kriegen immer wieder E-Mails, sehr viele Postings – die Hörerinnen und Hörer reagieren drauf. Und das ist eigentlich das Schönste.
Die Sendung hatte anfangs einen früheren Sendetermin, sie ist dann in die Nacht verschoben worden. Ist das eher ein negatives Zeichen?
Benny: Das ist einfach dem geschuldet, dass wir unser Programm ein bisschen umgestellt und die »Treffpunkt«-Abendleiste eingeführt haben – von Sonntag bis Donnerstag mit täglich wechselnden Shows, aber immer unter der Dachmarke »Treffpunkt«. Und jetzt ist es ein Late-Night-Music-Talk.
Clemens: Es ist eine Sendung, auf die man sich einlassen muss. Wenn du sagst, das interessiert dich, du kennst zwar die Band nicht, möchtest aber mehr darüber erfahren, dann hast du um 22 Uhr eher die Muße dazu als um 19 Uhr, wo du vielleicht gerade von der Arbeit heimkommst oder noch das Essen für die Kinder kochst.
Benny: Und wenn es draußen dunkel ist, hat das auch einen ganz eigenen Spirit. Man redet ein bisschen anders, man ist noch entspannter, noch mehr in der Sendung drinnen.
Ihr habt bereits angedeutet, dass einem bei einer wöchentlichen Sendung auch die Acts ausgehen könnten. Momentan geht es offenbar …
Benny: Es geht sogar sehr gut.
Clemens: Man muss natürlich – und das war uns auch klar, als wir damit begonnen haben – in den Wiederholungsmodus gehen. Aber, wenn ich jetzt unsere Kollegin Claudia Stöckl hernehme: Niki Lauda war auch insgesamt sieben Mal da, und jedes Mal zu Recht. Wenn also Folkshilfe oder Pizzera & Jaus ein neues Album machen, ist es relativ logisch, dass man sagt, die kommen noch einmal. Und sonst ist es in den Statuten der Sendung schon so festgelegt, dass es quer durch alle Genres geht.
Und was die Größenordnung betrifft? Bilderbuch, Wanda, Pizzera & Jaus sind recht große Acts, aber ihr mach ja durchaus auch kleine.
Clemens: Ja, zum Beispiel war jetzt erst Wenzel Beck da, ein Wiener Singer-Songwriter, der ganz frisch am Start ist mit seinem ersten Album. Oder wenn wir in die Zukunft schauen: Oehl haben wir gerade fixiert. Die kennt man natürlich in der Szene, aber da draußen … Du musst in die Kfz-Werkstatt in Amstetten gehen – dort ist Oehl jetzt noch nicht das große Thema. Das sind Bands, denen wir auch gerne eine Chance geben.
Dürfen sich die Gäste in Sachen Musik eigentlich alles wünschen?
Clemens: Man brieft sie, was im Hitradio-Ö3-Universum möglich ist, aber es kommen teilweise schon Sachen zurück, die zu weit weg sind – und da geht man dann in den Diskurs …
Benny: Natürlich können wir auf Ö3 nicht Klassik spielen oder ganz argen Heavy Metal. Das geht sich nicht aus und fühlt sich in unserem Universum auch nicht richtig an.
Clemens: Aber wenn die Künstler begründen, dass es ihnen wichtig ist, lassen wir natürlich den einen oder anderen Ausreißer zu. Aktuelles Beispiel war jetzt Lisa Pac, die mich dann panisch anruft und sagt, die wichtigste Band, 5/8erl in Ehr’n, hat sie vergessen, weil der Max und der Slivo haben ihr das Singen beigebracht und ohne sie hätte sie diese Stimme nicht und bitte, bitte können die stattfinden. Ja, natürlich, weil dann haben wir auch wieder einen schönen Content, wo sie die Geschichte erzählen kann, und das tut dann keinem weh, dass eine Band gespielt wird, die wir nicht auf Rotation haben.
Wie ist eigentlich der Musikauswahlprozess bei Ö3 organisiert?
Clemens: Die Musikredaktion kriegt Woche für Woche die neue Musik bemustert. Jeder hört das für sich durch und dann trifft man sich immer montags – sechs Leute, der Senderchef ist auch dabei – und legt die Vorschläge auf den Tisch. Wenn man einer Meinung ist, dann ist es eh relativ einfach, und sonst wird halt diskutiert. Das ist dann ein sehr lustvolles Streiten.
Benny: Und es ist ein Miteinander. Das entscheidet nicht einer alleine oder ein Computer, sondern da wird wirklich wahnsinnig viel Musik gehört und es stecken sehr, sehr viele Überlegungen dahinter.
Die Grenze zwischen Alternative und Mainstream ist in den letzten Jahren immer durchlässiger geworden. Es gibt Acts bei euch, die man vor 15 Jahren vielleicht nur auf FM4 gehört hätte.
Clemens: Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Coldplay eine Alternative-Band waren, dann sagt das eh so ziemlich alles. Oder Green Day. Und wenn man mit diesen Leuten dann Interviews macht und Green Day sagen, es könnte Schlimmeres passieren, als dass Millionen Menschen jetzt ein Punkrock-Album hören … Das ist doch etwas Gutes.
Ich denke auch, dass es seitens der Acts weniger Berührungsängste gibt. Früher gab es ja Bands, die gesagt haben: »Ö3? Auf keinen Fall.« Jetzt hat man eher den Eindruck, dass viele gerne auf Ö3 stattfinden würden.
Clemens: Wir machen ja auch immer die Livesendungen für Ö3 von den Festivals und den Stadionkonzerten. Da merken wir das ganz brutal. Nova Rock war eh immer schon offener vom Publikum her, aber mittlerweile … Man braucht sich ja nur die Programmierung vom Frequency anzuschauen: Alles ist erlaubt. Du kannst Billie Eilish genauso hinstellen wie Machine Head – und es geht sich aus.
Benny: Die Welt wird immer mehr Crossover. Und das ist gut so.
Noch einmal zurück zum Thema Anteil österreichischer Musik: Was würdet ihr von einer Quote für Ö3 halten?
Clemens: Ich finde eine Quote prinzipiell schlecht. Die Quote nützt mir ja nichts, wenn ich nichts hab, das ich spielen kann.
Als Positivbeispiel für den Erfolg der Quote wird gerne Frankreich genannt, dessen Musikmarkt natürlich riesengroß ist und ein ganz anderes Potenzial hat. Dort ist nationale Musik jedenfalls sehr präsent.
Clemens: Das hängt aber mit der folkloristischen Tradition der Musik zusammen, die ja auch immer mehr in den R-’n’-B-Bereich reingeht und die im Chansons hin zum Pop sehr fließende Grenzen hat. Wenn du das übersetzt, bist du bei uns halt im Zillertal. Jetzt nix gegen Volksmusik, aber das hat bei uns – außer bei Hubert von Goisern und Folkshilfe – mit Pop selten etwas zu tun.
Benny: Das ist dort anders besetzt, hat eine andere Geschichte, ist anders gewachsen.
Clemens: Die tun sich kulturhistorisch leichter. Bei uns ist das einfach schwieriger.
»Treffpunkt Österreich« wird jeden Montag von 22 bis 24 Uhr auf Ö3 ausgestrahlt. Die Sendung wird abwechselnd von Benny Hörtnagl und Thomas Kamenar moderiert.