Kleine Heftchen, große Wirkung – Die österreichische Zine-Szene legt selbst Hand an

Popkultur-Fans aus Zeiten vor dem Internet mögen Zines noch als allgegenwärtiges Medium in Erinnerung sein. Kleine, selbstgedruckte Maga-Zine, die eine Bandbreite von Science-Fiction-Fandom bis Punk-Ideologie verhandeln. Heute, wo sich alles mit einem Klick weltweit veröffentlichen lässt, scheinen die kleinen Heftchen aus der Zeit gefallen. Und doch gibt es nach wie vor auch in Österreich eine rege Szene, die Zines produziert, verteilt und ausstellt. Auf der Suche nach dem Reiz von DIY-Publikationen.

© Hanna Pribitzer — Hanna Pribitzer ist es wichtig, bei jedem ihrer »Vienna Zines« selbst Hand anzulegen.

Wann genau das erste Zine erschienen ist, lässt sich schwer sagen. Denn Zine ist ja eigentlich nur die Kurzform von »magazine« und selbstpublizierte Magazine, Heftchen und Pamphlete gibt es fast schon solange, wie es Druckpressen gibt. Ob bei den »Little Magazines« im Harlem der 20er-Jahre, bei den Science-Fiction-Fanzines der 60er, ob über Punk, Queercore, Riot Grrrl, Comics oder Horror: Zines waren in Zeiten vor Internet das Sammel- und Kommunikationsmittel für die verschiedensten Nischen- und Subkulturen. Billig produziert, meist collageartig zusammengeschnitten, kopiert und zum Selbstkostenpreis versandt, boten sie eine niederschwellige Alternative zur Exklusivität traditioneller Medienhäuser. Mit dem Aufkommen des Internets verlagerten sich viele der Bereiche, die Zines früher abdeckten, jedoch zunehmend dorthin. Billiger, einfacher, weitreichender und zeitgemäßer schien das neue Medium. Und dennoch hielten sich Zines hartnäckig im Untergrund der Medienlandschaft. In den letzten Jahren scheinen sie aus diesem heraus eine Renaissance zu erfahren.

Sarah Maria Schmidt und Oskar Wlaschitz haben vor zwei Jahren das Linzer Kollektiv Potato Publishing mitgegründet. Potato Publishing ist sowohl Druckwerkstatt als auch Netzwerk, wie Sarah ausführt: »Manche kommen einmal, um ein Projekt zu drucken, und sehen uns einfach als Druckwerkstatt. Andere kommen immer wieder und werden dann irgendwann Teil des Netzwerks.« Gedruckt wird vorwiegend auf einem Risographen, einem Gerät, das leuchtend bunte Farben von fluorescent pink bis metallic gold erlaubt. Kein Wunder, dass Potato Publishing sich rund um dieses Gerät gebildet hat: »Der Anfang der Druckwerkstatt war ein Risograph, der unzugänglich in einem privaten Keller stand«, erzählt Oskar. »Für das Gerät und die Farben sind lange Standzeiten aber nicht ideal. Es ist also naheliegend Risographen zugänglich zu machen, damit sie regelmäßig verwendet werden. Service gibt es für unser Gerät schon lange nicht mehr.«

Learning by Doing

Das Selbst-Hand-Anlegen sei dabei unerlässlich, wie Sarah erklärt: »Auch wenn es zunächst völlig aussichtslos aussieht, erlebt man, dass das Drucken durch ein paar Handgriffe wieder funktioniert. Das ist eine Art von Selbstermächtigung und immer wieder ein Erfolgserlebnis.« Auch Menschen, die den Potato-Risographen nutzen wollen, müssen das möglichst DIY tun: »Wir nehmen keine Druckaufträge an, sondern betreiben eine offene Druckwerkstatt«, so Oskar. »Menschen können ihre Projekte bei uns selbst drucken. Wir erklären ihnen das Gerät und nehmen uns dann sukzessive zurück. Im Idealfall sitzen wir nur im Nebenraum und die Leute können allein Erfahrungen machen und ihre Probleme lösen. Das macht auch mehr Spaß.«

Der Risograph von Potato Publishing ist das Herzstück des Kollektivs. (Foto: Sarah Maria Schmidt)

Hanna Pribitzer ist Fotografin und produziert mit der Firma Revolog analoge Fotofilme mit Spezialeffekten. Dabei fiel über die Jahre immer wieder leeres Filmmaterial an, das getestet werden musste. Hanna suchte deshalb nach Wegen, dieses Material kreativ zu verwenden, aber irgendwann war dann kreativ die Luft raus: »Vor zehn Jahren ist mir deshalb die Idee gekommen, einfach in die alphabetisch erste Gasse im Stadtplan zu fahren – die Abbegasse im 14. Bezirk – und dort einen ganzen Film auszuschießen. Immer wenn ich danach nicht wusste, was ich fotografieren soll, bin ich zur nächsten Gasse im Stadtplan gefahren. Diese Fotos sind dann jahrelang im Archiv verschwunden, was mich genervt hat. Zines waren für mich das Medium, um die analogen Fotografien auch analog zu veröffentlichen.«

Wien von A bis Z

Seit 2019 bringt sie deshalb die »Vienna Zines« heraus. Jedes Zine eine Gasse, eine Straße oder ein Platz in Wien, streng alphabetisch. Sie ist mittlerweile bei über hundert Zines und im Alphabet noch immer bei A: »Realistisch gesehen, werde ich Zeit meines Lebens mit dem Projekt nicht mehr fertig. Ich hab das einmal ausgerechnet: Wenn ich durchgehend, ohne Urlaub, als Vollzeitjob die Zines mache, dann könnte ich mit 76 Jahren durch sein. Aber das ist natürlich unrealistisch. Außerdem wächst Wien und es kommen ständig neue Straßen dazu.«

Zines sind für Hanna primär ein Mittel zum Zweck, aber trotzdem ist es ihr wichtig, dass sie dabei möglichst viel selbst machen kann: »Bei mir sind die Zines immer selbst gebunden. Das war ein ziemlicher Lernprozess, gerade bei den dickeren Bänden. Außerdem lege ich meinen Zines immer noch ein Foto bei. Das zeigt für mich, dass da jemand selbst Hand angelegt hat. Deswegen sollte ein Zine auch nie ein Massenprodukt sein. Zines dürfen unperfekt sein und sie sind schön so.«

Auch Deniz Beser macht selbst Zines, unter anderem etwa das türkische und englische »Heyt Be!«. Darüber hinaus veranstaltet er mit Fanzineist das vermutlich größte Festival für Zines in Österreich. Fanzineist hat 2016 als unabhängiges, aber umfassendes DIY-Festival in Istanbul angefangen. Rund um die Zines gab es Veranstaltungen, Konzerte, Workshops, Performances, Vorträge und Screenings. Durch einen Umzug hat Deniz Fanzineist dann 2019 als Messe für Zines und Kunstbücher nach Wien gebracht. Seit letztem Jahr findet das Festival coronabedingt virtuell statt: »Ich wollte meine Leidenschaft und Liebe für die Zine-Kultur mit Leuten teilen, die diese Kultur nicht kennen«, beschreibt Deniz seine Motivation für das Festival. »Und ich glaube Veranstaltungen wie Festivals geben Künstler*innen viel Energie für ihre eigene Arbeit.«

Die Freiheit von Zines

Deniz lebt derzeit in Istanbul und Wien, seine Projekte oszillieren also zwischen diesen beiden Städten und Ländern: »Die türkische Zine-Szene ist im Vergleich zu Österreich viel größer. Das ist angesichts der größeren Bevölkerung aber auch normal. Manche Buchläden haben riesige Regale, in denen du Zines aus verschiedensten türkischen Städten finden kannst.« Für Deniz haben österreichische Zines eine hohe künstlerische Qualität: »Sie nutzen häufig aufwendigere Drucktechniken wie Risographie oder Siebdruck. Auch weil sie meistens von Studierenden oder Absolvent*innen von Kunstunis produziert werden. Es gibt in Österreich wenige Zines, die außerhalb der akademischen Sphäre entstehen. Natürlich gibt es ein paar Gegenbeispiele, wie etwa anonyme, politische Zines oder das Perilla Zine aus der asiatischen Diaspora. Ich finde diese Art von Zines wichtig und notwendig. Sie sollten nicht ausschließlich künstlerisch und schick sein. Sie sollten eine Ideologie haben und Informationen ohne Zensur teilen.«

2017 fand in Istanbul das bisher größte Fanzineist-Festival statt. (Foto: Deniz Beser)

Gerade in Hinblick auf repressive Regime findet Deniz Zines unerlässlich: »Zines sind politisch, weil wir uns dort selbst ausdrücken können, ohne andere erst um Erlaubnis bitten zu müssen. Wir teilen unsere Ideologie, was wir mögen, was wir lieben, was wir politisch beitragen, unsere Ideen für die Zukunft. Ein Zine kannst du zu jedem Thema machen. Wenn du in der Türkei etwas gegen die Regierung in einem Magazin schreibst, kannst du direkt im Gefängnis landen. Aber wenn du ein anonymes Zine machst, dann können sie dich nicht erwischen. Das ist die Freiheit, die Zines dir geben.«

Für Oskar umfasst diese Freiheit auch, was Zines eigentlich sind: »Ich finde es spannend, dass nicht in Stein gemeißelt ist, was ein Zine sein darf und was nicht. Mit jeder Generation wird immer wieder neu verhandelt, was Zines eigentlich sind.« Auch für Hanna bedeuten Zines Freiheit: »Sie sind ein nicht regulierter Raum, was toll ist. Im Internet gibt es heute wenige unregulierte Räume. Ich hab den Eindruck, dass ein Wunsch nach mehr Zusammenarbeit und Solidarität da ist.« Freiheit und Solidarität scheinen die Eckpfeiler zu sein, auf denen die aktuelle Generation an Zine-Schreiber*innen, -Zeichner*innen, -Drucker*innen, -Aussteller*innen, -Sammler*innen und -Leser*innen aufbaut. Sofern sich daran nichts ändert, sieht für Deniz die Zukunft von Zines weiterhin vielversprechend aus: »Wenn wir uns vernetzen, weiter innovative Zines produzieren und diese miteinander teilen, dann werden Zines nicht aussterben.«

Die Fanzineist wird am 11. August 2022 wieder als Online-Festival auf www.fanzineist.com stattfinden. Weitere Infos auch auf Insta unter @fanzineistvienna. Alles zu Deniz Besers Zine »Heyt Be!« gibt’s ebenfalls auf Insta unter @heytbefanzin. Die »Vienna Zines« von Hanna Pribitzer lassen sich auf viennazines.bigcartel.com erstehen, Ausschnitte gibt es auf Insta unter @viennazines. Eine Kontaktmöglichkeit zu Potato Publishing findet sich auf der Website www.potatopublishing.at sowie auf Instagram unter @potatopublishing. Wenn ihr Lust bekommen habt, selbst mal mit Riso zu drucken, dann finden sich außerdem auf www.stencil.wiki zugängliche Geräte und Kollektive.

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