Gemeinsam mit Helge Fahrnberger betreut Yilmaz Gülüm den Medienwatchblog Kobuk. Ethische Grenzen der Bildberichterstattung sind dabei ein großes Thema. Sie werden vor allem überschritten, wenn es um den höchstpersönlichen Lebensbereich geht. "Wir haben kein Recht darauf die Eltern eines toten Kindes im Fernsehen weinen zu sehen", sagt er.
Der Pilot der German Wings Maschine, der Terror Anschlag auf das World Trade Center, der Tsunami in Südostasien, die Enthauptungen der IS, der Kampf in der Ukraine – zu all diesen Dingen hat vermutlich jeder ein Bild im Kopf. Bilder, die von den Medien generiert wurden.
Aber wie viele Bilder braucht eine Katastrophe? Was darf man den Sehern zumuten? Als Staatsfunk, als Privater, als offene Meinungsplattform oder als Facebook? Der schmale Grad zwischen Emotionalisieren und Zur-Schau-Stellen bereitet immer wieder Probleme.
Bei twenty.twenty morgen im Impact Hub Vienna werden Bilder der Katastrophe Thema sein. Wir haben davor Yilmaz Gülüm von Kobuk über die Grenze zwischen überflüssig und notwendig Fragen gestellt.
Kaum ein Medium kommt in Artikeln ohne Bilder aus – bei welchen Ereignissen hättest du dir weniger gewünscht und warum?
Beim Absturz der German-Wings-Maschine wurden Bilder veröffentlicht, die in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben. Die Bilder vom Co-Piloten wurden jedenfalls zu früh gedruckt – nämlich zu einem Zeitpunkt, als es außer einem Verdacht noch keine Fakten gab. Aber auch mit gesicherten Fakten ist zu hinterfragen, welchen Mehrwert es der Öffentlichkeit bringt, diesen Mann zu zeigen. Davon abgesehen wurden viel zu viele, und viel zu intime, Fotos von Hinterbliebenen gedruckt bzw. gesendet. Das Leid dieser Menschen geht niemanden etwas an. Wir haben kein Recht darauf die Eltern eines toten Kindes im Fernsehen weinen zu sehen.
Die IS-Propaganda-Videos sind beispielsweise durch die ganze Welt gegangen, auch aus Mangel an anderem Material. Was ist die Alternative?
Sehr schwierig, weil es kaum journalistisches Material gibt. Im Fernsehen gilt die Regel: Wenn wir keine Bilder haben, können wir es auch nicht berichten. Die Taten der IS kann man aber nicht ignorieren, daher ist man notgedrungen auf solches Material angewiesen. Das ist aber in jedem Fall problematisch. Denn selbst wenn man ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich hier um Propaganda-Material handelt, bleibt die Tatsache, dass man Propaganda-Material gesendet hat.
Wir übernehmen also notgedrungen ihre Bildsprache, ihre Darstellung von sich selbst – immer in Siegerpose, immer schwer bewaffnet, immer in großen Gruppen unterwegs. Für IS-Sympathisanten sind das beeindruckende Bilder. Selbst wenn man dazu sagt, dass sie in Wahrheit Terroristen sind, macht diese Gruppe für ihre Sympathisanten vielleicht sogar noch attraktiver. Sie haben dann den "Beweis" dafür, dass westliche Medien "Lügen" verbreiten.
Brauchen wir wirklich Bilder um Katastrophen zu verstehen?
Ja. Fakten sprechen nicht für sich. Das mag uns nicht gefallen, aber es ist so. Wir brauchen Bilder – auch Sprachbilder – um Emotionen zu transportieren, damit wir begreifen können, was ein Fakt eigentlich bedeutet. Zu schreiben, dass so und so viele Millionen Menschen auf der Flucht sind, löst kaum eine Reaktion aus. Aber ein einzelnes Bild eines überfüllten Flüchtlingsbootes und die Geschichten einzelner Flüchtlinge dazu schon. Erst durch solche Bilder werden solche Realitäten greifbar.
Inwiefern habt ihr bei eurer Arbeit für Kobuk mit ethischen und moralischen Grenzen zu tun gehabt?
Permanent. Sehr häufig geht es dabei um Persönlichkeitsrechte, also um Bilder und um den höchstpersönlichen Lebensbereich.
Bei Kobuk gibt’s dafür sogar eine eigene Kategorie, in der sich aktuell 38 Artikel befinden.
Wo liegen die Grenzen zwischen darstellen und zur Schau stellen?
Schwierig. Muss jeder für sich von Fall zu Fall entschieden. Anhaltspunkte für mich sind: Was bringt es meinem Leser? Passiert es gegen den Willen der Betroffenen? Schadet es den Betroffenen bzw. ihre Angehörigen? Wäre ich auch damit einverstanden, wenn es um meine Angehörigen ginge?
Bilder der Katastrophe ist auch das Thema der morgigen twenty.twenty Veranstaltung, bei der Journalisten und Medienrechtsexperten im HUB Vienna diskutieren. Mehr Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung gibt’s hier.