Er zockt »Fortnite«, redet wie ein deutscher Youtuber und hat seine Freundin vom Startbildschirm verbannt. Gleichzeitig bezeichnen ihn manche seit seiner Debütsingle »Stargazing« als »neues Wunderkind« der österreichischen Musikszene. Was Oskar Haag wirklich ausmacht. Eine Annäherung.
Aus der Ferne weht wieder Walzermusik herüber. Oskar reibt sich die Hände. »Magst noch auf einen Kaffee gehen dort vorn?« Er zeigt in Richtung Praterstraße und blickt mich fragend an. In diesem Moment setzt er keinen coolen Kamerablick auf, posiert nicht lässig im Licht. Oskar ist gerade Oskar, ein 17-jähriger Mann, der mir im nächsten Atemzug erzählt, dass er sich vor Kurzem Laufschuhe zugelegt hat. »Ich hab mich die letzten drei Wochen nur von Chips und Schokolade ernährt. Deshalb hab ich mir gedacht: Gehst halt in der Früh laufen. Weil: Ich muss schon ein bissal fit sein!«
Bisher habe er die Schuhe zwar nur gekauft. Der erste Schritt sei aber getan. Schließlich ist der Druck groß. Die Gen Z geht öfter ins Fitnessstudio als in den Club. Es gibt einen Trend zum Pumpen und Posen. Das merkt auch Oskar. »In meinem Alter ist das grad voll das Ding. Ein paar Freunde sagen mir: ›Alda, du hast so eine gute Genetik, wenn du anfangen würdest, wärst du in ein paar Monaten das ärgste Biest.‹ Aber das passt nicht so zum Image eines Singer-Songwriters. Meine Idole sind alle Spargeltarzane.«
»Es muss nicht perfekt sein«
Dass Oskar seine Gefühle lieber an der Gitarre als auf der Hantelbank ausdrückt, ist keine Überraschung. Schließlich arbeitet Oskar nicht an einem Cornetto-Körper, sondern an der Anerkennung als Artist. Mit seinem ersten Album wolle er sich beweisen, durch Österreich touren, vielleicht ein paar Gigs in Deutschland spielen. Andere in seinem Alter träumen von Balenciaga-Shirts und Sneaker-Drops. Oskar will auf die Bühne. Am Style wird das Vorhaben nicht scheitern. Als wir den Praterstern queren, spricht ihn ein Mann an. »Dieses Outfit, ich muss Ihnen dazu gratulieren, das ist wunderschön, wirklich, wie zur Beatles-Zeit!« Oskar reagiert weder besonders überrascht noch verlegen: »Danke, das ist megalieb!«
Er teilt den Kleiderschrank mit seiner Freundin und lackiert sich die Fingernägel – einfach so, weil er es cool finde. Als Beweis hält er mir seine linke Hand hin. Die Nägel sind blau, an ein paar Stellen ist der Lack abgesplittert. »Mein Stil«, sagt Oskar, als wir an einer roten Ampel warten. »Es muss nicht perfekt sein.« Er sagt das, als wäre es die selbstverständlichste Sache in einer Welt, in der viele vorgeben, immer noch ein wenig besser, schneller und optimierter sein zu können. Dass Oskar mit seinen 17 Jahren anders tickt und das Perfekte im Nicht-Perfekten sucht, mag am Wunsch nach Authentizität liegen. Mittlerweile hebt man sich ab, indem man keine choreografierten Videos auf Tiktok postet, sondern müde in die Kamera blickt, während man Erdäpfelpüree in sich reinschaufelt.
»Nice«, sagt Oskar und ich versteh nicht ganz. »Dort drüben, das Café! Das heißt …« Auf einem Schild steht »Neyse«. Als ich den Schmäh checke, hat Oskar schon die Google-Bewertungen gecheckt. »4,8 Sterne! Lass uns rübergehen.« Blick in beide Richtungen – kein Auto. »Komm, schnell!« Wir hetzen über die Straße. Er stößt keuchend die Tür auf. In dem kleinen Café spielt ein Song vom Wu-Tang Clan. Der Barista begrüßt uns mit einem Lächeln, das er aus der Colgate-Werbung geklaut hat. »Was kann ich euch Gutes tun?« Oskar bestellt eine Frucade und einen Caprese-Wrap. Er zieht sein Handy aus der Tasche, der Bildschirm wird hell.
»Ist das Messi auf deinem Startbildschirm?«, frage ich Oskar.
»Ja, ja, weil der Gott sei Dank die WM gewonnen hat! Meine Freundin hat sich aber volle aufgeregt.«
»Weil du sie mit Messi getauscht hast?«
»Er hat die WM gewonnen, das muss ma kurz amal respektieren!«
»Das ist doch über einen Monat her!«
»Ich realisier es aber gerade erst!«
Oskar setzt sich auf eine abgewetzte, grüne Couch und gießt Frucade in ein Glas mit Eiswürfeln. Mir fällt ein, dass ich ihm ein Interview mit seinem Vater mitgenommen habe. Eines, das man nicht im Internet findet, weil er es 1992 – nur ein paar Jahre älter als Oskar – über seine Band Naked Lunch geführt hat. »Vollegeil«, sagt Oskar. »Ab und zu find ich Sachen, die sind ihm sogar bissi peinlich. Aber is eh logisch, dass man manches peinlich findet, was man als Junger gesagt hat, oder?« Ich frage ihn, ob er glaubt, dass ihm das Gespräch mit mir irgendwann peinlich sein könnte. Er antwortet mit vollem Mund: »Na, wieso?«
»Irrelecker« und »megalieb«
Man merkt, dass Oskar nicht an sich zweifelt. Er strotzt mit 17 vor mehr Selbstbewusstsein, als andere in ihrem Leben erreichen. Zeitweise wirkt das überheblich, weil es überrascht. Sein Alter wird dabei für manche zur Projektionsfläche für die eigene verlorene Jugend. Darüber denkt Oskar aber nicht nach. Er macht halt. Manchmal auf ironisch, meistens einfach so. Vielleicht verwendet er deshalb Wörter wie »irrelecker« oder »megalieb«, zockt »Fortnite« und hatte eine »Wrestling-Phase« – wie fast alle in seinem Alter. Die feinen Unterschiede zu »seiner Generation« stecken in jenen Momenten, in denen ihn sein Manager fragt, ob er sich vorstellen könnte, in einer ausverkauften Stadthalle zu spielen.
»Don’t get me wrong«, sagt Oskar, wenn er merkt, dass er arrogant rüberkommen könnte. Er schiebt dann seine Unterlippe nach vorne, als müsste er kurz überlegen, wie er seinen Altersbonus neu ausspielen kann. Meistens lacht Oskar unschuldig auf. Er weiß, dass er die Leute damit für sich gewinnen kann. Schließlich holt es einen aus den Gedanken in die Gegenwart. Um die Zukunft kümmern sich ohnehin andere. Als er am letzten Schluck Frucade nippt, ruft zuerst seine Mama an. Zwei Minuten später vibriert das Handy erneut: sein Manager. »Der sollt eigentlich wissen, dass ich grad wo bin«, sagt Oskar und hebt ab.
»Teenage Lullabies«, das Debütalbum von Oskar Haag, erscheint am 3. März 2023 bei Lullaby Records. Die zugehörige Tour führt den Musiker durch ganz Österreich: 3. März, Wien, Rabenhof — 4. März, Linz, Posthof — 5. März, Klagenfurt, Kammerlichtspiele — 8. März, Salzburg, ARGE Kultur — 9. März, Graz, Dom im Berg — 10. März, Innsbruck, Treibhaus — 13. April, St. Pölten, Cinema Paradiso — 14. April, Weyer, Bertholdsaal — 15. April, Dornbirn, Spielboden — 20. April, Baden, Cinema Paradiso.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels steht fälschlicherweise, dass Stefan Redelsteiner Oskar Haags Manager sei. Redelsteiner hat Oskar Haag zwar rund um den Release seiner Debütsingle »Stargazing« unterstützt, das Management des Musikers hat jedoch Stefan »Apple« Kudlicki übernommen. Wir bitten um Nachsicht!
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