Gewalt, die neue Band von Patrick Wagner, zelebriert die Tugenden Dringlichkeit und Lautstärke.
Patrick Wagner „Superstar“ ist zurück und hat nach einigen Jahren Pause mit Gewalt eine neue Band. Die schließt inhaltlich und musikalisch an sein bisheriges Schaffen an. Anfang der Nullerjahre hat er mit Surrogat nach einigen EPs zwei großartige Alben veröffentlicht: großspuriger Rock in deutscher Sprache, der sich in jeder Hinsicht nicht davor sträubte, Komplexität mit Kraft und Energie kurzzuschließen. Das war trotz der sloganhaften Texte weit weg von allem, was damals Hamburger Schule war. Und Patrick Wagner weit mehr als nur Musiker. Wie – den muss man hier irgendwie nennen – Steve Albini, hat Patrick immer auch an Strukturen gearbeitet: zuerst mit seinem Label Kitty-Yo (Kante, Raz Ohara, Laub, To Rococo Rot, Tarwater, …), später mit Louisville (Jeans Team, …). Und letztlich auch heute mit Gewalt.
Auf die Frage, was in der Zwischenzeit passiert ist, trennt er das Ende von Surrogat 2003 von seinen Tätigkeiten im Musikgeschäft: „Du meinst, seit Surrogat 2003? Ich reiß dann mal kurz mein halbes Leben ab. Well, Vaterschaft – man hat als frischer gewordener Vater nichts mehr zu sagen außer vielleicht Bububu … Deshalb hat Surrogat auch nichts mehr gesagt. Dann war ich eine Zeitlang als A&R bei Universal – und habe Naked Lunch gegen alle Widerstände unter Vertrag genommen. Dann habe ich mit meiner Frau Louisville Records gegründet und dann sind wir sechs Jahre später Pleite gegangen.“
Ohne Kompromisse
Patrick Wagner wirkt immer wie jemand, der seinen Tätigkeiten ohne Kompromisse nachgeht – eine Trennung von Privat und Beruf ist hier unvorstellbar. Er erzählt weiter: „Nach der Scheidung habe ich fünf Jahre in meinem Zimmer gesessen und die Wand angestarrt und meinen Frieden damit gemacht, dass ich und der Mensch im Allgemeinen ein einsamer ist. Das war übrigens besser, als es sich anhört.“ Die Lieder und Videos dazu heißen „So soll es sein“ oder auch „Von Inseln“.
Anders als vor 15 oder 20 Jahren gibt es mittlerweile eine Menge deutscher Gitarrenbands, die in Musik und Texten Kraft und Klarheit mit Aussagekraft und Schlauheit verbinden. Seien es Trümmer, Die Nerven oder auch Isolation Berlin: „Oh ja, ich war ja, wie gesagt, weg vom Fenster für fünf Jahre – da habe ich auch keine Musik gehört oder dergleichen.“
Keine bescheuerten Berührungsängste
„Mit Surrogat waren wir in Dringlichkeit, Drastik und Krach immer sehr alleine. Jetzt ist es herrlich: Wir spielten mit Karies und Pisse, Max von Drangsal und Florian von Herpes singen auf ‚Tier‘. Wir veranstalten ein Festival mit Hope, Drangsal und Friends Of Gas. Letzte Woche haben wir Human Abfall gesehen, die unglaublich sind. Kevin Kuhn, der Schlagzeuger von Karies und Die Nerven, spielt in Köln zum zweiten Mal als Bongo-Mann bei unserer Coverversion von ‚Sympathy For The Devil‘ von den Rolling Stones mit. Es ist großartig, nicht alleine dazustehen. Diese Bands haben auch nicht so bescheuerte Berührungsängste wie ich zum Beispiel früher.“
Mit dem angesprochenen „Tier“ ist Gewalt dann auch der bisherige Übersong gelungen. Hier passt einfach alles und das dazugehörige Video sprengt einfach mal so jeden Rahmen. Während in den bisherigen Videos und dem visuellen Auftreten der Band viele TV-Bilder und Found Footage in erster Linie Assoziationsketten triggerten, gibt es hier den inszenierten und doch kraftvollen Ausbruch.
Gewalt durchdringt alles
Meiner These, dass die Inhalte von Gewalt nun vielleicht noch privater sind, weil mir die klaren Anspielungen auf den Berlin-Hype oder auch Geld fehlen, kann Patrick Wagner aber nicht nachvollziehen: „Interessant, dass du das so empfindest. Ich glaube ja, dass meine Aussagen und die Band als solche eher universeller sind – ich benütze nur mich selbst, um die Geschichte zu erzählen: Bei ‚So geht die Geschichte‘ geht es um Angst. Bei ‚Tier‘ um alles, was im Menschen eigentlich ursprünglich steckt. Bei ‚Limiter‘ um den Vorgang einer lebenslangen Selbstbeschneidung. Bei ‚Szene eine Ehe‘ um das Augenrollen in langjährigen Beziehungen. Alles Themen von privater wie gesellschaftlicher Relevanz. Deshalb musste die Band auch Gewalt heißen. Gewalt durchdringt alles, uns selbst und immer mehr auch die Gesellschaft und immer mehr in falsche Richtungen.“
Womit man auch schon bei der neuen Band angelangt ist: „Helen Henfling, hatte noch nie auf der Bühne Gitarre gespielt, sie hatte Angst davor, genau wie ich. Wir haben sie uns gegenseitig genommen. Die Idee von Gewalt war, diese immense Wucht von Text und Musik durch Frauen zu erzeugen, deshalb haben wir eine Bassistin gesucht und mit Yelka gefunden. Sie kommt eigentlich aus dem Krautrock-Umfeld und spielt außer bei Gewalt noch bei der großartigen Band Eagle Boston. Der Moment, wenn wir zum Soundcheck kommen, ist immer einer der schönsten: ‚Ah ja, ihr seid also Gewalt?!‘ Wenn wir eine gute Anlage haben, bekommen die Menschen manchmal Angst – nicht nur wegen der Lautstärke.“
Vielleicht sind die Assoziationen wieder nur meine, aber ich vermisse ein wenig die Vertracktheit von Surrogat, die viel an der Rhythmusarbeit von Tilo Schierz-Crusius am Bass und Mai-Linh Truong am Schlagzeug lag. Für mich ergibt sich aus dem neuen Sound, in dem die Drums von der Maschine kommen, eine Nähe zu Industrial. Patrick sieht das ein bisschen anders: „Diese Reduzierung auf das Wesentliche, die Begrenztheit beim Schreiben von Beats … Wir arbeiten nicht an der Musik, wir verweigern jedwede Professionalität.“
Konzerte wie Messen
„Mit einer Schlagzeugerin müssten wir öfter proben, diskutieren, es gäbe Befindlichkeiten, es wäre mehr ein Schritt in Richtung ‚Arbeit, Krankheit, Tod (Pandora)‘. Wir lieben unseren DM1 – auch mit ihm und gegen ihn zu spielen. Es geht bei uns nicht um Musikalität – oder Geschmack, es geht darum, die Unmöglichkeit unserer Existenz zu verdichten. Auch dank unserer Drum Machine, werden unsere Konzerte manchmal so klar und eindringlich wie Messen.“
Es ist gut, dass Patrick Wagner wieder Musik macht, und das alte Fantum bleibt bei Gewalt absolut angebracht.
Gewalt sind gerade auf Tour und spielen am Donnerstag, den 6. April 2017, in Wien im Fluc.