Michael Fuith gehört eines der spannendsten Gesichter im österreichischen Film. Nach seiner intensiven Titelpartie im Missbrauchs-Drama »Michael« wird man es vermutlich öfter sehen dürfen.
»Für mich ist er der neue Peter Lorre«, sagt Regisseur Marvin Kren vor einem Jahr im The Gap-Interview über Michael Fuith. Zu diesem Zeitpunkt hat Fuith gerade seine erste Hauptrolle in einem Langfilm absolviert: als hypersozialer Protagonist in Krens Zombiethriller »Rammbock«. Aufgefallen ist der Burgenländer vorher schon in Studentenarbeiten, etwa als Nervensäge Alois Meier in »Das große Glück sozusagen« (2007, Alexander Stecher), oder in markanten Nebenrollen, wie als allseits ignorierter Dalli in der Provinzposse »Kotsch« (2006). Mit solchen schrulligen Verliererfiguren hat Fuiths jüngste Rolle – zumindest auf den ersten Blick – wenig zu tun: Die Titelfigur in »Michael« ist ein unauffälliger Versicherungsangestellter Mitte 30, der bei sich im Keller einen Zehnjährigen gefangen hält. Nüchtern protokolliert Regiedebütant Markus Schleinzer den Alltag des pädophilen Entführers und seines Opfers, lässt glaubhaft Suspense und groteske Pointen aus der geteilten »Normalität« wachsen. In Cannes, wo der Film vergangenen Mai im Wettbewerb lief, wurden Fuith vielfach Chancen auf den Darstellerpreis ausgerechnet, das US-Branchenblatt Variety fand ihn »superb«. Verständlich: Die Wucht des Films verdankt sich maßgeblich Fuiths Spiel, das präzise zwischen gebieterischer Strenge und Unbeholfenheit, zugeknöpfter Biederkeit und infantilen Schüben changiert. Wie er diese Schwankungen hingekriegt hat, hat Michael Fuith im Interview erzählt.
In einigen deiner größeren Rollen – »Kotsch«, »Das große Glück sozusagen«, »Rammbock« – hast du einen bestimmten Typus gespielt: unbeholfen, liebesbedürftig, beharrlich. Kannst du mit dieser Figur speziell etwas anfangen?
Nein, das hat sich einfach ergeben. Alexander Stecher hat mich in »Das große Glück sozusagen« für die Rolle dieses sozial ungeschickten Menschen gecastet, der in seinem Umfeld nicht Fuß fassen kann. Und der Film hat dann auch die Macher von »Rammbock« zu ihrer Hauptfigur inspiriert. Markus Schleinzer hat »Das große Glück sozusagen« übrigens auch gesehen, bevor er mich für »Michael« kontaktiert hat. Ihn hat die Balance in dieser Rolle interessiert: Einerseits ist Alois Meier nervig, er muss aber sympathisch genug bleiben, dass die Zuschauer ihn weiter verfolgen. Etwas Ähnliches hat Schleinzer für »Michael« gebraucht: Hier spiele ich den Täter, jemand, den du bis aufs Blut hasst, aber du sollst ihm trotzdem durch den Film folgen.
»Michael« ist aus der Täterperspektive erzählt, aber die Figur bleibt rätselhaft. Wie spielt man das?
Michael war sicher die ärgste Rolle, die ich je gespielt habe. Normal pick ich mir aus dem Drehbuch Hinweise raus, wie eine Person wann reagiert, und konstruiere mir aus diesen Details dann eine Figur. Ich schnür mir ein Paket. Bei »Michael« war das aber überhaupt nicht möglich. Ich habe keinen Weg gefunden – keine Emotionen, keine Weltanschauung –, um alles, was er tut, unter einen Hut zu kriegen. Michael ist im Berufsleben ein ganz anderer Mensch als wenn er mit seiner Familie redet oder wenn er mit dem Buben zusammen ist. Also hab ich fünf, sechs verschiedene Figuren gespielt und hab gewusst, dass die erst am Ende im Film zusammenkommen zu einer einzigen.
Michael wechselt auch seinem Opfer Wolfgang gegenüber abrupt sein Verhalten. Einmal agiert er streng, dann kindisch. Inwiefern hat das für dich Sinn ergeben?
Verstehen kann man das höchstens in dem Ausmaß, dass man weiß, der projiziert in diesen Bub alles rein, was er sonst im Leben nicht zustande kriegt: Lebenspartner, Familie, Kind, Freund, und gleichaltrigen Spielgefährten, wenn er im Kopf plötzlich wieder Kind sein will. Erklären kann man das nicht, auch nicht, was das für ein Kind heißen muss, von jemandem abhängig zu sein, der zwischen so verschiedenen Gemütszuständen hin und her springt.
Wieviel hast du für die Rolle recherchiert, und wie nützlich war für dich das Wissen über konkrete Fälle, in denen Kinder entführt und festgehalten wurden?
Das war sehr wichtig, weil es im Skript selbst nicht besonders viel Text für die Figur gab. Gemeinsam mit Frau Dr. Kastner (Anm.: die Kriminalpsychologin Dr. Heidi Kastner war wissenschaftliche Beraterin des Films) haben wir anhand des Skripts Stück für Stück eine Figur gebaut – aus vielen verschiedenen Fällen, die weltweit dokumentiert sind. Ich habe ein halbes Jahr vor Drehbeginn mit den Recherchen angefangen und alles gelesen, über dokumentierte Fälle, aber auch über Foltermethoden, über die Psychologie, die im Krieg angewendet wird, um Leute zu unterdrücken. Dann hab ich mich mit Militärausbildnern getroffen, um die Tricks zu lernen die man anwendet, um Dominanz und Autorität auszustrahlen. Frau Dr. Kastner hat mir am Ende den schönsten Segen gegeben: Als sie den fertigen Film gesehen hat, hat sie gesagt, »Ja, die sind wirklich so«. Auf der einen Seite war das erschreckend, aber ich hab mich gefreut, dass ich es hingekriegt hab.
Es gibt Stellen im Film, wo die Figur Michael vor allem lächerlich wirkt. War es euch wichtig, das zu betonen?
Das war schon im Drehbuch vorgegeben. Dr. Kastner hat das auch gut geheißen, weil das immer wieder vorkommt in diesen Fällen. Diese überraschende Erbärmlichkeit des Täters hat auch Natascha Kampusch in ihrem Buch beschrieben. Schon als junges Mädchen hatte sie manchmal das Gefühl, da sitzt jetzt ein kleiner Bub vor ihr, im Körper eines großen Mannes. Der ist eigentlich urlächerlich. Sie kann aber nichts machen, denn er hat die Macht.
Wie war die Zusammenarbeit mit David Rauchenberger, der Michaels Opfer Wolfgang spielt? Wie hast du mit ihm über eure Figuren gesprochen?
David war ein toller Partner und hat mir irrsinnig geholfen. Seine Eltern waren von Anfang an involviert in das Projekt. Sie haben genau gewusst, worum es geht und waren auch dafür, dass dieser Film gemacht wird. Einzelne Szenen haben wir mit ihm immer wieder geprobt, darüber gesprochen. Wir haben ihm immer mehr über die Geschichte des Films erzählt, und ich hab ihm aus dem Kampusch-Buch vorgelesen und von anderen Fällen erzählt. David will unbedingt Schauspieler werden und fand es am Set vor allem cool. Er war auch überhaupt nicht zimperlich. Wenn ich ihm den Briefumschlag auf den Kopf schlage, habe ich bei den Proben immer wieder nachgefragt, "Hab ich dir eh nicht weh getan?", und er hat gesagt, "Nein nein, schlag ruhig fester, wir müssen die Szene in den Kasten kriegen!" Das hilft natürlich, wenn du merkst, der kriegt keine Angst, sondern reißt in der Pause Schmähs mit dir.
»Michael« läuft ab 2. September im Kino.