Früher, "Da gab es Streit, wer der Beste sei, manche wollten abreisen …" Hybris, Verantwortung und Geschichte waren ein paar der Themen beim Gespräch mit Impulstanz. The Gap hat den Intendanten und die Dramgaturgin des Österreich-Pavillons zum Limbo gebeten.
Seit fast dreißig Jahren lädt Impulstanz im Sommer professionelle wie begeisterte Hobby-Tänzer – und natürlich den Rest der Welt – dazu ein, zeitgenössischen Tanz sowohl aktiv (heuer neu im Programm: Tango und Pantsula) als auch passiv zu genießen und die heißeste Zeit des Jahres zu einem großen Tanzfest zu machen. Was dahinter steht und was im zeitgenössischen Tanz, außer künstlerisches Event zu sein, noch so alles steckt, verraten uns Intendant Karl Regensburger und die Dramaturgin des neuen Österreich-Pavillons, Chris Standfest, im Gespräch.
Impulstanz ist das größte Tanzfestival Europas, gibt es weltweit gesehen Vergleichbares?
Karl Regensburger: In Verbindung mit dem Workshop-Festival ist es, so glaube ich, weltweit das größte. Es ist immer sehr schwer, über eigenes zu sprechen, aber ich bin immer berührt, wenn ich durch das Arsenal und seine Hallen gehe. Es ist gelungen, eine sehr konzentrierte Arbeitsatmosphäre zu kreieren. Anfang der 1990er Jahre hatten wir noch mit unfassbaren Egos von Lehrern zu tun. Da gab es Streit, wer der Beste sei, manche wollten abreisen …
Chris Standfest: Das hat vielleicht auch mit inhaltlichen Entwicklungen zu tun. In zeitgenössischen Choreografien empfinden sich viele eher als Kollaborateure. Diese Meisterfiguren, diese Master Teacher, sind vielleicht nicht mehr wirklich zeitgemäß.
KR: Die Dozenten haben begonnen, sich auch dafür zu interessieren, was die anderen Lehrer machen. Die Wertschätzung in den Dozentenkreisen ist eine andere, 60 bis 70 Dozenten sind im Schnitt gleichzeitig hier in Wien. Da bist du ja fast zum Austausch gezwungen.
Kannst du uns kurz über die wichtigsten Etappen, die Entstehung von Impulstanz erzählen?
KR: 1982/1983 habe ich bei einem der ersten Tanzinstitute, dem Tanzforum Wien, gearbeitet. Ich war für die Organisation zuständig und habe sehr bald bemerkt, dass es internationaler Lehrkräfte bedarf, die Schwung, Bewegung und Esprit reinbringen. So habe ich auch Ismael Ivo eingeladen. Nach einer gewissen Zeit hatte ich das Gefühl, dass die Künstler mehr verdienen sollten und habe dann sozusagen die Seite gewechselt und wurde der Manager von Ismael Ivo. Wir versuchten daraufhin, selber etwas auf die Beine zu stellen, und das war die Geburtsstunde der “Ersten internationalen Sommertanzwochen” im Universitätssportzentrum Schmelz.
Wir hatten damals sechs Lehrer, die Dauer war auf zwei Wochen angesetzt und wurde aus Begeisterung gleich um eine Woche verlängert. Das waren Workshops, die ersten Performances gab es dann im Jahre 1988. Es gab enge Zusammenarbeiten mit Heiner Müller und George Tabori. Tabori hatte damals das Theater “Der Kreis”, das jetzige Schauspielhaus Wien. Es stand im Sommer leer, und er hat uns angeboten, das Haus für ein Performance-Festival zu nutzen. Statt einer Förderung gab es ein Schreiben der Stadt, dass es ja die Tanzbiennale für Produktionen gäbe und sie angenommen hätten, dass wir nur Workshops anbieten.
Das war ein bisschen unangenehm, hat uns aber eher dazu angestachelt, weiterzumachen. 1989 gingen wir dann ins Odeon-Theater. 1990 mussten wir aus finanziellen Gründen einmal aussetzen, haben dann aber aus einem unbändigen Schaffensdrang heraus in dieser Zeit die Research-Reihe, mit ProSeries und Coaching-Projekten, entwickelt. Danach ist es meinem Empfinden nach sehr organisch weitergewachsen.
Welche Rolle spielen Spielorte, wie interagieren Raum und Tanz?
KR: Die Bedeutung von Spielorten für Tanzaufführungen wurde lange Zeit unterschätzt. Die Aufführungen wurden einfach in gewisse vorhandene Theaterräume reingezwängt. Ich habe sehr viele Theaterräume gesehen. Im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten haben wir dadurch der Raumfrage ein größeres Gewicht gegeben. Durch das gute Image des Festivals ist es uns mittlerweile möglich, geeignete Räumlichkeiten für diverse Stücke zu suchen. Die Theaterleiter von Wien treten mittlerweile auch an uns heran und fragen, ob wir nicht bei ihnen spielen wollen. Wir bespielen heuer 14 verschiedene Bühnen!
CS: Und es macht auch einen Unterschied, ob man im Arsenal oder in den Probebühnen des Burgtheaters oder nur in kleinen, manchmal auch eher kärglichen Räumen probt. Du brauchst als Performer auch die Herausforderung einer 10m hohen Decke und einen großen Platz vor dir. Als sogenannter Österreich Pavillon fungiert heuer erstmals das ehemalige Grand Etablissement Gschwandner, ein genuin österreichischer, aber auch K&K-geschichtlich betrachtet kosmopolitischer Ort, der gerade intensiv zwischengenutzt wird.
Gibt es auch so etwas wie eine gesellschaftliche Intention, eine Verantwortung gegenüber dieser Kunstform?
KR: Man muss aufpassen, dass der Tanz nicht auf die Schiene gerät, bloße Spektakelkultur zu sein, immer wieder hechelnd Neues bringen zu müssen. Das ist im, nicht nur österreichischen sondern auch internationalen, Subventionssystem begründet. Der Interpret wird zu wenig gefördert. Meist sind es nur die Choreografen, was dann dazu führt, dass jeder ein Choreograf werden muss. Das Subventionssystem ist so gebaut, dass du immer wieder eine Produktion machen musst, um an frisches Geld zu kommen. Das heißt, du kannst nicht mal eine Sache reifen lassen, dir Zeit nehmen. Das ist glaube ich einer der Nachteile, die man überwinden müsste. Und der Tanz muss auch sehr aufpassen, dass er nicht immer nur von einem zu schaffenden Highlight zum nächsten huscht, um irgendwie präsent zu sein.
Tanz und Hybridität. Wie sehr ist Tanz geeignet, Hybridformen mit anderen Disziplinen zu bilden?
CS: Tanz ist nicht qua Sprache so stark an Nationalitäten gebunden, wie beispielsweise das Theater. Es sind andere Offenheiten möglich. Internationale Begegnungen funktionieren dadurch ganz anders. Darüber hinaus haben sich seit den letzten 20 Jahren in allen Kunstformen bestimmte hybride Figuren entwickelt. Eine Rolle spielt dabei bedingt durch neue Mobilitäten oder Technologien die Auflösung von Bindungen, sei das jetzt der lebenslang gleiche Arbeitsplatz oder Familienstrukturen.
Der burgenländische Tänzer und Choreograf Chris Haring hat damals mit dem Stück “D.A.V.E” sehr früh diese neuen Technologien, die Attacke des Virtuellen auf den Körper, die zu einer scheinbaren Auflösung des Körpers führt, gemeinsam mit dem Musiker Klaus Obermaier thematisiert. Vorher waren Körper “eingekleidet” in Emotionen, Bedeutungen und Ausdruck. Auch das ist in den darstellenden Künsten alles aufgebrochen. Nachdem sich der Tanz aus dem Kanon seiner klassischen Formen herausgelöst hatte, wurde eine neue Freiheit generiert. Jeder Performer, der auf die Bühne ging, musste sich nun die Frage stellen: Was produziere ich für ein Bild? Da kommt durch neue Visualisierungstechnologien auch eine ganz andere Reflexion über Opulenz und Oberflächen zum Tragen.
Worin seht ihr die gesellschaftliche Relevanz in Wien bzw. Österreich von zeitgenössischem Tanz?
CS: Ich hoffe, dass gerade das Gschwandner ein kleines Brennglas – die Metapher kommt mir jetzt glaub ich auch wegen der Temperaturen hier im Büro – der Möglichkeiten von Begegnung wird: Dinge sichtbar und erlebbar machen. Eine Form von Freundlichkeit und eine Sorgfalt im Umgang miteinander spürbar zu machen. Aber auch Ästhetiken entwickeln, die verstören, konfrontieren oder Konfliktpotenzial beinhalten.
Wenn ich in einen Club gehe zur Zeit komme ich keine 10 Meter ohne das ich 17 Ellbogen in die Rippen kriege. Was ist das? Braucht ihr das alle, dieses Rabiate, dieses Dumpfe? So etwas ist doch auch, ob implizit oder explizit, Thema gerade von Tanz und Performance, wenn es um unsere physischen Gebaren und Verhältnisse zueinander geht …
Ein Ausblick auf Impulstanz #30 nächstes Jahr?
KR: Wir sind in Gesprächen mit verschiedenen Choreografen, zb. auch Forsythe. Letztendlich wird man immer wieder auf die Budgetfrage zurückgeworfen. Tatsache ist, dass die nur in den Grundsätzen geklärt ist. Wir haben über die Jahre gelernt, einerseits um das Budget und andererseits um das Programm zu kämpfen. 15 bis 20 Leute arbeiten ganzjährig dafür, das muss man schon auch mitdenken. Impulstanz programmiert bewusst sehr spät. Mittlerweile prüfen 3 bis 4 Leute die europäische und internationale Szene, um sich die Produktionen auch live anzusehen. Das wird dann alles zusammengetragen.
Zwischen Jänner und Februar stockt das dann erfahrungsgemäß immer ein bisschen, da konkurrieren Programmträume mit den finanziellen Möglichkeiten. Dann nimmt das Programm so eine gewisse Grundform an und das Schöne ist auch, dass so ab März, April, wichtige Künstler noch auf dich zukommen und sagen, sie hätten was Neues und würden gerne mitmachen und wir in unserer Programmation noch die Offenheit haben zu sagen: “Welcome!”. Andererseits würde uns aber eine größere Planungssicherheit auch helfen, gewisse Projekte in der gegebenen Zeit festzuzurren und unter Umständen günstiger zu machen.
Impulstanz
12. Juli – 12. August
Wien, diverse Locations