Die neue Ausstellung im Architekturzentrum Wien zeigt Beispiele engagierter Architektur der vergangenen Jahre. Die ist weniger politisch, sondern pragmatisch. Auch aus Österreich kommen etliche Impulse.
Dass die Eingrenzung auf 22 Projekte nicht leicht war, bestätigt Sonja Pisarik, die das Ausstellungsprojekt im AZW geleitet hat: »Wir haben zwei Jahre lang zusammen mit den Kollegen in Deutschland unzählige Projektlisten erstellt. Letztlich ging es darum, möglichst unterschiedliche Projekte zu finden, von denen man behaupten kann, dass sie sich bewährt haben. Das hätten natürlich auch andere 22 sein können. Wichtig war, dass neue Aspekte zu finden waren, zum Beispiel beim Baumaterial oder bei der Konstruktion.«
Der entscheidende Unterschied
Der entscheidende Unterschied zu früheren Projekten sei die Sensibilität gegenüber ihren künftigen Benutzern. Die postkolonialen, um nicht zu sagen neokolonialistischen Bemühungen, für »die da unten« etwas zu organisieren, haben auch in der Architektur ihre Spuren hinterlassen. Man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, westliche Arroganz ist nicht angesagt. »Design Build Studios oder Büros erstellen meist in extremer Vorrecherche einen Befund und überlegen dann, wie sie zu einem Ziel kommen können.
Dieses und der Weg dorthin werden gemeinsam mit den Menschen und Organisationen vor Ort erarbeitet.« Das führe automatisch zu höherer Akzeptanz und Identifikation, ganz abgesehen davon, dass der Wissenstransfer keinesfalls eine Einbahnstraße von den reichen in die ärmeren Länder ist. Andres Lepik beschreibt noch einen weiteren Aspekt, der die heutige soziale Architektur von ihren Vorläufern unterscheidet, nämlich ihre pragmatische Herangehensweise, von ideologischen Bauten scheint man genug zu haben.
Relevanteste Architekturausstellung dieses Jahres
Während Österreich als Nation bei der Entwicklungszusammenarbeit das Prädikat beschämend dauerhaft gepachtet hat, spielen heimische Studios bei der sozialen Architektur durchaus eine beachtliche Rolle. Das reicht vom Vorarlberger Lehmbauexperten Martin Rauch bis zum Linzer BASEhabitat. »Besonders hervorzuheben ist der 2004 von Christoph Chorherr gegründete Verein S2arch«, so Pisarik. An zwei Standorten in Südafrika wurden mit über zwölf Architekturfakultäten im deutschsprachigen Raum große Schulgelände gebaut.
»S2arch ist laufend vor Ort, auch als Betreibergesellschaft. Das ist ein beachtliches, kontinuierliches Engagement«. Eines, das noch dazu von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen wird als Projekte mit großer PR-Anstrengung. Die Ausstellung wird in Wien durch einen rein österreichischen Bereich ergänzt, in dem Pisarik und ihr Team 72 Projekte vorstellen: die Gesamtheit der heimischen Anstrengungen der vergangenen zehn Jahre. Da sind auch jene dabei, die soziale Architektur in Österreich selbst voranbringen, so das bemerkenswerte Büro Gaupenraub, das bereits einige Projekte im Bereich Obdachlosenbetreuung (Notquartier VinziRast u.a.) geplant hat. Ohne Honorar übrigens.
Die relevanteste Architekturausstellung dieses Jahres gilt es nicht zu versäumen. Dem Thema entsprechend ist als Begleitpublikation kein seelenloses Coffeetable-Book erschienen, sondern eine 200 Seiten starke, deutsch-englische Sondernummer der Zeitschrift »ARCH+«, gespickt mit Texten und Bildern zu allen Projekten, einem Dossierteil über Francis Kéré sowie aufschlussreichen Zeitleisten und Glossarseiten, die das Thema historisch detailgenau bis in die Zwischenkriegszeit erschließen – was die Publikation im Vergleich zu anderen aus dem Bereich, die sich nur mit aktuellen Projekten auseinandersetzen, besonders wertvoll macht. Der Rechercheaufwand spiegelt sich auf jeder einzelnen Seite. Mit dem Thema wird eine Traditionslinie der Architektur aufgenommen, die in der Geschichte immer wieder aufblitzt, besonders oft in Krisenzeiten. Wer will da noch von Stararchitekten hören?
»Think global, build social!« läuft von 15. März bis 30. Juni 2014 im Architekturzentrum Wien.