Mit ihrer neuen Schau bespielt Anne Imhof alle vier Stockwerke des Kunsthauses Bregenz. Dabei setzt sie sich intensiv mit ihrer eigenen medialisierten Vergangenheit auseinander.
Habt ihr auch schon mal in euren alten Fotos und Videos gestöbert und seid dabei auf eine Person gestoßen, bei der ihr euch im ersten Moment gewundert habt, wer das denn ist, nur um bei näherer Betrachtung zu realisieren, dass ihr das selbst seid? In solchen Situationen begegnen wir uns selbst als Fremde, nehmen uns wahr, wie wir sonst nur andere Menschen wahrnehmen. Das ist die Macht der Medialisierung. Indem sich unser Selbstbild als Abbild vom Selbst löst, nehmen wir uns plötzlich grundlegend anders wahr, können uns selbst objektifizieren.
Im Gegensatz zum mythologischen Narziss, bei dem das eigene Spiegelbild so zum Objekt der Begierde wird, stellen sich beim Rest von uns allerdings häufig andere Gefühle ein. Verwunderung vielleicht, oder Verlust, oder vielleicht gar Scham. Letzteres trifft auch auf Anne Imhof zu, die sich für ihre neueste Schau im Bregenzer Kunsthaus intensiv mit bislang unveröffentlichten Aufnahmen von sich selbst auseinandergesetzt hat. »Es hat ja auch einen Grund, weshalb die Videos so lange liegengeblieben sind, weil es da auch eine Schamhaftigkeit gab, mit dem eigenen Körper umzugehen«, erklärt sie gegenüber dem Bayrischen Rundfunk.
Artefakte der Vergangenheit
Sofern sich Imhof nicht ihrer selbst fremdschämt, dürften diese oft intimen Aufnahmen wohl trotz medialer Veräußerung noch zu dicht am Selbst, am eigenen Innenleben geschrammt haben. Erst in Verbindung mit einem zeitlichen Abstand konnte die Künstlerin sie als Anschauungsobjekte der Außenwelt preisgeben. Die Ausstellung »Wish You Were Gay« setzt sie in einen Rahmen aus Artefakten und Adaptionen anderer Arbeiten Imhofs. Es ist eine Schau, die das Neue im Alten sucht, die Zukunft aber zugleich in gewisser Weise bedrohlich sieht.
Medienkunst birgt immer die Gefahr in sich, schlechter als andere Kunstformen zu altern. Wie jede Form von künstlerischer Avantgarde, versucht sie an den Randgebieten von medialen Praktiken mit neuen Nutzungsformen zu experimentieren. Doch durch die rasante mediale Entwicklung des letzten Jahrhunderts verleibt sich der Mainstream diese Experimente als neuen Alltag ein, nur um sie kurz darauf wieder als veraltet auszuscheiden. So wirkt Imhofs Verwendung eines ausklappbaren Camcorder-Screens als Spiegel zwei Jahrzehnte später schon fast wie eine medienarchäologische Ausgrabung. Gleichermaßen scheint auch unser Umgang mit »Selfies« zunehmend im Wandel begriffen. Dass Imhof also ihre eigenen medialen Praxen, ihr bisheriges künstlerisches Forschen nun auf die Bedeutung für die heutigen Gegebenheiten abklopft, scheint nicht nur folgerichtig, sondern stünde auch anderen Künstler*innen gut zu Gesicht.
»Wish You Were Gay« von Anne Imhof ist noch bis 22. September im Kunsthaus Bregenz zu sehen.
Unsere Heftrubrik »Golden Frame« ist jeweils einem Werk zeitgenössischer Kunst gewidmet. In The Gap 206 ist dies: »Maria« von Anne Imhof.