Provokation my ass

Florentina Holzinger macht Beyoncé ein bisschen dreckiger und die Theaterwelt ein bisschen geiler. Beim diesjährigen Impulstanz-Festival stellt die junge Wienerin ihr neues Solo-Projekt »Agon« vor.

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Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hielt anno 2009 anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele eine Rede, die den Niedergang des Theaters besang. Er beklagte neben den durch politisches Hickhack vereitelten Karriereplänen seines Vaters vor allem die vermeintlichen Stil- und Sinnlosigkeiten auf den Bühnen unserer Zeit. Was bringt es denn, wenn immer alle Spaghetti essen? Was ist der Zweck dieser ganzen Videowände? Und wieso besudeln sich immer alle? Und ob das von öffentlicher Hand so vorgeschrieben sei?

Sekrete-Party

Man möchte Herrn Kehlmann dieser Tage an der Hand nehmen, mit ihm eine Aufführung der zwei jungen Performer Florentina Holzinger und Vincent Riebeek besuchen und ihm wenigstens den Teil mit dem Besudeln erklären: Warum sie das machen? Weil es geil ist. Weil sie es können. Weil sie auf der Bühne eine Party feiern, auf die du einfach nie eingeladen sein wirst. Aber wie kann es denn überhaupt sein, dass das noch immer Thema ist? Körperflüssigkeiten auf der Bühne haben in unseren Gefilden schließlich eine lange Tradition. Die jüngere österreichische Geschichte ohne die Uni-Ferkeleien des Wiener Aktionismus? Unvorstellbar. Wenn in der Performance-Kunst der Körper das Medium ist, so sind seine Ausscheidungen die wichtigsten Botschafter. Und keiner hat das besser verstanden als die Österreicherin Holzinger und der Niederländer Riebeek.

Alles halb so wild

Die beiden Performer, die sich im Laufe ihres Studiums an der School for New Dance Development in Amsterdam kennengelernt haben, landeten schon mit ihrer ersten gemeinsamen Arbeit »Kein Applaus für Scheiße« einen Hit. In der 2011 entstandenen Bühnenarbeit lassen sie nicht nur so einiges fließen, sondern legen auch noch einen Höllenritt durch die Geschichte der Body Art hin. In der ersten Szene etwa sitzt Holzinger breitbeinig und von der Hüfte abwärts unbekleidet auf einem Stuhl und kaut an einer roten Schnur, während Bühnenpartner Riebeek vor ihr kniend einen Strang gleicher Machart mit kurzen ruckartig-kontrollierten Bewegungen mit seinem Mund aus ihrer Muschi herauszieht. Dem jüngeren Teil des Publikums stockt hier kurz der Atem, verschämte Blicke zum Sitznachbarn – Ist das Kunst oder kann das weg? – während die Älteren sofort das Spiel mit den Referenzen durchschauen.

Alles halb so wild, alles schon mal gesehen: 2000, »Confort et Complaisance« von Benoît Lachambre – ein Performer lässt sich eine lange Schnur aus dem Hintern ziehen. Die Linzer Industrialband Fuckhead spannt seit Jahren eine Schnur zwischen zwei Popos, wenn sie live spielt. 2010, »Magical« – Anne Juren verleibt sich ein Seidentuch gleichzeitig ein- und aus. Unverkennbar: Das junge Paar hat seine theaterwissenschaftlichen Hausaufgaben auf jeden Fall gemacht. Doch trocken wird es nie. Jeder theaterhistorische Bezugspunkt wird durch ein popkulturelles Gegengewicht gebrochen: Es wird getwerkt, gevoguet, gebreakdanct und Rihanna, Beyoncé, Miley und Lana liefern den Soundtrack zur großen Körpererfahrungssause.

Es wird auch nicht davor zurückgeschreckt, Zirkus- und Varieté-Elemente einzubauen, die in anderen Tanzkreisen schwer verpönt sind. In der zweiten Arbeit des Duos namens »Spirit« etwa spielt Trapezkunst à la Cirque du Soleil eine große Rolle. Auch ist Holzinger eine große Virtuosin im Aerial Silk, der Vertikaltuchakrobatik an zwei Seidenbahnen. Ziel ist es schließlich, dem zahlenden Publikum die große Show zu bieten – kein Applaus für Scheiße eben. Scheinbar grenzenloses Vertrauen zueinander macht jeden Budgetmangel wett und kreiert gleichzeitig eine seltsame Art von Romantik. Kein Geld für einen Brunnen? Dem anderen rücklings in hohem Bogen in den Mund zu pinkeln macht doch genauso viel her. Vom Effekt glitzrig-blauer »Einhorn«-Kotze ganz zu schweigen.

Bild(er) © Illustration: Paul Sturminger, Bild: Florentina Holzinger
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