Gegen den Mainstream der Geschichte – Das Queer Museum Vienna bereichert Wiens Kulturleben

Seit Jänner hat Wien ein queeres Museum. Die Gründer*innen rund um Florian Aschka wollen damit alternative Sichtweisen bieten und einen Raum für die Community schaffen.

© İz Öztat & Ann Antidote: Still aus »Suspended« (2019) — In der Ausstellung »How Does the Body Take Shape under Pressure?« zeigen Nazim Unal Yilmaz und Alper Turan Werke, die sich mit den Erfahrungen von sozialem Druck auseinandersetzen.

Die Regenbogenfahne, die gut sichtbar über dem Eingang hängt, ist der erste Hinweis auf die Präsenz des Queer Museum Vienna im Volkskundemuseum. Im Eingangsbereich selbst weisen eine Reihe dezenter pinker Pfeile in den ersten Stock, vorbei an alten Stadtmodellen, vorbei an jahrhundertealter Keramik. Eintrittspreis ist keiner zu entrichten, wenn man die Räumlichkeiten betritt, in denen es sich das Museum eingerichtet hat. Lediglich einen Sticker in Regenbogenfarben überreicht die Kassakraft den Besucher*innen. Demokratisierung durch Zugänglichkeit, ein Grundprinzip musealer Arbeit, in Reinform.

Florian Aschka ist einer der Gründer des Queer Museum Vienna, das seit Jänner 2022 die Museumslandschaft Wiens bereichert. Er führt die Institution gemeinsam als Kollektiv mit den Künstler*innen Larissa Kopp, Thomas Trabitsch und Rumi von Baires. Als wir ihn im Museum besuchen, läuft gerade der letzte Tag der Ausstellung »Honeymoon in Hennyland«. Vorbei an breiten Tischen voller Objekte in Boxen, an einer großen Leinwand sowie an Stoffinstallationen geht es geschäftig hin und her – der Abbau steht an. Als Nächstes folgt die Ausstellung »How Does the Body Take Shape under Pressure?« des türkischen Kuratorenteams Nazim Unal Yilmaz und Alper Turan, die bis 15. Juni laufen wird.

Weg von der Volkskunst

Die Gründung des Museums sei aus dem Bedürfnis nach einer kulturellen, musealen Repräsentation von Queerness erfolgt, wie Aschka erklärt, während er sich mit Yilmaz und Turan im Hof des Volkskundemuseums eine Pause gönnt. »Es war niemand gewillt, das zu finanzieren. Die Idee und die Initiative sind bereits 2020 gestartet, weil wir gedacht haben, es sei an der Zeit. Wir müssen es machen, denn sonst macht es keiner.« Im Jänner 2022 kam dann das Angebot vom Volkskundemuseum, für sechs Monate ein paar von dessen Räumen beziehen zu können und Hilfe bei der Umsetzung zu bekommen.

Ambition ist es, neben der Repräsentation auch die Definition des Museums zu erweitern. »Wir experimentieren gerne«, so Aschka. »Also weg von der klassischen Volkskunst.« Queerness sei dabei, hakt Kurator Nazim Unal ein, aber auf mehreren Ebenen zu verstehen: »Das Konzept des Queer-Seins dreht sich nicht nur um Sexualität. Es ist ein Zugang, um Dinge zu definieren und zu verstehen.« Wenn also von Queer im Kontext eines Museums gesprochen werde, dann sei das eine andere Art, Geschichte und Kunst zu verstehen. »Hier geht es auch nicht nur darum, Geschichten und Kunst zu zeigen«, so Turan, »es ist ein Sammelpunkt, ein Archiv für Minderheiten.«

Hierarchien gelte es kritisch zu hinterfragen, fügt Aschka hinzu. Behandelt würden aber auch Konzepte wie Kapitalismus und der Kampf gegen diesen. Nicht nur die formulierten Ziele, sondern auch die Aufmachung des Museums sind für eine Stadt wie Wien relativ neu. »Dass das Museum nomadisch ist, klingt doch schon sehr queer«, schmunzelt Unal. »Es entzieht sich der Definition eines Museums, wie wir es kennen.«

Dass das Museum nicht von einer einzelnen hierarchischen Figur geführt wird, sondern von einem Kollektiv, hebt es ebenfalls aus der breiten Masse gängiger Museumspraxis heraus. »Wir sind vier Leute im Leitungsgremium«, so Aschka, »und entscheiden alles gemeinsam.« Aber klar, wenn man mit der Stadt oder mit Förderinstitutionen wegen Geld verhandle, müsse man oft zu alten Strukturen zurückkehren: »Die wollen immer nur mit einer Person sprechen.«

Was aber stellt ein queeres Museum nun aus? Auf der Website steht etwas von der »trauernden Museologie«, die bisher gängig gewesen sei. Dass man lieber eine lebendige, vielfältige und aktive queere Gemeinschaft feiern wolle. Geht es also darum, alte Unterdrückungsmechanismen nicht zu reproduzieren? Nicht ganz, erklärt Aschka: »Mit dem Begriff ›trauernde Museologie‹ meinen wir beispielsweise diesen Darstellungsfokus auf homosexuelle Opfer der Nazis. Historische Ausstellungen zeigen wichtige Punkte auf. Aber wir wollten mehr als das, das Museum zu einem Community-Space machen. Den Ort mit zeitgenössischen Künstler*innen verbinden.« Wobei, ganz verschließt man sich dem Historischen nicht: »Nach dieser Ausstellung planen wir eine über die Geschichte von queerem Aktivismus nach den Weltkriegen.«

Der etablierten Museologie entgegenzusteuern, fordert nicht nur ein Umdenken, was die Formalitäten des Museums betrifft. Es muss auch auf die einzelnen Objekte heruntergebrochen werden. Aschka: »Man muss sich die Frage stellen, was es wert ist, in einem Museum gezeigt zu werden.« Das sei ein noch nicht vollendeter Prozess, an dem das Queer Museum arbeite. »Wir wissen nicht, ob wir am Ende ein Palast sein werden – oder etwas komplett Neues. Nicht alles muss aus Gold sein, funkeln oder auf einem Podest stehen.«

Aufbrechen hierarchischer Verhältnisse

In »How Does the Body Take Shape under Pressure?« zeigen Nazim Unal Yilmaz und Alper Turan Werke, die sich mit den Erfahrungen von sozialem Druck auseinandersetzen und die Dynamik unproportionaler Kräfte hinterfragen. Die ausgestellten Künstler*innen greifen darin politische Repressionen gegen queere und feministische Existenzen auf. Zu sehen sind unter anderem musealisierte, aus dem Alltag umgedeutete pinke Knieschoner oder Plastikpalmen. Die meisten Künstler*innen stammen wie die beiden Kuratoren aus der Türkei. Eine Brücke zwischen Wien und Istanbul.

Kuratorenduo Nazim Unal Yilmaz und Alper Turan (Foto: Queer Museum Vienna)

»Diese Werke zeigen intime sexuelle Momente, aber sie offenbaren auch hierarchische Verhältnisse«, erklärt Turan. Es gehe bei der Ausstellung jedoch nicht darum, ein konkretes Problem oder eine konkrete Region hervorzuheben. »Es ist vielmehr eine konzeptuelle und politische Art, Körper unter Druck zu verstehen. Dieser kann Sexualität, Gesellschaft, Prekarisierung oder Totalitarismus entspringen.« Dass diese Kunst primär von türkischen Künstler*innen kreiert wurde, wollen die beiden Kuratoren jedoch nicht als Kommentar auf die Situation in ihrem Heimatland verstehen. »Wir wollen als Brücke fungieren, aber nicht das Label aufgedrückt bekommen, dass wir türkische, unterdrückte queere Künstler*innen hernehmen und ihnen das schöne, glänzende Wien zeigen«, wehrt sich Turan entschieden. »Wenn westliche Kulturen über den Orient reden, passiert das immer als eine Form der Viktimisierung. Aber Dinge, die in der Türkei passieren, können auch hier auf einer Mikroebene stattfinden.«

Diese Neudefinition des musealen Raums, gibt Aschka zu, gehe jedoch nicht immer Hand in Hand mit den oft klischeehaften Vorstellungen und Erwartungen der Besucher*innen. »Wir haben zum Beispiel hin und wieder ältere queere Personen, die sich erwarten, dass da jetzt überall Peniszeichnungen hängen. Ich denke, am Ende haben wir jedes Community-Mitglied zumindest einmal enttäuscht. Aber hoffentlich waren diese Leute in den sechs Monaten, die es uns gibt, zumindest auch einmal glücklich und haben etwas gefunden, das ihnen gefällt.«

Für die nächste Generation

Mit dem Ende dieser Ausstellung am 15. Juni würde eigentlich auch das Ende des sechsmonatigen Gastspiels des Queer Museum Vienna im Volkskundemuseum heranrücken. Wie geht es danach weiter? »Wir wurden verlängert und werden jetzt bis Mitte oder Ende Juli bleiben«, zeigt sich Aschka erleichtert. Was das Danach betrifft, sei man sich noch nicht sicher. Man wolle aber auf jeden Fall mit dem Volkskundemuseum in Kontakt bleiben und an anderen Kollaborationen arbeiten. Und in die Bundesländer rausgehen? Irgendwann vielleicht. »Es gab diese 60er- und 70er-Jahre-Büchereibusse, die von Ortschaft zu Ortschaft fuhren. So könnte auch das Queer Museum durch die Orte fahren. Das wäre schön.«

Schließlich gilt es auch im ländlichen Raum, die Repräsentation zu stärken, jungen queeren Menschen einen Anlaufpunkt zu bieten. »Wir haben schon jetzt Schulklassen, die uns in ihrer Wienwoche besuchen. Momentan kommen sie noch zu uns, aber es wäre auch gut, zu ihnen rauszukommen. Es gibt dort ja noch viel mehr zu tun als hier in Wien, finde ich.« Wie auch immer es sich entwickelt: Um Improvisation wird das Queer Museum erst einmal nicht herumkommen.

Die Ausstellung »How Does the Body Shape under Pressure?« läuft noch bis 15. Juni 2022 im Queer Museum Vienna im Volkskundemuseum. Der Eintritt ist frei. Einmal im Monat veranstaltet das Museum überdies den QMV Matinee Club. Weitere Infos unter www.queermuseumvienna.com.

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