Nach dem Kurzfilm »Alles wird gut« gibt Patrick Vollrath mit »7500« sein Langfilmdebüt – inkl. Joseph Gordon-Levitt in der Hauptrolle. The Gap traf den Regisseur zum Gespräch.
Es hätte ein normaler Arbeitstag für den Ko-Politen Tobias Ellis (Joseph Gordon-Levitt) werden sollen. Hätte, denn kurz nach Start des Flugzeugs versuchen einige Männer, sich Zutritt zum Cockpit zu verschaffen. Patrick Vollrath erzählt in seinem Langfilmdebüt »7500« von Gewalt, die in den Alltag einbricht, und vom Versuch, mit dieser Gewalt umzugehen. Dabei fokussiert der Film ganz auf seinen Hauptdarsteller Joseph Gordon-Levitt, die Kamera ist nah an ihm und dem restlichen Cast dran, das Cockpit ist eng und beklemmend, die Spannung steigt kontinuierlich. Patrick Vollrath, der in Wien bei Michael Haneke Regie studierte, machte erstmals mit dem Kurzfilm »Alles wird gut« auf sich aufmerksam, für diesen erhielt er unter anderem den Student Academy Award in Bronze und eine Oscar-Nominierung.
Wie bist du zu dem Film gekommen? Welche Idee dahinter hat dich interessiert?
Es gibt sicherlich drei Grundpfeiler, warum ich diesen Film gemacht habe: Ich wollte erstens immer einen Film in nur einem Raum machen, das fand ich sehr spannend und ich habe lange überlegt, welcher Raum das sein könnte. Dann dachte ich, ein Flugzeug wäre sehr passend oder gar ein Cockpit – das wäre ja noch interessanter. Ich wollte früher Pilot werden – so wie wahrscheinlich viele Buben und Mädchen. Ich fand daher diesen Raum sehr spannend, da dieser bereits die Dramaturgie bedingt: Das Flugzeug fliegt, es will aber quasi wieder hinunter. Es gibt zudem eine sehr große Enge durch diese Cockpit-Tür, die von außen nicht zu öffnen ist, daher entsteht ein großer Konflikt. Zweitens wollte ich einen Film über eine Gewaltspirale machen, die durchbrochen wird, also, wo jemandem viel Gewalt angetan wird, er aber nicht mit Gewalt reagiert und als Ausweg quasi die Nicht-Rache wählt. Das fand ich sehr spannend, vor allem hinsichtlich des Gedankens, warum man gerade jetzt einen Film über Terrorismus macht. Mir ging es darum, diesen Ausweg zu zeigen, dass Rache eben nicht die Lösung sein darf, sondern nur Trauer und Schmerz, die akzeptiert werden müssen. Und drittens: Als ich angefangen habe zu recherchieren, gab es diese ganzen Kids aus Deutschland, Österreich und der restlichen Welt, die sich dem IS angeschlossen haben. Sie waren noch sehr jung, halb noch Kinder. Der eine junge Mann im Film ist ja auch noch fast ein Kind, er stürzt sich mit voller Begeisterung in etwas und gerade, als es passiert, wacht er auf und de-radikalisiert sich. Als er Blut an den Händen hat, merkt er, dass sein Tun falsch ist, er jedoch in der Situation gefangen ist.
Du hast »7500« gemeinsam mit Senad Halilbasic geschrieben, für die Kamera war abermals Sebastian Thaler zuständig. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit ihnen ergeben?
Senad habe ich 2013 kennengelernt und wir haben uns immer wieder ausgetauscht. Bei »Alles wird gut« habe ich ihn dann das Drehbuch lesen lassen und dann hat er mich dramaturgisch beraten. Das haben wir nun bei »7500« wieder gemacht. Ich habe die Grundidee und das Exposé geschrieben und dann standen wir permanent im Austausch, es war wie kreatives Ping Pong. Das hat sich dann über die komplette Drehbuchphase hinausgezogen. Immer, wenn ich eine Idee hatte, habe ich ihn nach seiner Meinung gefragt. Wir haben uns immer wieder ausgetauscht, weil er dann so tief im Projekt involviert ist, und weil ich es wahnsinnig gut finde, war er dann auch am Set anwesend und er war quasi mein Co-Trainer. Regie habe ich alleine geführt, aber er war ein kreativer Partner, mit dem ich mich ausgetauscht habe. Bei Sebastian war es so: Wir waren in einem Studienjahrgang an der Filmakademie und wir haben da unsere ersten Fingerübungen gemeinsam gemacht und wir haben uns dann nach und nach einen Stil zugelegt, der sich bei »Alles wird gut« zum ersten Mal so richtig gezeigt hat. Er war also auch von Anfang an dabei.
Du hast ja schon angesprochen, wie klein dieser Raum war, er ist ja beim Zusehen beinahe beengend. Wie habt ihr dann versucht durch die Bildsprache diesen Film zu erzählen? Was war auch hier besonders wichtig?
Wir hatten natürlich wahnsinnig wenig Platz im Cockpit. Dort waren auch nur Sebastian und die SchauspielerInnen. Wir drehten immer so: Die SchauspielerInnen bekamen wahnsinnig viel Freiheit und Sebastian reagierte darauf. Die Idee visuell war natürlich, dass der Kameramann quasi der verlängerte Arm des Publikums ist, der genau so im Cockpit eingeschlossen ist wie die Hauptfigur. Das war das Grundkonzept. Wir wollten dann visuell immer enger werden. Am Anfang gibt es noch mehr weite Aufnahmen zu sehen, aber umso enger es für die Hauptfigur wird, umso enger wird das Bild. Letztendlich ging es auch darum, das Ganze einfangen. Wir haben bis zu 45 Minuten mit den SchauspielerInnen gedreht, das waren wirklich Longshots. Die Kamera ordnet sich ja auch unter und sie fängt die Emotionen, die Geschichte und die Situation ein – ohne sich aufzudrängen. Sebastian hat ein wahnsinnig tolles Auge. In dieser Freiheit, die ich ihm und auch den SchauspielerInnen lasse, schafft er es, Bilder zu kreieren, die spannend sind, die kraftvoll sind, aber letztendlich auch nicht von den Gesichtern der SchauspielerInnen ablenken.
Am Anfang sind ja Bilder von Überwachungskameras zu sehen. Warum?
Beim Einstieg ging es viel mehr um den Alltag. Es ging sehr stark darum, Sicherheit oder zumindest ein Gefühl davon zu vermitteln. Wir denken, durch Überwachungskameras Straftaten zu verhindern, dies geschieht aber nur selten. Sie dienen eher dazu, danach aufzuklären, was passiert ist. Wir wollten auch zeigen, wie die Leute ins Flugzeug kommen und womit sie ins Flugzeug kommen. Ich wollte von Anfang an eine gewisse Bedrohung aufzeigen. Danach kommen ja einige alltägliche Szenen, in denen nicht so viel Spannendes geschieht, aber ich wollte das zuvor eben aufladen. Ich wollte zeigen, dass es eine Gefahr, eine Bedrohung gibt. Dann denkt das Publikum sich etwa bei jeder Person, die zu spät kommt: Wir wissen, dass etwas passieren wird, hoffentlich kommt der nicht mehr mit, hoffentlich wird er gerettet. Durch die alltäglichen Szenen in den ersten neun Minuten wollte ich zeigen, wie Gewalt in den Alltag einbricht. Denn das schockiert auch mich immer am meisten. Man denkt sich ja immer: Da ist etwas passiert – zum Beispiel während eines Konzertes – und man erwartet es nicht. Es passiert einfach auf einmal, das finde ich besonders schockierend.
Wie ist es dazu gekommen, dass Joseph Gordon-Levitt die Hauptrolle übernimmt?
In der Liga castet man natürlich nicht einfach so, man überlegt sich schon vorher, wer passen würde. Ich wollte jemanden haben, der erstens keinen Action-Helden spielt. Also niemand, bei man das Gefühl hat, er rettet uns jetzt alle und am Ende wird alles gut. Ich wollte einen ganz normalen Typen. Joe hat einfach diese Ausstrahlung eines ganz gewöhnlichen Otto-Normal-Verbauchers, ein John Doe, wie die Amis sagen würden. So einen wollte ich gerne haben, der einfach normal und vernünftig wirkt, nicht wie ein ehemaliger CIA-Agent oder so. Dann haben wir überlegt, wer es spielen könnte und da stand Joe natürlich sehr weit oben auf unserer Liste. Dann hatten wir das Glück, dass er nach einer Herausforderung suchte und wir stellten den Kontakt her. Er kannte meinen Kurzfilm »Alles wird gut«, den fand er sehr spannend. Er las das Drehbuch, das fand er ebenso spannend und dann wollte er mich treffen. Letztendlich hat ihn »7500« sehr angesprochen, da es ein Projekt war, das seinen Vorstellungen entsprach und er so etwas zuvor noch nie gemacht hatte. Wir haben mit vielen langen Takes gedreht, das erinnert beinahe ans Theater. Er musste sich auch jeden Tag emotional fordern, es war ja eine permanente Ausnahmesituation. Es ging ja quasi jeden Tag um Leben oder Tod. Es war eine Herausforderung für ihn. Wir haben uns getroffen und ich habe ihm meine Vision erklärt. Er hatte Lust darauf.
Ich habe ein Interview mit ihm bei einem Festival gelesen und dort meinte er, dass er Teil des Films sein wollte, da es kein einfacher Film sei. Wie genau bist du mit ihm dann an die Rolle herangegangen?
Ich habe natürlich mit ihm geredet, aber ich habe ihm auch viel selbst überlassen. Wir haben uns oft gefragt: Wie würdest du reagieren? Wie funktioniert das für dich? Was macht das emotional mit dir? Es ist eben kein Film, bei dem am Ende alles gut wird wie bei einem klassischen Hollywood-Film. Der Film fordert das Publikum, die Geschichte sucht keinen einfachen Ausweg oder eine einfache Lösung. Eigentlich gehen alle als VerliererInnen aus der Geschichte. Das meinte er wohl. Letztendlich haben wir viel geredet und da er einfach ein toller Typ und ein toller Schauspieler ist, hat er sich vieles selbst erarbeitet. Ich war letztendlich nur sein Guide – so wie ich mir das vorstelle.
Wir haben es zwar schon kurz angesprochen, aber ich möchte noch auf die Psychologie der Figuren eingehen. In einer Film-Rezension wurde ja die Skizzierung der Figuren kritisiert.
Das war eine bewusste Entscheidung. Keine Figur bekommt einen genauen Hintergrund. Man weiß nur, dass Tobias eine Freundin hat und Vater ist. Wir erleben alle Figuren in dem Moment. Wir haben das bei den Proben zwar alles erarbeitet, da hatte jeder einen Hintergrund, jeder wusste, woher seine Figur kommt und warum sie sich so oder so verhält. Ich finde es einfach wahnsinnig unelegant, dem Publikum das alles so ins Gesicht zu drücken und alles eins zu eins so zu erzählen. In der Realität wäre es ja auch nicht so, dass sich jemand hinsetzt und seine Motive erklärt. Ich wollte nicht mit dem Holzhammer durch die Gegend laufen und alle Motivationen erklären. Wir kennen ja auch alle die Berichte zu solchen Taten. Es war also eine bewusste Entscheidung, die Figuren in den Momenten zu zeigen, und dort bekommen sie auch eine Vielschichtigkeit, die natürlich immer in diesem Rahmen beschränkt bleibt. Ich finde, es sind keine holzschnittartigen Leute, sondern echte Menschen, die in diesem Moment so reagieren, wie sie reagieren.
Falls ich das richtig verstanden habe, dann ging es dir auch eher darum, eine gewisse Philosophie in der Geschichte zu finden und eine gewisse Moral anhand der Figuren und deren Handlungen zu skizzieren. Oder?
Tobias, der ja von Joseph dargestellt wird, hat sicherlich wahnsinnig schwierige Entscheidungen zu treffen. Seine Frau natürlich auch, die die Entscheidung für die beiden trifft. Durch die Entscheidung, die er am Ende nicht trifft, eben nicht Rache zu nehmen, das ist natürlich auch eine klare Aussage. Darin ist ja eine Moral verankert: Trotz der Gewalt, die einem angetan wird, nicht Rache zu nehmen und diese Gewaltspirale nicht fortzuführen.
Welche Herausforderungen gab es noch beim Dreh selbst?
Es hat eine Zeit lang gedauert, das Cockpit herzurichten. Wir wollten es ja nachbauen wie ein echtes Cockpit. Der wenige Platz, den wir hatten, hat natürlich dazu geführt, dass man nie parallel arbeiten konnte, sondern nur nacheinander. Jedes Team, egal, ob Ausstattung, Kostüm oder Licht, konnte immer nur nacheinander ins Cockpit.
Wie lange dauerte der Dreh?
Wir hatten 22 Drehtage mit SchauspielerInnen plus zwei Drehtage technischer Art.
Du hast ja bei Michael Haneke studiert. Was konntest du von ihm lernen?
Michael Haneke lehrt seinen Studierenden psychologische Glaubwürdigkeit in Bezug darauf, wie die Figuren handeln. Natürlich auch die Präzision, mit der man es dann versucht, auf die Leinwand zu bringen. Diese beiden Aspekte sind natürlich das Große, was mir so hängengeblieben ist, diese haben mich besonders geprägt. Meine Filme sollen auf einer psychologisch realistischen Grundlage aufbauen, selbst wenn die Geschichten ausgedacht sind. Michael Haneke sah auch »7500« in der Schnittphase und gab mir Feedback, er hat nur noch nicht die finale Version gesehen. Wenn er aber zur Premiere kommt, dann wird er diese natürlich sehen.
Welche Themen interessieren dich, welche Pläne hast du noch?
Nach dem ersten Film ist natürlich der zweite Film der nächste Plan. Wir schreiben gerade an dem nächsten Projekt, das aber noch geheim ist.
Amazon hat »7500« gekauft. Wie kam es dazu?
»7500« wird nächstes Jahr weltweit bei Amazon zu sehen sein, jedoch nicht in Österreich, Deutschland und der Schweiz. In diesen Ländern startet der Film erstmals im Kino, wo er dann landet, das wissen wir noch nicht.
Hat Amazon recht schnell Interesse an dem Film gezeigt oder gab es einen Biding War?
Es gab einen Biding Qar, ja. Amazon hat uns dann das beste Angebot gemacht, da sie den Film unbedingt haben wollten. Der Verantwortliche bei Amazon fand den Film sehr gut und war stolz, ihn dann auch zu bekommen. Es gibt ja immer wieder Diskussionen über Kino versus Streaming. Letztendlich ist es natürlich schön, den Film im Kino zu sehen, aber genau so schön finde ich es auch, wenn ihn dann viele Leute über eine Streaming-Plattform erleben können.
Es ist vermutlich auch schwer für einen europäischen Film in den US-Kinos überhaupt zu laufen.
Vor allem bei kleinen Filmen ist das so. Wir haben auch kein so großes Werbebudget, um den Film so groß zu vermarkten – trotz Joseph. Gerade bei den Zirkus rund um Marvel, DC und den ganzen Big Budget-Filmen, da muss man eben erkennen, dass man einen kleinen Film hat.
Gibt es sonst Themen, die du als Regisseur zukünftig bearbeiten möchtest?
Generell finde ich menschliches Verhalten in Extremsituationen spannend, vor allem realistisches menschliches Verhalten. Daher gibt es auch eine Szene in »7500«, in der jemand pinkelt, weil ich glaube, dass in so einer langen Zeit halt jemand nochmals pinkeln muss.
Sowohl bei »Alles wird gut« als auch bei »7500« unterbrechen unvorhergesehene Situationen den Alltag. Interessiert es dich, diesen Aspekt weiterhin filmisch zu bearbeiten?
Das Publikum spricht es natürlich viel mehr an. Wir haben dieses normale, alltägliche Leben, in dem es meistens keine Extremsituationen gibt. Wir erkennen uns bei solchen Filmen dann irgendwie jedoch wieder, merken, dass etwas falsch ist und nicht dem Alltag entspricht, und so etwas finde ich persönlich eben sehr spannend.
Du hast bereits viele Preise gewonnen, vor allem für deinen Kurzfilm »Alles wird gut«. Wie definierst du Erfolg für dich?
Gerade im Kulturbereich kann man sich nie sicher sein, dass man weitermachen kann. Die Konkurrenz ist groß, nicht allen steht Geld zur Verfügung und man muss herausstechen, um gefördert zu werden. Es ist ein pragmatischer, aber doch auch verständlicher Zugang, dann Erfolg so zu definieren, dass man eben weitermachen kan. Dass man nicht sagt, das hat nun fünfmal nicht geklappt, jetzt reicht es langsam. Klar, jeder Preis streichelt das Ego und die Eitelkeit und man freut sich natürlich. Im Endeffekt hat mir der Erfolg von »Alles wird gut« insofern geholfen, da ich nun »7500« mit einem etwas erhöhten Budget so realisieren konnte, wie ich wollte, und ich mir nichts von außen diktieren lassen musste, dass ich eben diese Freiheit hatte.
»7500« ist ab 10.01.2020 in den österreichischen Kinos zu sehen.