Rasiermesser zum Schlucken

Mit Nora Gomringer ist eine sprachbesessene Poetin in die betuliche Welt deutschsprachiger Lyrik eingebrochen. Die Performancekünstlerin vereint eine mitreißende Vortragsweise mit intelligenten Wortneuschöpfungen zu einer neuen Dichtform, die Spaß macht.

Ist die Schriftstellerin gerade nicht unterwegs, verdingt sie sich übrigens als Direktorin des internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. Dort residieren jeweils ein Jahr lang zwölf Künstler auf Kosten des Freistaat Bayern. Gomringer koordiniert, verwaltet und repräsentiert den Laden. Eine Bewerbung für diesen Job wurde ihr übrigens seitens der bayrischen Landesregierung nahegelegt. »Das Bewerbungsgespräch war ein echtes Grillen«, erinnert sie sich. Über 200 Mitbewerber hat die Neo-Direktorin letztendlich ausgestochen und bekam gleich auch noch den Zorn der Neidgesellschaft zu spüren: »Per Mail wurde ich monatelang aufs Wüsteste beschimpft«, erzählt sie leicht indigniert.

Pendlerin

Hier soll aber die Dichterin Gomringer im Vordergrund stehen. Die Gomringer, die es schafft, mit unaufgeregter Leichtigkeit Verse ins Auditorium zu schmettern und die auch sonst noch einiges aus der Performance-Kiste hervorzuzaubern vermag.

So versteht sie es etwa – wohl auch einer kurz vor der Abschlussprüfung abgebrochenen Gesangsausbildung wegen – beim Rezitieren die Stimme virtuos einzusetzen. Sie weiß, wie viel Sprechtempo Zuhörer vertragen können. Sie kennt die Magie des Lachens und bringt ihre Pointen ohne Zwang, um dieses Pflänzchen nicht zu zerstören. Sie hat aber auch verinnerlicht, dass es der eigenen Seelenhygiene gut tut, der Welt Schwieriges, Forderndes, Unangenehmes reinzusagen.

»Interessant ist, das hat mich auch lange gestört, dass mich die Zuhörer immer als ›die Lustige‹ in Erinnerung behalten, ich bereite nämlich meinen Zuhörern schon auch verstörende Erfahrungen. Mittlerweile empfinde ich das aber als normale menschliche Wahrnehmung. Man vergisst eben, was man vor 20 Minuten gehört hat.« Ohne höllisch scharfe Rasiermesser, an denen das Publikum zu schlucken hat, gibt es Gomringer also nicht. Lyrik ist ja schließlich kein Ponyhof. Da darf schon mal angesichts der eingestandenen Machtlosigkeit dem Tod gegenüber ein Kopf als »Bluthirnwolke« an der Wand explodieren. Und auch dem zukünftigen Ex-Freund und seinem Köter muss förmlich ein mehrdeutiges »Leck-mich« mit auf den Weg gegeben werden.

In manch effekthascherischen Bild kann der Einfluss von Slam Poetry auf ihre Arbeit nicht verleugnet werden. Gomringer ist in ihrem Emanzipationsprozess von der Szene aber schon weiter. Sie braucht nicht in fünf Minuten ein Publikum überzeugen und sich mit Kontrahenten auf einer Bühne matchen. Ihre Lyrik kommt in weiten Teilen deshalb auch ohne halboriginelle Sprach- und Lautmalereien aus. Dennoch aktiviert sie stets auch gewisse Potenziale dieser subkulturellen Dichtform. Vielleicht auch weil – wie sie selbst schreibt – ihre Arbeiten in einem »Laut-Lese-Flüster-Murmel-Prozess« entstehen. Ihre Gedichte, auch wenn sie leise gelesen funktionieren, können nicht unabhängig von ihrer Entstehung gesehen werden. Da ist es nur hilfreich, dass ihren Lyrikbänden die passende CD beigelegt ist. Man kriegt also ein wort- und stimmgewaltiges Gesamtpaket.

Gomringer bewegt sich gewissermaßen in Grenzgebieten. Sie spielt – soviel Konkrete Poesie muss sein – dezent, aber doch mit der Materialität von Sprache und Schriftbild. Sie vermisst die Trennlinie zwischen Sprechtext und Gedicht und changiert inhaltlich mit den Codes der Hoch- und Subkultur. Tiefe Empfindungen, die das Leben, respektive die Liebe für einen so parat halten, stehen dann wie selbstverständlich und völlig gleichberechtigt neben (scheinbaren) Banalitäten.

Das erzeugt Spannung – manchmal bereits auf den ersten Blick. Etwa beim Gedicht »Bilderbuchuterus« aus dem Lyrikband »Nachrichten aus der Luft«. Das Gedicht ist um 90 Grad gedreht. Es fällt sofort auf, schließlich stimmt da was nicht mit der Sehgewohnheit, wenn sich offensichtlich stinknormale Verszeilen als Spalten präsentieren. Dass in diesen Spalten ausgerechnet ein Gynäkologenbesuch verhandelt wird, bei dem der Arzt Verbalgrenzen übertritt, wird dann im Kontext mit dem Wort »Aufgeklappt« zu einer besonders grimmigen Pointe. Es zeigt, wie vielschichtig Gomringer ihre Lyrik anlegt. Denn, so schreibt die Dichterin: »Nicht einzig und allein das Große im Gefühlskatalog ist literaturwürdig.« Abseits des Gefühlskatalogs spielt gegenwärtig Gomringer mit Grandezza auf der Klaviatur des Literaturwürdigen.

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