Aus vorhandenen Strukturen ausbrechen, Kunst einen Raum geben, sich ausprobieren: Das Kollektiv V Are fördert dies mit der Reihe »Reform Act« schon seit ein paar Monaten, kommendes Wochenende findet als Höhepunkt ein dreitägiges Festival in der Seestadt Fabrik Aspern mit vielfältigem Line up statt.
Die Verknüpfung zwischen Kunst, Performance und Musik liegt nahe und doch wird sie in Wien viel zu selten gelebt. Das Kollektiv V Are um Elisabeth Falkensteiner (Misonica), Johanna Mayr-Keber (Joja), Ursula Winterauer (Ash My Love, Ventil Records) bildet da neben großen und stark subventionierten Formaten wie den Festwochen eine erfreuliche Ausnahme: In drei Teilen sollen neue Räume entdeckt, genutzt, bespielt und damit gewissermaßen erobert werden. Wer die ersten beiden Teile verpasst hat, hat kommendes Wochenende beim großen, dreitägigen dritten Teil nicht nur die Möglichkeit zu feiern, sondern auch ein Stück der eigentlichen Message mitzubekommen. Neben musikalischen Highlights wie Lokier oder Coucou Chlóe, die abseits von klassischen Clubräumen in der Seestadt Fabrik spielen, konzentriert man sich beim Programm auch auf Performance und Kunst, die sich mit hierarchischen Strukturen in sehr kreativer Weise zum Teil unter Einbeziehung von Mystik und Symbolik auseinandersetzen.
Den ersten Teil hat der/die ein/e oder andere, der sich im Wiener Nachtleben herumtreibt vielleicht sogar schon mitbekommen: Die Wände vom Celeste wurden im Rahmen von »Reform Act« bereits vor knapp einem halben Jahr gemeinsam bei der ersten Veranstaltung mit der Künstlerin Ona B. erobert – und zwar gleich im doppelten Sinne: Aus der (nicht immer) weißen und nichtssagenden Clubwand wurde eine Projektionsfläche für eine Auseinandersetzung von politischen und sexuellen Machtverhältnissen. In Form von Collagen, die aus Ausgangsmaterial etwa (pornografische) Filmposter oder Propagandamaterial bringt Ona B. Unordnung in sonst so festgefahrene Positionen. Im Rahmen der Projektserie Reform Act wurden die malerisch überarbeiteten Szenen wieder auf Papier gedruckt und sind nun wieder als Plakate im Celeste zu sehen.
Zu sehen ist darauf etwa 70er-Jahre Softpornodarstellerin Sylvia Kristel oder Cicciolina, die neben ihrem Dasein als Pornostar auch in der italienischen Politik so einiges umkrempelte. Im Rahmen des Projekts werden die Gesichter durch jene der Künstlerin ergänzt und auch der ein oder andere zusätzliche Titel gibt mehr Aussagekraft.
Im zweiten Teil des Reform Acts wurde die Notgalerie, eine ehemalige Kirche, die kürzlich in die Seestadt Aspern „versetzt“ wurde, bespielt. Das Performance-Programm von Diana Barbosa-Gil mit soundtechnischer Untestützung ihrer Taurus-Kollegen Paul Ebhart und Leonard Prochazka beschäftigte sich in fünf Akten etwa mit dem Schöpfungsmythos, der Aneignung von Kultur, Natur und Ideologien und nicht zuletzt mit der Selbstbestimmtheit.
Und was passiert dieses Wochenende?
Thematisch ähnlich geht es auch kommendes Wochenende von Donnerstag bis Samstag weiter, wobei feierfreudige auch genug Gelegenheit zum Tanzen bekommen. Am ersten Abend sorgt Elektroakustikerin Elisabeth Schimana für ein klangliches Zusammentreffen mit der Sonne, während das Duo Hall in ihrer Live-Performance mit Fieldrecordings, modularen Synthesizern und Sprachfragmenten experimentieren und die Saxophonistin Laura Agnosdei ihr Debüt »Nights/Lights« präsentiert.
Etwas weniger experimentell, aber dem Grundgedanken der Veranstaltung folgend geht es am Freitag weiter, die großartige Karolina Preuschl, deren Rap-Skills schon von Kœnig Leopold bekannt sein sollten, ist mit ihrem Performance-Soloprojekt Coco Bechamel zu Gast. Ein Highlight bildet zudem der Auftritt der französischen Produzentin Coucou Chloe, deren Sound trotz, oder vielleicht gerade aufgrund ihrer Experimentierfreude und der weiten Range an Genres immer energetisch und tanzbar bleibt. Abgerundet wird das von einem Set von Koifin, der Wien gemeinsam mit der In Dada Social Crew unsicher macht.
Am Samstag wird der Sound etwas rauer und technoider, zu Gast ist unter anderem die türkische Künstlerin Nene H, die sich – um auf Selbstbestimmung zurückzukommen – von klassischer Musik in Richtung elektronische Avantgarde bewegte und in deren aktuellen Tracks in Richtung experimentellen Industrial gehen. Ebenfalls live spielt Ola Saad, die schon bei Boiler Room mit einem Liveset überraschte.
Neben dem musikalischen Programm zeigt das Kollektiv Menophilia zudem eine Performance, die sich mit feministischen Ritualen auseinandersetzt und ihre ZuseherInnen mit »I Put A Spell On You« in ihren Bann ziehen wird.
Highlight des Abends wird wohl das Set von Lokier, die aktuell mit ihrem darken, acidlastigen Sound in diesem Jahr schon fleißig durch die Clubwelt getourt ist und in der Seestadt Fabrik in Aspern mehr oder weniger ein Wohnzimmer-Set spielt.
Der dritte Teil der »Reform Act«-Reihe findet kommendes Wochenende von 21. bis 23. Juni in der Seestadt Fabrik statt. Das gesamte Programm der Veranstaltung gibt’s hier, Donnerstag ist der Eintritt frei, Tickets für Freitag und Samstag gibt’s im Market oder direkt an der Abendkassa. Hier geht’s zum Facebook-Event.