Gigante

Der stille Beobachter

Mit größter komödiantischer Wirkung erzählt „Gigante“ eine kleine Liebesgeschichte. Der verspielte Beobachtungsfilm des Argentiniers Adrián Biniez schafft es nicht zuletzt dank eines großartigen Hauptdarstellers, Lakonie und Langeweile in beste Unterhaltung umzuwandeln.

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Der Strand von Montevideo ist wahrscheinlich nicht der schönste Uruguays. Das ist aber egal, denn die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Dieser ist ohnehin so sehr auf das Objekt seiner naiven Begierde konzentriert, dass die Außenwelt zur reinen Kulisse wird. Julia heißt die Frau, die gerne auf die Wellen blickt, und sie arbeitet als Reinigungskraft in einem überdimensionierten Supermarkt. Jara, ein groß gewachsener und wohl beleibter Freund des Heavy Metal, arbeitet ebenfalls dort. Als teilnahmsloser Nachtwächter hinter dem Fokus der Überwachungskameras, der beide Augen zudrückt, wenn Angestellte Pasta oder Joghurt in ihre Taschen verschwinden lassen. Ein sanfter Riese vor dem kleinen Bildschirm, der sich in ihr Lächeln verliebt und plötzlich die freundliche Lethargie gegen voyeuristische Liebesmüh eintauscht.

Regisseur Adrián Biniez rollt sein Spielfilmdebüt in einem sehr gelassenen Tempo auf. Der von ihm gewählte Erzählrhythmus ist auch notwendig, damit sich die Geschichte in ihrer detailverliebten Pracht entwickeln kann. Ganz abgesehen davon, hat er mit der verschmitzt gespielten Lakonie seines Hauptdarstellers Horacio Camandule die gelungenen Pointen und das Kinopublikum auf seiner Seite. Der distanziert ruhende Bildausschnitt einer beobachtenden Kamera bestimmt das Setting. Gleichzeitig wird stets mit dem gespiegelten Ich von Jara gespielt, das aus dem sicheren Schatten der Bildschirme treten und sich der kaum kontrollierbaren Realität stellen muss. Aus dieser Diskrepanz entsteht der Humor dieser besonnen wirkenden und sich doch dynamisch zuspitzenden Komödie. Das Absurde liegt in der Irrationalität des Alltags verborgen: Etwa wenn in den ersten Filmminuten die Putzkolonne in die Regale ausschwärmt, oder wenn der observierende Jara vor einem Schaufenster voller TV-Geräten stehen bleibt, die allesamt sein Bild zeigen. Oder, wie er beim Duschen mitsingend auf einmal zur Musik die Faust erhebt. Allein das geschickte Wirkenlassen des Mienenspiels von Camandule birgt so viel Komik in sich, dass jeder zusätzliche Konflikt zum humoristischen Gewinn wird. Bei der diesjährigen Berlinale wurde der aus Argentinien kommende Biniez für „Gigante“ mit dem silbernen Bären ausgezeichnet. Das ist ein Jury-Urteil, dem nur mit schmunzelndem Applaus beigepflichtet werden kann.

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