Architektur im Verbund

Bausünde bleibt Bausünde

Ein mächtiger Text- und vor allem Bildband über Kraftwerke, Umspannwerke und andere Verbund-Bauten der letzten 50 Jahre verändert die Sichtweise auf die Kraft aus der Steckdose.

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Wenn Konzerne möglichst unverdächtige Experten beauftragen, über Werk und Wirken des Unternehmens zu schreiben, ist Skepsis zwingend angebracht. Auf fast 450 Hochglanz-Seiten, die mehr als 2 Kilogramm auf meine Küchenwaage bringen (mehr kann sie nicht anzeigen), wird jedoch tatsächlich eine recht nüchterne (und daher mit recht spröden Texten ausgestattete) Bestandsaufnahme durchgeführt. Die Faszination der Technik und der kaum greifbaren, enormen Dimensionen der Maschinen und Talsperren wirkt dennoch rasch, wenn man sich darauf einlassen möchte. Anhand der Architektur der vorgestellten Kraftwerke, Umspannwerke und anderer Bauten lässt sich mit dem mitgelieferten Hintergrundwissen die ästhetische sowie die bau- und kraftwerkstechnische Entwicklung der vergangenen 50 Jahre ablesen. Auch die historische Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Einstellungen hat die Bauten geprägt: Von der brachialen Naturbeherrschungsmentalität bis zum einigermaßen respektvollen Umgang mit der Natur sind alle Nuancen vertreten.

Die ambitioniert ästhetischen Fotografien von Rainer Fehringer, Lukas Maximilian Hüller und Klaus Pichler werten die Publikation zusätzlich auf, führen jedoch auch wieder zurück zur eingangs erwähnten notwendigen Skepsis: Bausünde bleibt Bausünde, und bei den 169 dokumentierten Bauten aus den Jahren direkt nach dem 2. Weltkrieg bis heute kann selbst das schönste Foto nicht darüber hinwegtäuschen, dass manch Ausgeburt an Hässlichkeit Teil des Ganzen ist. Hier offenbart sich auch ein wesentlicher Antrieb für den Verbund, das Autorenteam der TU Wien zu beauftragen: Es sollte u.a. festgestellt werden, welche Bauten schützenswert sind und welche für Adaptionen und Optimierungen „freigegeben“ werden können. Die offensichtlichsten Architekturen des Verbundes, die am Land allgegenwärtigen Hochspannungsleitungen, wurden in der Publikation leider nicht behandelt.

Warnung: Nach dem Konsum des dicken Wälzers ist der Strom, der die nächtliche Zahnbürste vibrieren lässt, plötzlich nicht mehr ein nettes, anonymes Helferlein, das sowieso da ist, sondern jenseits der Steckdose offenbart sich das Bild eines Monsters zwischen enormen Staumauern, glühenden Verbrennungsöfen und erbarmungslos lärmenden Maschinen.

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