Mit Worten, die Blitze waren
Jochen Voit legt eine verblüffend gelungene Biografie des widersprüchlichen linksradikalen Schauspielers und Sängers Ernst Busch vor.
Bei Biografen liegt der Verdacht stets nahe, dass sie aus der unübersichtlichen Fülle an Zufällen namens Welt im Nachhinein eine Geschichte großer Taten einzelner großer Männer konstruieren, die erzählt, was der Biograf vorher schon gewusst hat. Den Vorwürfen der irrelevanten Faktenhuberei wie der naiven Parteilichkeit entgeht Voit jedoch dadurch, dass er als so souveräner Kenner der Materie eine teilweise fast schon süffisant-ironische Distanz zu seinem andererseits unverhohlen sympathisierend betrachteten Gegenstand einnehmen kann. „Er rührte an den Schlaf der Welt“ erzählt angenehm lesbar am schmalen Grat zwischen literarischer Freiheit und kritischer Nähe zu den Quellen von Buschs Jugend im sozialdemokratischen Arbeiterviertel von Kiel und seinen schnellen Bühnenerfolgen – dank seiner berühmten metallenen, die Konsonanten beinahe mehr als die Vokale zum Klingen bringende Stimme – im Berlin der 20er und beginnenden 30er Jahre. Dem Russland-Exil, dem Engagement im spanischen Bürgerkrieg, der Flucht quer durch Europa, der Gefangenschaft und Buschs Rolle in der DDR.
Die Widersprüchlichkeit der Figur Busch wird greifbar: Der menschlich wohl schwer erträgliche, aufbrausende und schnöselige Perfektionist passt kaum zum sich als bodenständigen Arbeiterspross gerierenden Sänger, der den Kommunismus predigenden Lieder seiner Freunde Eisler und Brecht interpretiert. Buschs eigenwillige Auslegung von Sozialismus, die ihm Stalin-Verherrlichung ebenso wie den Aufbau einer Plattenfirma im Arbeiter-und-Bauern-Staat ermöglichte, zeigt, wie seine krude Linksradikalität so ganz in keines der politischen Systeme passte, mit denen er es sich doch irgendwie richtete.
Voit gelingt also das Kunststück, nicht nur die Geschichte Buschs, sondern auch die von Europa im 20. Jahrhundert zu erzählen. Noch gar nicht erwähnt wurde ja der stets virulente Zwiespalt zwischen Buschs politischem Sendungsbewusstsein und der dazu passenden musikalischen Umsetzung. Busch, der im Berlin der 30er Populärmusik erfunden hat, ohne dass es damals das Wort dafür gab, um Politik damit zu machen, wurde in der DDR von der Politik gehindert, die imperialistische Popmusik Jazz zur Agitation zu gebrauchen. Welcher Form der Protest unter welchen Verhältnissen bedarf, wie das widersprüchliche Verhältnis von Pop und Politik ist, diese Fragen durchziehen Voits Busch-Biografie. Dass das Interesse am einen das andere bedingt, und dass Voits Buch Interesse auch bei jenen weckt, die die „Rote Nachtigall“ erst auf YouTube nachhören müssen, bleibt zu hoffen.