Wonach klingt es, wenn die kanadischen Postrock-Legenden von Godspeed You! Black Emperor und Silver Mt. Zion Urlaub in Istanbul machen? Nach expressiver Kopfmusik. Mit Bauchtanzrythmen.
“Dalmak“ ist Kunstmusik im sprichwörtlichen Sinne: Kontemporär, expressiv, wortkarg, fordernd. Nach dem Todeshymnen-Zyklus “La Lechuza“ aus dem Jahr 2011 hat sich das kanadische Quartett Esmerine rund um die Postrock-Legenden Bruce Cawdron (Godspeed You! Black Emperor) und Beckie Foon (A Silver Mt. Zion) zugunsten ihrer jeweiligen Mutter-Bands in einen langen Winterschlaf begeben – um nun in der dunkelsten Zeit des Jahres mit einer stilistischen Neuorientierung aufhorchen zu lassen.
“Learning To Crawl“ überrascht und verunsichert klassische Hörgewohnheiten: Orientalische Folklore! Rhythm and Blues! Gespielt mit mysteriösen Instrumenten, die mit fremd klingenden Namen wie Bendir, Darkuba, Erbane oder Barama noch mehr Verwunderung auslösen: Was ist das denn nun? Worldmusic? Post-Postrock?
“Dalmak“ wurde zu großen Teilen in Istanbul aufgenommen. Das hört man dem Album vom ersten Moment aus an. Dies ist aber nicht nur der Verwendung klassischer orientalischer Instrumente oder dem Gastspiel türkischer E- und Avantgardemusikern wie Hakan Vreskala, Baran Aşık und Ali Kazim Akdağ zu verdanken. “Dalmak“ steht im türkischen für "untertauchen, versinken, sich in etwas reinstürzen" – und so klingen Kompositionen wie “Lost River Blues“ oder “Translator‘s Clos“ auch wie der Soundtrack zum Spaziergang in den Gassen eines nächtlich-mystifizierten Istanbuls. Esmerine versinken in der Stadt, ihren Traditionen und ihrer Geschichte.
Auch wenn das eintauchen in diese Klangwelten dem Sprung in kaltes, unbekanntes Wasser ähnelt – erst einmal drin, frischen die darauf folgenden Erlebnisse die eigenen, mitunter starr gewordenen Hörmuster wieder auf. Stücke wie „Hayale Dalmak“ und “Yavri Yavri“ verlangen vom Hörer ab, sich mit der zur Schau gestellten musikalischen Inneneinrichtung auseinanderzusetzen. Je weiter der Blick, je offener das Ohr, desto einladender erscheint einem alsbald diese eigenwillige Klangarchitektur.
“Dalmak“ ist ein Schmelztiegel der Traditionen aus Ost und West, aus Orient und Okzident – und zugleich ein künstlerischer Stimmkörper Istanbuls, in dem die antiken Dramen des alten Byzanz und Konstantinopels ebenso nachhallen wie die Demonstrationen am Taksim-Platz und die Tränengasgeschosse des Gezi Parks.