Die Autoren schlagen vor, ihre Mammutstudie als einen »Roman in Begriffen« zu lesen. Es geht dabei um nichts weniger als einen überbordenden Ritt durch die neuzeitliche Politik-, Philosophie-, Kunst- und Kulturgeschichte als Relektüre, literarisch virtuos umgesetzt.
Dieses Buch ist ein Monster. Auf fast 900 Seiten, in denen kaum ein Satz kürzer als eine halbe Seite und mit weniger als den ganz großen Namen und Begriffen von so ungefähr allem gespickt ist, erklären Kirchner und Dath neben eben allem auch ihren Begriff »Implex«. Der bezeichnet gesellschaftliche Zustände, die nicht zwingend kommen müssen, aber kommen könnten, und da sie besser als die bestehenden sind, auch kommen sollten. Dass dieser Schluss vom Sein zum Sollen kein logischer und trotzdem ein zwingender ist für alle, die sich Besseres vorstellen können, und was daraus wiederum folgt, wird unter Abwatschung der halben abendländischen Philosophiegeschichte (und weit mehr) so radikal wie abstrakt dargelegt.
Egal, ob das alles Quatsch oder Bibel ist, stellt sich die Frage, für wen dieses Buch eigentlich ist. Denn den die Kirchner/Dath’sche Auslegung marxistischer Gesellschaftstheorie Teilenden gibt es kaum Handlungsanweisungen (und eignet sich auch nicht als Buch zum Verschenken mit dem Satz »Das meine ich ja immer, wenn ich es nur mal so ausdrücken könnte«) und die Unbekehrten wird es ob seiner Sperrigkeit kaum bekehren (denen sei eher Daths Essay »Maschinenwinter«, sein Interviewband »Alles fragen, nichts fürchten« oder der Roman »Schwester Mitternacht« von Kirchner und Dath empfohlen). Wahrscheinlich ist »Implex« einfach ein Buch, das halt so sein musste und weil die Sache eben »alles« ist, muss auch der Stil so sein. Jedenfalls verschafft »Implex« mit seiner Sammlung von obskuren Aufklärerinnen, Definitionen von Natur, Materialismus/Idealismus-Scharmützeln, Klassenkampf, Feminismus, Anti-Rassismus, Liebe, Science-Fiction und Fantasy (um nur ein paar willkürlich ausgesuchte Themen zu nennen) das angenehme Gefühl, dass hier zwei Leute das Buch geschrieben haben, das jeder schon immer schreiben wollte, nämlich: was in all meinen Büchern steht und auf allen Platten drauf ist, die ich je gehört habe, nebst dem, was ich alles dazu denken kann – zumindest denen, die Humor, Freude an Drastik und Marxismus gut finden.