Don't Let Them Down

Festlegen? Nein danke!

Im zehnten Jahr entfernt sich Franz Reisecker weiter denn je von den Ursprüngen seines Soloprojekts Lichtenberg – und schließt doch den Kreis zu den Neunzigern. Unterstützt von einem Who Is Who des avancierten heimischen Pops.

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Auf ein musikalisches Genre legt sich Franz Reisecker höchstens auf Albumlänge fest. Wenn überhaupt. Seit den späten Achtzigern sucht und findet der Oberösterreicher, war Gitarrist bei den einstigen Szene-Lieblingen Occidental Blue Harmony Lovers und Mastalsky oder wirkte bei der Elektronik-Jazz-Bigband Orchester 33 1/3. Zuletzt versetzte er mit dem Trio Exklusiv, das er mittlerweile verlassen hat, europaweit die Tanzböden in Ekstase, mit druckvollem Groove und Disco-Funk. Mit „Don’t Let Them Down“, dem fünften Album unter dem Signet Lichtenberg, platziert sich Reisecker nun endgültig zwischen allen Stühle. Die Gitarre, die er zum Elektronik-Boom Mitte der Neunziger an den Nagel hängte, ist längst wieder im Spiel, nicht selten akustisch. Zwischen Ziehharmonika und Glockenspiel, grimmigen Soundexkursionen und poppigen Zwischentönen, Digitalem und Analogem. Das Titelstück, ein zartes Pop-Kleinod mit der Zeile „Leaving The Planet Earth, Going Forward Into Universe“, fühlt sich ziemlich schwerelos an, umspült von freundlichem Zischen und Knistern. Bei „Stubborn“ hingegen singt Christof Kurzmann zu bedrohlichem Festplatten-Rauschen. Er ist nur einer in der Reihe von Gastvokalisten, die sich lesen wie ein Who Is Who des avancierten heimischen Pops: Attwenger-Hälfte Markus Binder wühlt sich im behäbig pulsierenden, kühlen „The B-Pictures“ durch Titel ebensolcher; Agenda Lobkov, das Duo aus Verena Brückner und Eva Jantschitsch alias Gustav, lässt das geheimnisvolle „Yola“ unter die Haut gehen; Herwig „Fuzzman“ Zamernik steuert gleich zweimal Backing-Vocals bei. Und sein Naked Lunch-Kollege Oliver Welter macht das starke „Conny & Blyde“ mit flehentlicher Stimme noch stärker: eine mit repetitiven Rhythmus in immer höhere Intensitätslevel vordringende Rocknummer. Der definitive Höhepunkt des Albums, noch vor der gut ins Ohr gehenden ersten Single „Stranded“. Weiter weg vom sphärischen Plätschern, vom lässigen Groove, mit dem Reisecker das Projekt Lichtenberg 1997 auf „Music For Refreshing The Systems“ begründet hat, war er bislang nie. Den Kreis zum Debüt schließt er im zehnten Lichtenberg-Jahr dennoch: In der ersten Minute von „Yola“ hallt das wunderbare „Rigoletto“ nach, die einstige „Im Sumpf“-Schlussnummer. Und durch „Adele“ ziehen sich Drum’n’Bass-Schlirren wie damals in den Neunzigern, nur dass Reisecker nun drüber singt, als wär’s ein einfacher Popsong, was er letztendlich auch ist. Ein guter sogar. Dass lässt vergessen, dass zwei, drei Nummern doch ziemlich schwächeln. Und dass „Don’t Let Them Down“ phasenweise etwas wild zusammengewürfelt wirkt. Aber so ist das halt bei einem, der sich nicht festlegen will und kann, der wie selbstverständlich durch die unterschiedlichsten Genres flaniert. Und letztlich wurzelt der Charme dieser Platte eben auch in den vielen kleinen Brüchen.

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