Es riecht nach langen Haaren und Cannabis: Kurios gelungener Prog-Avantgarde-Freak-Folk made in Britannia.
Hinein in die Anderswelt: Alexander Tucker, ehemaliger Frontmann der Hardcore Band Sunction, gibt sich auf seinem fünften Soloalbum “Dorwytch“ einnehmend folkig und experimentell. “Forms and shapes decay“ singt Tucker im Opener “His arm has grown long“ – dazu setzen nervöse, von Violine, Klarinette, Cello und Glockenspiel untermalte Akkorde ein: Der Head-Trip beginnt im Untergang und mündet in der Transformation. Stilistisch ist die neue Schaffensperiode des Weirdos aus Kent am ehesten mit der britischen Psychedelic-Folk und Avantgardeszene der 70er verbunden: Ein musikalischer Kompass, dessen Pole in Richtung Robert Wyatt, Brian Eno, Syd Barrett und Soft Machine weisen. Auf Pressefotografien scheint Tucker dem exzentrischen Comic-Künstler Allan Moore wie aus dem Gesicht geschnitten – dunkel, mysteriös, langhaarig, stoned. Auf das optischen Role-Model wird auch im Song “Matter“ verwiesen: “Organic matter growing instead of limbs“, die biologische Vereinigung von Fleisch und der Natur – eine Hommage an Moores Anti-Superheld Swamp Thing, einem Mensch-Pflanze-Hybrid, der seine Gegner durch die Absonderung psychedelischer Substanzen außer Gefecht setzt. Auch andernorts paart sich das Abstrakte mit der Popkultur, etwa wenn in “Skeletor Blues“ unter viktorianischen Klängen die Untoten auf Erden wandeln, oder in dem brillanten Track “Atomized“ mit bluesig-rauschenden Klangfarben Materie zerpflückt und Syd Barrett wiedererweckt wird.
“Dorwytch“ ist kein einfaches Album, aber ein lohnendes. Die Tracks scheinen miteinander verwoben, getragen von einem Sound, dessen multiple Schichten die Illusion schaffen, einem Ensemble zuzuhören – obwohl das Album mit Ausnahme einiger weniger Passagen von Tucker im Alleingang instrumentalisiert wurde. Mit geschlossenen Augen wähnt man sich beim Zuhören in einem moosigen, mystischen Wald wandernd. Wer hofft, während des Weges auf Elfen zu stoßen, wird allerdings enttäuscht werden. Wahrscheinlicher ist der Kontakt mit einem weißbärtigen Druiden, der keltische Runen verlesend mit besessenem Blick an einem giftgrünen Zaubertrank rührt. Wer diesen Trank kosten wollen würde, der würde auch “Dorwytch“ hören wollen.