Deutsch verschlüsselt
Mit lyrischem Rap und abstraktem Soul löst Fleur Earth die Grenzen sprachlicher Hörgewohnheiten auf. Ihr neues Projekt »Forsch‘ und Facette« klingt komplex, intim und frei.
Die Presse tut sich schwer mit Fleur Earth. Deshalb versucht sie ihrer Kunst mit einfachen Lösungen beizukommen. 2009 ernennt /Der Spiegel/ die damals 29-jährige Fleur Mouanga zur »deutschen Erykah Badu«. Die Kriterien dieses Ressentiments: dunkle Haut, voluminöses Haar, eine Jugend zwischen Kongo und DDR, ihr täglicher Job als Elektroinstallateurin und gleichgeschlechtliche Liebe. Den Umgang mit Stereotypen gewohnt, winkt Fleur gelassen ab: »Ich hab vielleicht die gleiche Hautfarbe, würde mich aber nicht mit ihr vergleichen«. Höchste Zeit, die projektierten Sehnsüchte nach anspruchsvollem deutschen Soul bei Seite zu lassen. Fleur selbst bezeichnet ihr Konzept als Straßenköter-Soul, gemäß dem mit der Funk/Reggae-Band Fleur Earth Experiment vertonten Album »Soul des Cabots« (2009). Sie fällt besonders mit kantigem Sprechgesang auf, der zwischen Rap und Spoken-Word experimentiert, aber verdammt gut fließt. Ihre Reimfähigkeiten und der 90er-Boom-Bap-Sound von Twit One, Hulk Hodn und anderen Produzenten stehen außer Zweifel.
Was einer breiten Rezeption vermeintlich im Weg steht, ist das Herzstück ihrer Kunst: abstrakte, emanzipatorische Lyrik, die mit verspieltem Soul-Sprechgesang kodiert wird. Seit jeher setzt sich Fleur Earth bewusst über sprachliche Formalia hinweg. Sie will Gefühle und Attitüde assoziieren, statt sie grammatikalisch zu rationalisieren. Ihr neues Projekt Forsch‘ und Facette scheint diesem Paradigma sehr nahe zu kommen. 2011 ist es Produzent Quo Vadis, der ihre kryptischen Texte mit flächiger Knister-Electronica neuartig mystifiziert. Zu seinem basslastigen Mix aus TripHop, Broken Beat, Jazz und HipHop verbalisiert Fleur sogar noch entgrenzter als gewohnt. Erneut reflektiert sie Zwänge, Besitzverhältnisse, Macht, Entfremdung, Liebe und Sex. Auch wenn sich mögliche Interpretationen erst nach mehrmaligem Hören erschließen, entwickeln ihre Songs schnell eine hypnotische Dynamik und Intimität. Begleitet von organischen, teils gespenstischen Sound-Kulissen lässt Fleur rätselhafte Textwesen entstehen. Spielerisch reißt sie Grenzen deutscher Artikulation weg und offenbart außerordentlichen Soul, dessen Entschlüsselung genauso herausfordert wie begeistert.