Gaza

Spurensuche
Joe Sacco begibt sich auf Spurensuche in den Gazastreifen. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart sucht er Antworten, findet Fragen und betreibt dabei auch noch Medienkritik.

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Der englische Originaltitel »Footnotes In Gaza« führt näher an die Intentionen des Zeichners und Autors heran als der verkürzte deutsche Titel. Joe Sacco versucht hier nicht, die Geschichte des Gazastreifens aufzuarbeiten, eher versucht er eine »unzeitgemäße Betrachtung« zu liefern, indem er Ereignissen nachspürt, die sich in den 50er Jahren im Gazastreifen ereigneten. Der dazu notwendige monatelange Aufenthalt vor Ort brachte es allerdings mit sich, auch der Gegenwart im Gazastreifen Beachtung zu schenken. Die Beifügung »Footnotes« ist nicht nur dem Blick auf eine ganz bestimmte historische Episode geschuldet, sondern auch einer Medienkritik, die hier von Sacco stärker betrieben wird als in seinen anderen Werken, sich selbst nimmt er dabei nicht aus.

Sacco beschäftigt sich mit zwei israelischen Übergriffen auf den Gazastreifen zur Zeit der Suezkrise 1956, in der England und Frankreich gemeinsam mit Israel Ägypten zu einer militärischen Auseinandersetzung provozierten, die auch zur israelischen Besetzung des Gazastreifens führte. In beiden Fällen kam es laut Zeugenaussagen zur Ermordung einer großen Anzahl von Palästinensern. Außer einigen spärlichen Zeilen in UN-Berichten scheinen beide Vorfälle jedoch kaum öffentlich aufgearbeitet worden zu sein, sie gehören vielmehr zur ungeschriebenen Geschichte Gazas, einer Geschichte, der Sacco allerdings große Bedeutung für eine Annäherung an die Grundproblematik zwischen Israel und dem Gazastreifen zuschreibt: Der ewige Kreislauf von Aggression und Gegenaggression. Wo, wie und wann sind die Verletzungen und Demütigungen geschehen, die für Generationen nachwirken? Sacco rekonstruiert aus der Perspektive Gazas, er sucht mit Hilfe von Freunden, die oft als Türöffner fungieren, Augenzeugen der damaligen Ereignisse ausfindig zu machen und geht dabei mit sich selbst wie auch seinen Informanten teilweise hart ins Gericht. Penibel vergleicht er Zeugenaussagen, konfrontiert widersprüchliche Aussagen, rekonstruiert Tatbestände aus verschiedenen Perspektiven, ist unzufrieden über die Unzuverlässigkeit der Zeugen und sieht sich gleichzeitig dabei zu, wie er in seiner Rolle als Journalist diese Menschen instrumentalisiert, in dem sie für ihn nur unter dem Gesichtspunkt der Informationsbeschaffung relevant werden. Das Leid, das viele von ihnen augenscheinlich noch in sich tragen, wird dabei oft übergangen, ebenso ihre derzeitigen Problemlagen.

Gaza ist eine in Wirklichkeit für uns unvorstellbare Situation, ein abgetrenntes, isoliertes, von Befestigungsanlagen umgebenes Gebiet, geteilt durch militärisch bewachte Straßen, Städte, die aus Flüchtlingslagern entstanden sind, die mit der Zeit einfach in die Höhe gewachsen sind, eine Bevölkerung, die von Hilfsorganisationen verwaltet wird. Manche Augenzeugen können noch von ihrer Angst sprechen, die sie nie ganz verwunden haben. Sacco gräbt diesmal tief und zeigt, ohne pauschale Schuldzuweisungen vorzunehmen, die katastrophalen Konsequenzen der militärischen Logik, die sich selbst als Pragmatik darstellt, als Problemlösung, aber sich tief und unauslöschlich in die Menschen einschreibt, die Feinde von morgen.

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