Aufgeräumteres Fantasialand
CocoRosie stellen eindrucksvoll unter Beweis, dass Opluenz und Minimalismus kein Gegensatzpaar sein müssen.
Zunächst die schlechte Nachricht: Das Artwork ihres nunmehr vierten Albums sieht fürchterlich aus. Selbst für abstrakte CocoRosie-Verhältnisse wirkt diese Optik seltsam. Die Geschwister, gehüllt in blaue Kleider und Filzkappen, beschmückt mit Kristallen und falschen Bärten. Titel, Bandname und Typo – amateurhaft. Keine Spur von einstiger Zeichenkunst oder aufwendigen Kostüminszenierungen. Zur guten Nachricht: “Grey Oceans“, ihr Debüt auf dem Label Sub Pop, ist die vorerst aufgeräumteste Offenbarung ihrer Diskografie geworden und ohnehin frei von geschmäcklerischen Oberflächlichkeiten oder ästhetischen Konventionen.
Sphärisches Gesäusel, bebende Stimmen und heulendes Kinderspielzeug wecken Erinnerungen. Als die Collage von einem klaren Piano und sägenden Synthesizern abgelöst wird, entwirrt sich plötzlich die Nostalgie. “Trinity’s Crying“ heißt der Auftakt von “Grey Oceans“ und hat mit dem fragilen Experimentieren von einst nur mehr in Spurenelementen zu tun. Die phantasiebegabten Schwestern aus Paris sind zurück, naturgemäß hat sich ihre Konzeption ausgedehnt. So haben Bianca (Säuseln, Rap und allerlei Geräuschvolles) und Sierra (vor allem Harve und Opernstimme) für “Grey Oceans“ einen dritten Verbündeten gefunden. Gael Rakotondrabe, ein Jazz-Pianist aus La Réunion. Auf tagelangem Improvisieren und gezielten Sessions basiere das neue Songwriting; weltweit entstanden und vor allem in Buenos Airesaufgenommen.
Trotz hörbarer Kreativitätsstürme und breiter Instrumentierung, klingt die Band nun strukturierter. Elf Songs als esoterisch ausformulierte Kompositionen, deren stilistischen Übergänge zwar fließend sind, sich aber nicht gegenseitig verschütten. Der Zweiklang zwischen Bianca und Sierra schärft den Kontrast und verstärkt den polyrhythmischen Gesamteindruck. Die aufs Piano reduzierte Dramatik (“Undertaker“, “Grey Oceans“) erinnert zudem an die Klarheit eines Antony Hegarty, während sich ab der zweiten Albumhälfte organische Elektronik und Drums häufen. Synthesier dröhnen ätherisch (“R.I.P. Fun Face“), Beats laden verträumt aber dringlich zum Tanz (“Gallows“). Ganz zu schweigen von den neuen orchestralen Arrangements (“Lemonade“). CocoRosie wissen genau was sie tun, bleiben dabei aber genauso fokussiert wie instinktiv. Für ihr Fantasialand gibt es zwar keinen Lageplan, dafür grenzen die “Grey Oceans“ es schon sehr deutlich ab.