Eine Platte wie eine Schatztruhe britischer Musiktradition: Dringlicher Romantizismus, der das Mondäne zum Magischen erhebt.
Auf den ersten Blick mögen einem die Wave Pictures wie eine typisch britische Gitarren-Pop-Kombo vorkommen: catchy, verspielt, sich in den Gehörgang zaubernd, aber ziemlich weit weg von dem, was man als einen modernen Zugang zum Vers-Chorus-Vers Schema nennen könnte. Mit der Single “I Love You Like A Madman“ gelang den charmant-schrulligen Landeiern aus Leicestershire trotz oder gerade wegen ihrer Format-Treue vor Jahren so etwas wie der perfekte 3-Minuten Popsong – der große Erfolg blieb damals dennoch aus.
Trotz aller Affinität zum guten Geschmack, einem Umzug nach London, analoger Lo-Fi Ästhetik und intellektuell ironisierender Cockney-Attitüde schafften es die Wave Pictures nicht mehr, das Gefühl jener stampfenden drei Minuten Euphorie-Eruption erneut einzufangen oder gar auf Albumlänge zu transferieren. Fast wäre man zwischenzeitlich geneigt gewesen, die Band als ein Ein-Song-Wunder abzuschreiben. Umso mehr überrascht deren neuer Longplayer „Long Black Cars“: Die Überraschung ist deshalb groß, weil es genau die Platte geworden ist, die man nicht mehr von ihnen erwartet hätte. Vieles hat sich verändert – zum kategorisch Guten. Zum einen ist der Home-Demo-Sound früherer Werke der dynamischen Offenheit einer vollwertig ausbalancierten Studioproduktion gewichen. Zum anderen hat es das Trio um Dave Tattersall hier erstmals geschafft, ein homogenes, in sich stimmiges Album zu schaffen.
“Long Black Cars“ ist eine Schatztruhe britischer Poptradition. Die Kinks, T.Rex und die Smiths mögen für viele dieser Songs Pate gestanden haben, schaden tut dem Material die kaum verheimlichte Verwandtschaft nicht. Auch wenn im Herzen aller Stücke ein Hauch von Melancholie verweilt – Songs wie “My Head Gets Screwed On Tighter Every Year“, “Cut Them Down In The Passes“ oder “Never Go Home“ klingen mit ihrer leichtfüßigen Ironie wie sonnige Gegenentwürfe zum Depressions-Pop der Nullerjahre. Es ist eine Art dringlicher Romantizismus, der das Mondäne zum Magischen erhebt. Ein wunderbar beiläufig stampfendes Gitarrenspiel und der hymnische, dramaturgisch wie lyrisch an Morrissey erinnernde Gesang von Frontmann Dave Tattersall tun den Rest, um so gut wie alle Songs auf diesem Album zu Perlen werden zu lassen. Sollte demnächst ein ernst gemeintes Britpop-Revival anstehen, könnte “Long Black Cars“ zur Lieblingsplatte der Jugendzimmer und WG-Parties dieses Jahres werden.